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RANDBEMERKUNGEN zur woche

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ÖSTERREICH1SCHE AKADEMIKER ERGREIFEN DIE INITIATIVE: Das allgemeine Unbehagen über gewisse Praktiken bei der Vergebung öifenflicher Stellen nach Proporz und Parteibuch findet nun erstmalig Ausdruck in der bedeutsamen Initiative, die von der Vereinigung Vorarlberger Akademiker ergriffen wurde. „In der Verwaltung des Bundes, der Länder und der öffentlich-rechtlichen Körperschaften sowie in den verstaatlichten Betrieben mehren sich in alarmierender Weise die Fälle, dafj Akademiker nur dann angestellt werden, wenn sie einer gewissen politischen Partei beitreten oder aus einer gewissen politischen Partei austreten. Darin ist eine sittenwidrige und die verfassungs-gemäfje Gleichheit vor dem Gesetz verletzende Nötigung eines in Diensten der erwähnten Einrichtungen stehenden oder sich dort um eine Stelle bewerbenden Akademikers zu sehen.“ Der Vorarlberger Verband hat sich an den Kontaktausschufj oller österreichischen Akademiker in Wien mit der Bitte um ein gemeinsames Vorgehen gewandt und appelliert an alle verantwortungsbewußten Politiker um Unterstützung. Anlaß war übrigens ein „Geschäft“, demzufolge in Dornbirn unter Uebergehung von sieben langdienenden Beamten ein „roter“ betriebsfremder Vizedirektor in die „schwarze“ Gebietskrankenkasse berufen und in die „rote“ Klagenfurfer Betriebskrankenkasse ein „schwarzer“ Vizedirektor übernommen werden soll. — Parteimanager gegen Berufsbeamte: ein Akt aus dem Drama der Gesellschaft unserer Tage. Die Auseinandersetzungen um die Schaffung einer neuen politischen Moral und politischen Praxis werden lang und schwer sein. Wichtig ist, daß sie eben begonnen haben. Und bedeutsam, daß es Akademiker sind, die zum ersten Anlafj ihrer politischen Aktivierung einen Fall von Nicht-akademikern nahmen, von „einfachen“ Kassen-angestellfen, die unter die Räder der Par'ei-manager kamen.

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DIE KÄRNTNER SLOWENEN haben durch ihre Organisation eine überaus scharfe Erklärung zur Durchführung der Minderheiten-Schulbestimmungen auf Grund des Artikels 7, Paragraph 2, des österreichischen Staatsvertrages abgegeben. Es wird behauptet, genannter Artikel verspreche ein zweisprachiges Gymnasium, das Unterrichtsministerium habe eine Anstalt mit ausschließlich slowenischer Unterrichtssprache errichtet. Es wird weiter behauptet, die Elfern seien unter Druck gesetzt worden und die geplanten Gesetzentwürfe seien den Slowenen nicht zugegangen, der Inhalt ihnen nur aus Presseandeulungen bekannt. Hierzu kann bemerkt werden, daß sich das ' Unterrichtsministerium im Sinne ältöster,-; reichischer Toleranz so entgegenkommend“ zeigte, daß die nationalistischen Kärntner Kreise darob unwillig wurden. Die Texte? Der Wortlaut der Regierungserklärung vom 11. September 1957 liegt in Nr. 288 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, VIII. Gesetzgebungsperiode, gedruckt vor. Von einem zweisprachigen Gymnasium ist in dem bezogenen Sinn nicht die Rede. Unseren Behörden ist kein Fall von Unterdrückung bekanntgeworden. Die Durchführung der geplanten Gesetze ist durch ein Ministerkomifee für Minderheitsfragen in einer Enquete mit Vertretern der Kärntner Landesregierung, des Landes-schulrales und insbesondere der Minderheiten besprochen worden. Worum geht es grundsätzlich? Bekennfnisprinzip steht gegen Territorialitätsprinzip. Dieses letztgenannte Prinzip bildete die Grundlage für die Verordnung der Kärntner Landesregierung vom 3. Oktober 1945. Ver-fassungsrechflich ist diese Verordnung als eine außerhalb der österreichischen Rechtsordnung zustande gekommene Rechtsvorschrift anzusehen. (Einfluß der englischen Besatzungsmacht.) Die deutsche Bevölkerung war gegen die rund einhundert zweisprachigen Schulen. Wer sich künftig zum slowenischen Volkstum bekennt, wird eine slowenische Schule besuchen und sich weiterbilden können. Das Reifezeugnis einer Bun-desmiflelschule mit slowenischer Unterrichtssprache berechtigt in gleicher Weise wie das einer gleichartigen Mittelschule deutscher Unterrichtssprache zum Hochschulstudium. Wie anders als nach dem Bekenntnis kann objektiv die Volkszugehörigkeit ermittelt werden? Das Kärntner Schulgesetz ist nichts für Extremisten beider Seifen, es ist eine nüchterne pädagogische Zweckmäßigkeif, die hauptsächlich drei Bezirke angeht: Völkermarkf, Klagenfurf-Land, Villach-Land, in denen120.830 Slowenen neben 155.821 deutschsprachigen Kärntnern leben. Dabei ist die Sache der Windischen noch nicht besprochen, die sich vor kurzem heftig gegen die Vertretung durch die sogenannten Nationalslowenen aussprachen. Wir wünschen allen europäischen Minderheiten jenen Geist der Gewaltlosigkeit, wie er aus den Paragraphen spricht, die jetzt dem Nationalrat vorliegen.

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EIN GOLDREGEN von 2K Milliarden Lire ging bekanntlich von der italienischen Regierung für das neue Wohnviertel in Bozen hernieder. Er erregt noch immer die Gemüter. Ist das Mißtrauen der deutschsprachigen Bevölkerung gegen die gerechte Verteilung wirklich so grundlos? Wie hat denn diese deutschsprachige Bevölkerung bisher bei der „Verteilung der Erde“, verstehe: der Posten bei den hohen Aemtern, abgeschnitten? 230.000 Südtiroler deutscher

Zunge und 110.000 Italiener bevölkern heute noch die Provinz Bozen. Und die Pöstchen? Etwa 70% für die Südtiroler und 30% für die Italiener, wie es diesem Verhältnis gerechterweise entsprechen würde? Weit gefehltl 93,5% Italiener und 5,5% Deutsche bei den Beschäftigten der Bahn! 78% Italiener und 22% Deutsche bei der Post. 97% Italiener gegen 3% Deutsche bei den Arbeitsämtern, 87% Italiener bei den Gerichten und 98% beim Finanzwesen. Krone aller Kronen aber: die Polizei; dort stehen 99,2% Italienern „ganze 0,8%“ Südfiroler gegenüber! Die Liste könnte fortgesetzt werden, denn genau so steht

es auch bei den Gemeinden, bei den Sfraßen-arbeitern usw. Keines deutschen Wortes mächtige Briefträger tragen in völlig deutschen Gemeinden die Post von Hof zu Hof. An den Bahnschaltern sitzen Beamte, die bisweilen die Ausgabe von Fahrkarten verweigern, wenn der Reisende das Ziel in deutscher Sprache angibt. Dabei ist die doppelsprachige Bezeichnung der Ortsnamen Amtsvorschrift! Die Schlüsselstellungen also sind in fester Hand. Ausgeschrieben ober und „für die deutsche Bevölkerung reserviert“ werden in letzter Zeit eine ganze Menge von Stellen — aber völlig bedeutungslose, auf die die deutschsprachige Bevölkerung verzichten kann. Ist also anzunehmen, daß die Wohnungs-verfeilung im funkelnagelneuen Stadtfeil von Bozen auch die Südtiroler liebevoll und gerecht berücksichtigen wird, daß also alle Besorgnisse, Vorstellungen und Kundgebungen unbegründet waren? In absehbarer Zeit werden wir es wissen. Die Zehnfausende auf Sigmundskron wußten es schon vor Wochen ...

GERÄT DIE WELTPOLITIK IN BEWEGUNG!

Die ersten Tage des neuen Jahres 1958 zeigen, wie,' langsam und unsicher, Von sehr verschiedenen Seiten versucht wird, die WeHpolitik aus den Erstarrungen des vergangenen Jahres herauszuführen. Die erste Sensation des neuen Jahres war die Fernsehansprache des britischen Premiers MacMillan vor seiner sechswöchigen Tour durch das Commonwealth, in der er tür den Abschluß eines feierlichen Nichtangriffspaktes zwischen der Sowjetunion und den Westmächfen und für einen Abrüstungsvertrag eintrat. Die , konservative englische Regierung liegt seit Wochen unter dem starken Beschuß der oppositionellen Presse und Propaganda, die ihr vorwerfen, England an die USA zu „versklaven“. Es geht um die Stationierung amerikanischer Atomwaffen und Raketenbasen in Schottland. Nun hat bei dieser Kampagne gegen die Regierung offensichtlich der linke Flügel der Labour-Party die Vorhand, das aber schlief)) nicht aus, dafj dieses Mal weite Kreise, die keineswegs links stehen, mit der Forderung: „Verhandelt mit den Russen!“ sympathisieren. Die Reaktion Washingtons und Bonns über den Vorstoß MacMillans ist außerordentlich unsicher. Washington erklärte, „überrascht“ zu sein. Ein „Wirrwarr“ im State Department ist außerdem in den lefzfen Tagen durch eine vom amerikanischen Aufjenamt gutgeheißene Aussendung entstanden, in dem das Vorgehen der indonesischen Regierung mit kommunistischen Gewaltakten verglichen wurde. Indonesien protestierte, Washington zog zurück. Die momentane innere Schwäche und Orientierungslosigkeit der amerikanischen Politik konnte nicht auffälliger demonstriert werden. — Bonn begrüßte zunächst MacMillans Vorschlag, zog aber dann ebenfalls zurück, wohl um Washington nicht zu verärgern. Wohl versucht man, in Bonn im neuen Jahr mit Moskau in ein neues Gespräch zu kommen, steht auch nicht mehr vollkommen ablehnend einer Erörterung des polnischen Rapacki-Planes, Schaffung einer afomfreien Zone in Zenfral-europa gegenüber, man will sich aber Zeit lassen, um die Reaktionen in Washington und Moskau abzuwarten. Moskau seinerseits unterstützt durch eine Geste, Verringerung der Truppen in Ungarn und Ostdeutschland und Demobilisierung von 300.000 Mann, sein Drängen auf eine Absprache mit den Vereinigten Staaten und seine weitere Verwirrung des Westens. — Im ganzen: kein durchaus erfreuliches Bild, aber auch nicht ohne jede Hoffnung. Sehr zögernd und behutsam sucht der Westen sich an jenen Verhandlungstisch heranzutasten, zu dem die Katastrophen der vergangenen Jahre, zumal in Ungarn, den Weg versperrt haben.

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