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Das Recht auf die Privatsdiule

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Der Begriff Privatschule wird — ebenso wie das Wort Schule — in einem sehr weiten Sinne gebraucht. Er umfaßt nicht nur die privaten Pflicht- und Mittelschulen oder sonstige für die Jugend gedachten Schulen im landläufigen Sinne, sondern auch Einrichtungen, die sich mit dem Unterricht auf einem fachlich engbegrenzten Gebiet, wie Sprachen, Musik, Maschinschreiben, Gymnastik, Sport und anderes mehr, befassen und die zweckmäßigerweise als Kurse bezeichnet werden sollten.

An dieser Stelle sollen nur die privaten eigentlichen Schulen, die Volks-, Haupt- und Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten behandelt werden — kurz Privatschulen genannt — und die Frage ihres Rechtes und ihrer Berechtigung geprüft werden. Es darf vorweggenommen werden, daß fast slle derzeit bestehenden Schulen dieser Art auf katholischer, aber auch nichtkatholischer Seite von kirchen- und religionsgesellschaftlichen Korporationen, in der überwiegenden Zahl von katholischen /Schulorden, erhalten und geführt werden.

Die objektive Rechtsgrundlage der Privatschulen ist im Art. 17 des als geltendes Verfassungsgesetz erklärten Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger gegeben, in dem es heißt, daß jeder Staatsbürger, der seine Befähigung hiezu in gesetzlicher Weise nachgewiesen hat, berechtigt ist, Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen und an solchen Unterricht zu erteilen. Die näheren Einzelheiten sind hinsichtlich der Volks- und Hauptschulen sowie der Lehrerbildungsanstalten im Reichsvolksschulgesetz vom Jahre 1869, hinsichtlich der Mittelschulen im Privatschulgesetz vom Jahre 1850, beziehungsweise in der Mittelschulverordnung vom Jahre 1934, geregelt. Wie weit in Rücksicht auf die Schulen der katholischen Kirche, ihrer Orden und Kongregationen auch die Bestimmungen des Konkordats vom Jahre 1934, welche als Gesetzesbestimmungen weder aufgehoben oder derogiert worden sind, noch mic der geltenden Verfassung in Widerspruch stehen, Anwendung finden können, mag hier nicht erörtert werden. Fest steht jedenfalls, daß jeder Staatsbürger und somit auch jede inländische juristische Person (§ 26, ABGB.), bei Vorhandensein der Voraussetzungen, ein verfassungsmäßig gewährleistetes Recht auf die Errichtung und Führung von Privatschulen hat, unbeschadet des dem Staate rücksichtlich des gesamten Unterrichts- und Erziehungswesens zustehenden Rechtes der obersten Leitung und Aufsicht.

Abgesehen von dieser positiv rechtlich eindeutig feststehenden Formalseite, soll nun die Berechtigung der Privatschulen von der rechtspolitischen Seite aus betrachtet werden. Nach den Bestimmungen des vom Naturrechte erfüllten § 139, ABGB. haben die Eltern das Recht und die Pflicht, ihre Kinder zu erziehen und ihnen Unterricht zuteil werden zu lassen. Die Unterrichtspflicht wurde durch das Reichsvoliksschulgesetz vom Jahre 1869 bekräftigt und hinsichtlich des Mindestausmaßes des Unterrichtes abgegrenzt. Wenn nun der Staat ein derartiges Unterrichtspostulat aufstellt, dann hat auch er zweifellos die Pflicht, Maßnahmen zu treffen, um den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten die Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtung den Kindern gegenüber zu ermöglichen. Diese Maßnahmen sind getroffen worden, indem bestimmten öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften (Gemeinden, Länder) von Gesetzes wegen auferlegt ist, bei Zutreffen genau umschriebener Voraussetzungen, Schulen zu errichten, die allen Kindern zugänglich zu sein haben. Diese öffentlichen Schulen sind somit — in der historischen Entwicklung gesehen — ein aus dem Gemeinschaftsgeist des Staates entstandenes Hilfsmittel für die Eltern zur Erfüllung ihrer Unterrichtspflicht den Kindern gegenüber. Daß damit zwangsläufig auch eine Gemeinschaftserziehung und ein Gemeinschaftsunterricht gegeben ist, ist pädagogisch von ganz besonderem Werte, wenngleich es gesetzlich nicht erforderlieh ist.

Soll es aber nun den Eltern und den Erziehungsberechtigten zur Pflicht gemacht werden, ihre Kinder nur in staatliche Schulen zu schicken, oder soll es ihnen freistehen — unter voller Beachtung der im Interesse der Kinder gesetzlich angeordneten Unterrichtspflicht — in Ausübung ihrer Gewissensfreiheit ihre Kinder in Schulen zu geben, von denen sie die freie Überzeugung haben, daß diese Schulen ihre Kinder in dem Geiste weitererziehen, in dem sie selbst ihre Kinder zu Hause in der Familie erziehen? Es sind dies in praktischer Bedeutung die schon erwähnten konfessionellen Privatschulen, die ebenso wie die öffentlichen Schulen unter staatlicher Aufsicht stehen und nach ihrer Einrichtung, sei es in äußerer oder innerer Organisation, das gleiche Lehrziel wie jene verfolgen, und die, mit dem öffentlichkeitsrecht versehen, für die Schüler auch die gleiche Rechtswirkung haben wie die staatlichen Schulen. Könnte man sich diese Schulen, die an der Entwicklung des österreichischen Schulwesens in so hervorragender Weise Anteil genommen haben, überhaupt wegdenken? Man denke nur, um einige Namen aus der großen Zahl zu nennen, an die Schulen der Christlichen Schulbrüder, der Ursulinen, der Dominikanerinnen, der Englischen Fräulein, Sacre Coeur, der Schul-schwestern und aller anderen Schulorden, an das Schottengymnasium in Wien, die Gymnasien in Melk, Kremsmünster, Seitenstetten und alle anderen, die alle die österreichische Schule in höchstem Maße verkörpern und Stätten der Pflege wahren österreichertums sind. Man könnte sagen, daß diese Schulen in den Jahren 1938 bis 1945 ja auch nicht bestanden haben, worauf zu erwidern wäre, daß es in dieser Zeit aber auch kein Österreich und keine österreichische Schule gegeben hat.

Nein, das Recht der Eltern kann man in einem demokratischen Staate nicht abschaffen. Und ebensowenig kann man diese Schulen, die im Bedürfnis eines nicht kleinen Teiles des österreichischen Volkes ihre Grundlage haben, beseitigen.

Der tiefste Sinn der Demokratie ist das anständige Zusammenleben aller. Dazu gehört aber vor allem auch die Achtung und Anerkennung der Meinung und Auffassung des anderen, sofern diese Auffassung nicht der Allgemeinheit zum Schaden gereicht. Wem gereicht es zum Schaden, wenn Eltern aus freier Uberzeugung ihre Kinder in konfessionelle Privatschulen schicken?

Nebenbei sei vermerkt, daß beispielsweise in Wien die rund 50 privaten Volks- und Hauptschulen überfüllt sind. In den meisten anderen Städten zeigt sich dieselbe Erscheinung. In fast allen Anstalten mußten viele Neu-anmeldungen von Schülern wegen Überfüllung abgelehnt werden. Die staatliche Schulverwaltung wird bei den bestehenden großen Mangel an Lehrern und an Räumlichkeiten in eine unüberbrückbare Verlegenheit kommen, wenn diese Privatschulen schließen würden.

Aus alldem ergibt sich somit, daß die Privatschulen ihre Berechtigung aus dem Willen eines großen Teiles des Volkes haben. Da diese Schulen die staatliche Schulaufsicht und die vom Staate gegebenen Richtlinien hinsichtlich der Organisation der Lehrziele mit den öffentlichen Schulen gemeinsam haben, halben sie aber auch bei Erfüllung dieser Voraussetzungen den Anspruch, als richtige Schulen anerkannt zu werden, somit den Anspruch auf das öffentlichkeitsrecht, das ist vor allem das Recht, staatsgültige Zeugnisse auszustellen.

Aber noch ein weiteres Recht haben die Eltern der solche Privatschulen besuchende Kinder billigerweise zu fordern. Die öffentlichen Schulen werden aus öffentlichen Mitteln, also aus Steuergeldern erhalten und gewähren hinsichtlich der Pflichtschulen unentgeltlichen Unterricht. Die Privatschulen hingegen müssen aus den Schulgeldern der Eltern erhalten werden. Damit wird das den Eltern verfassungsmäßig zustehende Recht der Gewissensfreiheit, ihre Kinder eine konfessionelle Schule besuchen zu lassen, praktisch insoferne eingeschränkt, als diese Eltern doppelt für den S c h u 1 u n te r h a 11 aufkommen müssen, und zwar einerseits durch Steuerleistung, andererseits durch das Schulgeld. Es erscheint daher nur billig, daß solche Privatschulen mit öffentlichkeitsrecht, die infolge ihrer Schülerzahl öffentliche Schulen praktisch ersetzen und den öffentlichen Schulerhaltern die Mittel für den Schulaufwand ersparen, aus öffentlichen Mitteln einen Schulkostenbeitrag erhalten, der den Elterp. die Last des doppelten Schulgeldes erleichtert Die ganze Frage der Privatschule ist sonv notwendigerweise überhaupt keine Streit frage, da beide Auffassungen, jene, die den Standpunkt der staatlichen Schule, und jene, die den Standpunkt der Privatschule vertritt nebeneinander als zwei sich nicht berührende Kreise in einem größeren gemeinsamen Kreis nämlich der obersten staatlichen Leitung un Aufsicht des Unterrichts- und Erziehungs wesens, bestehen können.

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