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Der Welt des Pluralismus echte Werte vermitteln

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Der Ansturm auf die Privatschulen (FUR- CHE-Serie „Privatschule gesucht?“ , 18-24/1985) hält unvermindert an. Was macht diese Schulen, insbesondere jene in katholischer Trägerschaft, so attraktiv? Was bieten sie, was andere kaum bieten können?

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Der Ansturm auf die Privatschulen (FUR- CHE-Serie „Privatschule gesucht?“ , 18-24/1985) hält unvermindert an. Was macht diese Schulen, insbesondere jene in katholischer Trägerschaft, so attraktiv? Was bieten sie, was andere kaum bieten können?

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Privatschulen erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit; zumindest hält der Zulauf zu ihnen in unverminderter Stärke an. Das hat seinen Grund entweder in einem Mißtrauen der Eltern gegenüber der pädagogischen Betreuunginden Staatsschulen oder in der Erwartung, daß die Privatschulen dem Bildungsauftrag besser gerecht würden, das heißt: für eine heute notwendige Bildung Besseres leisten.

Das kann im einzelnen unterschiedliche Gründe haben: das vermutete größere Engagement der Lehrer, der besondere Stil des Umgangs miteinander, eine persönlichere Atmosphäre.

Wenn man allerdings bedenkt, daß es zumeist die konfessionellen Privatschulen sind, die von den Eltern besonders bevorzugt werden, muß wohl die Frage ge-

stellt werden, ob nicht die religiöse Fundierung der Erziehung und Bildung für deren Bevorzugung ausschlaggebend ist.

Natürlich erwarten alle Eltern, daß ihre Kinder in der Schule viel lernen, damit sie in der Gesellschaft gute Aufstiegschancen haben, daß sie sich in der Welt zu- reChtfinden, den zukünftigen Herausforderungen gewachsen sind. Das alles leistet die öffentliche Schule auch. Offensichtlich erwarten die Eltern aber auch von der Schule, daß diese ihren Kindern „Werte“ vermittelt, daß sie zur „Charakterbildung“ beiträgt, daß die Fragen der Haltung und Erziehung nicht vernachlässigt werden. Offensichtlich wird gerade dieses den konfessionellen Privatschulen in besonderer Weise zugetraut, und offensichtlich wird darin eine besonders wichtige Aufgabe gegenwärtiger Schule und Pädagogik gesehen.

Die sogenannte pluralistische, freiheitliche Demokratie verzichtet darauf, dem Menschen ein fe stes Wertsystem vorzuschreiben, öffentliche Schulen und weitgehend auch die moderne Erziehungswissenschaft haben daraus die falsche Konsequenz abgeleitet, daß Pädagogik wertfrei sein müsse, daß jeder Versuch, von Werten und Normen zu sprechen, ihre Verbindlichkeit zu betonen, Ausdruck einer repressiven Erziehung und Schule sei. Sie haben damit übersehen und unterschlagen, daß gerade in einer Zeit größerer Freigabe des Individuums, daß gerade in einer Zeit, die so ausdrücklich die Autonomie des Menschen betont, sein Recht zur Selbstbestimmung hervorhebt, die wichtigste pädagogische Aufgabe darin besteht, ihm jene Mündigkeit, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit zu vermitteln, die ihn zur Selbstbestimmung befähigt.

Wo diese Erziehungsaufgabe nicht wahrgenommen wird, da entartet Autonomie in Willkür, Selbstbestimmung in beliebige Selbstverwirklichung. Die bloße Relativierung von Normen und Werten bedeutet immer Unterwerfung unter die Mächtigeren; seien dieses gesellschaftliche Moden, die herrschenden gesellschaftlichen Gruppen oder auch die sogenannten subjektiven Bedürfnisse.

Es ist keine Frage, daß das öffentliche Schulwesen dieser Gefahr besonders ausgeliefert ist: daß die Erziehung zugunsten des Unterrichts vernachlässigt wird: intellektuelle, vorweisbare, „ope- rationalisierbare“ Leistung zählt; an die Stelle der Erziehung tritt allenfalls die durch Gesetze gesicherte Schuldisziplin; an die Stelle der Lehrerhaltung treten die Funktion und die Rolle.

Der Glaube an die überzeugende Kraft von Wort und Beispiel ist ersetzt durch sogenannte Strategien, mit denen allenfalls gewünschtes Verhalten hergestellt werden kann. Von einer Erziehung, die auf Haltung und Gesih- nung, Einstellung und begründetes Wertbewußtsein bezogen ist, kann weitgehend nicht mehr die

Rede sein.

Zwar gilt auch für das öffentliche Schulwesen jener Erziehungsauftrag, daß die Schule unter dem Anspruch der Idee des Wahren, Guten und Schönen, so wie er in den Schutzgesetzen von 1962 bestimmt ist, steht. Für viele aber sind diese Grundbestimmungen zu Leerformeln verkommen, das heißt, sie haben ihre bestimmende Kraft für die Erziehung verloren. Sie gelten allenfalls als ideologischer Überbau ohne Verpflichtung für das pädagogische Handeln und seinen Zweck.

Diesem Mißverständnis von Pluralismus und Freiheit scheinen die konfessionellen Schulen, jedenfalls ihrer Grundintention nach, nicht in gleicher Weise erlegen zu sein. Im Glauben und in der Offenbarung finden sie ein tragfähiges Fundament, das allen Zweifel überwindet, das den Werten in der Welt ein unüberbietbares Kriterium ermöglicht, das Selbstbestimmung von aller Willkür befreit, weil ihr im Gebot der Gottes- und Nächstenliebe ein Maß für alles Sollen, für die Auf- gabenhaftigkeit des Lebens gegeben ist.

Dieses Fundament bedeutet gleichzeitig Auftrag und Grund für Erziehung. Konfessionell fundierte Schule scheint weniger in Gefahr, in bloßer Wissensvermittlung aufzugehen; für sie ist das Lernen nicht nur das Sammeln von Informationen, sondern geleitetes Suchen nach Wahrheit, das den Auftrag der Erziehung und die Frage nach der Haltung einschließt. Soziale Erziehung weiß sich fundiert in jener Nächstenliebe, die den anderen als Geschöpf Gottes in seiner Würde anerkennt, und dessen unendlichen Wert in der Erlösung durch Christus ausdrücklich bestätigt sieht.

Das unmittelbare Bewußtsein von der allgemeinen Gottes- und Nächstenliebe kann dem pädagogischen Umgang eine besondere Dignität verleihen: dem Umgang des Lehrers mit den Schülern, der Lehrer untereinander, mit der Schulleitung und der Partnerschaft zwischen Schule und Elternhaus.

Man wird darauf hinweisen müssen, daß dies alles auch für die öffentliche Schule gilt: Anerkennung der personalen Würde des Menschen, deren Konsequenz für die gesamte Schulatmosphäre. Es soll hier auch kein besonderes Privileg für die konfessionellen Schulen reserviert werden, wohl aber ist eine besondere Verpflichtung jener Schulen festzuhalten, die ihr pädagogisches Handeln ausdrücklich im Namen des Glaubens begreifen.

Damit ist nicht der Versuch religiöser Indoktrination zu recht- fertigen, nicht eine vielleicht frü her betriebene ideologische Verengung gemeint, sondern einą Erziehung, die weiß, daß der Mensch zum Werten aufgerufen ist, daß ihm aber die Schöpfung nicht zu willkürlichem Gebrauch anvertraut ist; eine Erziehung, die weiß, daß jeder Mensch als Zweck seiner selbst anzuerkennen ist, weil er—wie ich—Geschöpf Gottes und Erlöster gleichzeitig ist; eine Erziehung, die bei allem geschichtlichen Wandel jenes Fundament nicht vergißt; eine Erziehung, der der Begriff der Freiheit nicht zum Vorwand für Willkür und Beliebigkeit wird, sondern zum Auftrag, in der Selbstbestimmung die Ebenbildlichkeit zu verwirklichen.

Der Autor ist Ordinarius für Pädagogik an der Universität Wien.

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