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„Die schlechte Schule“

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Nickt der frevelhafte Wunsch, einen Streitgegenstand in das öffentliche Leben unseres in seinem Wiederaufbau begriffenen und des inneren Friedens bedürftigen Landes zu werfen, sondern die übereinstimmende Erkenntnis, daß in diesem Wiederaufbau gerade dem Schulwesen eine besondere Fürsorge gebühre, hat dieses Thema auf die Tagesordnung stellen lassen. Dabei mußte Klarheit bestehen, daß damit eines der heikelsten Gebiete betreten wird, auf dem sich weltanschauliche, kulturpolitische und politische Anschauungen kreuzen und die Auseinandersetzung durch alte Anhäufungen von Schlagworten und Vorurteilen, harmlosen und bösartigen, erschwert wird. Um so mehr muß es allen denjenigen, die sich ihrer Verantwortung gegenüber Volk und Staat in dieser von tödlichen Gefahren erfüllten europäischen Wetterlage bewußt sind und denen es ernstlich um die Zukunft unseres Schulwesens zu tun ist, daran liegen, einen leidenschaftslos sachlichen, von Wahrheits- und Gerechtigkeitswillen diktierten Austrag zu fördern.

In das Zentrum der- öffentlichen Debatte um die vorliegenden Schulprogramme ist von Woche zu Woche immer mehr das Privatschulwesen gerückt worden. Verglichen mit dem imposanten Organismus unserer Staatsschule bildet die Privatschule in Österreich — in erster Linie ist es die katholische — nur eine recht bescheidene Größe..Aber die Begriffswelt, die dem Anspruch auf die Privatschule zugrunde liegt, erhebt für das christliche Denken die Privatschule zu einem Kardinalpunkt der Schulprogrammatik. Um es ganz deutlich zu machen: das Verlangen nach der Anerkennung des Rechtes auf Gründung und Erhaltung von Privatschulen ist nicht parteipolitischer, sondern grundsätzlicher Wesenheit. Der katholische Wähler stellt jede Partei hier vor ein entscheidendes Entweder- Oder, von dem seine Haltung bestimmt werden wird. Enweder anerkennt man die Gewissensfreiheit und das vom Gewissen bestimmte primäre und freie Recht der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder, oder man verwirft es. Ein Drittes gibt es nicht. Die Forderung enthält keinen Pauschalvorwurf gegen die Staatsschule, in der viele ausgezeichnete Lehrer wirken, sondern sie ist auf das Vorbild, eine Ganzheit der religiösen Erziehung gerichtet.

Die Einwürfe, die gegen die Forderung erhoben werden und nicht selten sogar den Bestand der Privatschulen bestreiten wollen, beruhen auf einer Verkennung staatsbürgerlicher Grundrechte und auf einer erstaunlichen Unkenntnis der tatsächlichen Sachlage. Der Haupteinwurf ist, die Privatschule sei eine Schule der begüterten Klasse, eine „bourgeoise Schul e“, die von früh auf das Kind aus dem Volksganzen loslöse und in einer einseitig bürgerlichen Atmosphäre erziehe, somit einen schädlichen Klassengegensatz nähre. In einer Versammlung ist jüngst sogar von einem vornehmen Amtsträger der Sozialistischen Partei eine Unterscheidung zwischen der „guten“ und der „schlechten Schule“ gemacht worden unter Wendungen, welche die Schule der religiösen Erziehung gemeinhin als „schlechte“ disqualifizierten. Es trägt wenig zur Würde einer Debatte bei, wenn in solchem Zusammenhang die Berufung auf das freie demokratische Recht zur Begründung des Begehrens nach der Privatschule mit dem Verlangen nach der Freiheit des Analphabetentums verglichen wird.

Man habe doch den Mut, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen! Eine Erhebung an den Wiener katholischen Privatschulen, die bekanntlich von geprüften Lehrern nach den staatlichen Lehrplänen unter schulbehördlicher Kontrolle geführt sind, stellt fest, daß an den 65 einbezogenen Schulen die Kinder aus Familien des Arbeit er st an des und der Kategorie des kleinen Angestellten den durchschnittlich stärksten Prozentsatz—43% — stellen, in der Volksschule sogar 46%, daß sie aber auch an den privaten katholischen Realgymnasien mit 40% und an den katholischen Lehrerbildungsanstalten mit 38% den größten Anteil unter allen sozialen Bevölkerungsgruppen repräsentieren. Hier enthüllt sich kein Geheimnis; jeder erfahrene Schulmann ist längst mit dem bevölkerungspolitischen Bild an den katholischen Privatschulen vertraut. Die „bourgeoise Klosterschule“ ist eine Chimäre aus verzerrter politischer Vorstellungswelt, nicht geschaffen, im hellen Taglicht der Untersuchung standzuhalten. Die aufgezeigte soziale Schichtung in der Schülerwelt der katholischen Privatschulen wäre nicht zu erklären ohne das bewußte Bemühen der Anstaltsleitungen, sie zu pflegen. Die Schulbrüder von Fünfhaus reihen beispielsweise die Aufnahmswerber mit Voranstellung dreier bevorzugter Gruppen: der Kinder ehemaliger Schüler, der Söhne von Gefallenen und Kriegsversehrten und drittens der sozial gefährdeten Kinder aus Familien, in denen Vater und Mutter in Arbeit stehen. Erst an vierter Stelle stehen alle anderen Anmeldungen. In dem heute stark proletarischen Bezirk war die Zahl der Meldungen für das jetzige Schuljahr sechsfach größer als die möglichen Zulassungen — eine unverlangte Volksabstimmung einer Arbeiterbevölkerung über den Wert einer katholischen Schule. Die Opfer, die aus der Masse der kleinen Leute gebracht werden, um ihren Kindern eine allgemeine diristliche Erziehung zu sichern, sind heroisch, und es ist frivol, wenn sie, wie es geschehen ist, öffentlich als „Luxusausgabe“ bewertet werden. Der Hohn hat viele Arbeiter und unter ihnen viele Sozialisten getroffen, die ihre Kinder in katholische Privatschulen schicken. Auch sie werden sich nicht damit abfinden, daß der Appell an das Rechtsempfinden umsonst sei und das Opfer, das sich Eltern nach ihrem Gewissen für die Erziehung ihrer Kinder bisher auf erlegten, durch die trotzige Ablehnung jeder ‘staatlichen Leistung zu diesen Lasten in eine Strafe verwandelt werde.

Die Haltung der Parteien in der Schulfrage wird ein Maßstab für bleibende Wertbemessungen sein.

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