Erziehung zum Menschsein

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120 in Wien und 338 bundesweit: Katholische Privatschulen sind aus Österreichs Bildungslandschaft nicht wegzudenken. Doch was bieten sie wirklich?

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120 in Wien und 338 bundesweit: Katholische Privatschulen sind aus Österreichs Bildungslandschaft nicht wegzudenken. Doch was bieten sie wirklich?

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Englisch ab acht, Ökologieschwerpunkte, Lap-topklassen und Europäischer Computerführerschein: Österreichs katholische Privatschulen machen sich und ihre 65.000 Schülerinnen und Schüler fit für die Zukunft. Um im Wettbewerb mit staatlichen und anderen privaten Schulen tatsächlich die Nase vorn zu haben, genügt es nicht mehr, sich nur auf gutem Ruf auszuruhen: Die Ansprüche steigen und die Schülerzahlen sinken - hierzulande schon bald von 1,2 Millionen auf nur eine Million. Zeit also, um die Trümpfe aus dem Ärmel zu ziehen. Doch was unterscheidet heute noch eine katholische von allen anderen Schulen? Mehr als der verpflichtende Religionsunterricht, das Morgengebet oder die (ohnehin selten gewordenen) Geistlichen an Tafel, Overhead und Video-Beamer? Im Furche-Gespräch beschreibt die Direktorin des Gymnasiums und Realgymnasiums im Schulzentrum Friesgasse (Wien-Fünfhaus), Schwester Beatrix Mayrhofer, ihre Vorstellungen dessen, was eine katholische Privatschule bieten kann - und was nicht. Sechs Einrichtungen mit insgesamt 1.400 Schülerinnen und Schülern werden von den "Schulschwestern von Unserer Lieben Frau" in der Friesgasse geführt (www.schulefriesgasse.ac.at): Neben der AHS sind hier auch ein Kindergarten, eine Volksschule, eine Hauptschule, eine Handelsschule und ein Halbinternat untergebracht.

die furche: Sie haben es als Herausforderung bezeichnet, im 15. Wiener Gemeindebezirk eine katholische Privatschule zu führen. Warum?

Mayrhofer: Wir sind in keinem noblen Viertel der Stadt, das weiß jeder, der Wien kennt. Wir haben durch den Gürtel eine hohe Verkehrsfrequenz und eine schlechte Lebensqualität, was die Wohnungspreise sinken lässt. Viele arme Familien, vor allem aus Flüchtlingssituationen, lassen sich deshalb hier nieder. Weiters haben wir durch die Westbahnhofnähe das Drogenproblem mit den Folgen Beschaffungskriminalität und Prostitution. Unsere Schule sehen wir hier als "Arche Noah", spüren die Situation aber insofern, als unsere Schule von Kindern verschiedener Nationalitäten besucht wird. In diesem Schuljahr haben wir 32 Nationen, 19 Muttersprachen und zwölf Religionsbekenntnisse.

die furche: Wird für diese Kinder ein adäquater Religionsunterricht angeboten?

Mayrhofer: Da wir die Schule aus christlicher Überzeugung führen, erwarten wir von den Christen die Bereitschaft, sich in ihrer Religion zu bilden. Wir bieten im Haus katholischen, evangelischen, orthodoxen, und altkatholischen Unterricht an. In der Handelsschule mit einem hohen Anteil muslimischer Schüler gibt es auch einen islamischen Religionsunterricht, wobei wir aber von den nichtchristlichen Kindern nicht zwingend den Besuch dieses Unterrichts verlangen. Speziell im Islam verpflichtet ja der Koran den Vater zur religiösen Erziehung seines Kindes.

die furche: Sind Privatschulen noch immer Eliteschulen?

Sr. Beatrix Mayrhofer: Wenn man darunter die Elite derer versteht, die sich um Weltoffenheit, Menschlichkeit und Toleranz bemühen, dann würde ich gerne eine Eliteschule sein. Wir sind sicher keine Eliteschule im Sinne einer Schule für die gehobene Schicht der Gesellschaft. Von unserer Tradition her sind wir immer gefordert zu fragen: Wer sind die Armen? Da wir gezwungen sind, monatlich 1.250 Schilling Schulgeld einzuheben, wird natürlich in gewisser Weise selektiert. Aber alle sind herzlich eingeladen, zuzuschießen.

die furche: Es ist viel von schulischem Wettbewerb die Rede. Womit kann eine katholische Privatschule punkten?

Mayrhofer: Unser Vorteil ist, dass es eine klare, vorgegebene Grundausrichtung gibt. Speziell wir Ordensfrauen sind ganz frei für den Dienst der Erziehung, weil wir eben keine Dienststunden haben. Grundsätzlich schicken Eltern ihre Kinder aus drei verschiedenen Gründen zu uns: die einen, weil sie für ihr Kind eine gute Schule haben wollen, wo auf ihr Kind und auf gute Leistungen geschaut wird. Andere wollen dezidiert eine christliche Schule. Wieder andere, vor allem Frauen, brauchen schlicht und einfach eine Ganztagsbetreuung, weil sie in einer Notsituation sind. Daher öffnen wir schon um 6 Uhr 45 das Schultor und bieten Mittags-, Nachmittags- und Lernbetreuung. Auch viele Kinder aus Gastarbeiterfamilien sind an unserer Schule, deren Eltern in Österreich bereits recht gut etabliert sind und denen bewusst ist, dass ein sozialer Aufstieg ihres Kindes nur über die Schulbildung möglich ist.

die furche: Es ist viel von Erziehungsvereinbarungen zwischen den Schulpartnern, also Eltern, Lehrern und Schülern die Rede. Wieviel Erziehung kann die Schule leisten?

Mayrhofer: Wir können die Erziehung im Elternhaus ergänzen, aber ganz sicher nicht ersetzen. Das zu glauben wäre eine Illusion. Aber wenn die Erziehung schon zu Hause schwierig ist, dann soll das Kind nicht unbedingt in ein doppeltes Chaos geraten, indem es auch an der Schule durch alle Netze fällt.

die furche: Bei so genannten "Erziehungsprojekten" sollen etwa gemeinsam mit den Schülern die Folgen disziplinärer Verfehlungen festgesetzt werden. Gibt es so etwas an Ihrer Schule?

Mayrhofer: Nein, aber wir sind in der glücklichen Lage, uns einen eigenen Schulpsychologen leisten zu können, der in der Schule seine Ordination hat und vom Schulerhalter und den Eltern bezahlt wird. Strategisch günstig ist die Eingangstür zum Psychologen gleich neben dem Schulbuffet. Da fällt es nicht auf, wenn sich ein Kind hineinschleicht. Es gibt an der Schule auch einen schulformenübergreifenden Arbeitskreis, wo wir Kolleginnen und Kollegen besser ausbilden möchten in Konfliktmediation. Fernziel ist, auch Schüler dafür auszubilden, damit Oberstufenschüler den Unterstufenschülern bei der Lösung ihrer Konflikte helfen können.

die furche: Die vielen Wünsche an die Schule reichen vom Erlernen von soft skills bis zu mehr Faktenwissen. Was sollen Schüler in der Schule lernen?

Mayrhofer: Beides. Stricken kann man nur mit Wolle lernen: Ich brauche das Faktenwissen, um überhaupt die richtigen Fragen stellen zu können. Nicht umsonst hat der neue Lehrplan Kern- und Erweiterungsstoff. Schwierig ist der Übergang von der Fülle an Information zum Wissen, und vom Wissen zur Weisheit. Praktisch jedes Fach arbeitet mit modernen Informationsmedien, aber in der Pädagogik stehen wir noch ganz am Anfang.

die furche: Was halten Sie vom Ethikunterricht?

Mayrhofer: Viel. Ich sehe ihn auch in keiner Weise als Gefahr für den Religionsunterricht. Gibt es im Fach Religion klare Ziele, so muss man erst definieren, welche Ethik im Ethikunterricht gelehrt wird und wer die Normen setzt. Dass sich aber junge Leute mit ethischen Fragen auseinandersetzen müssen, ist jedem klar, der Nachrichten hört: Darf man den Menschen klonen? Darf die Biogenetik das tun, was sie kann? Auch der BSE-Skandal ist ein Schrei nach der Ethik.

die furche: Ihr Wunsch an Bildungsministerin Gehrer?

Mayrhofer: Der Wunsch geht eher an den Finanzminister. Ich wünsche mir, dass der österreichische Staat der Bildung eine hohe Priorität einräumt. Wer Geld investiert in die Landesverteidigung, sollte sich bewusst sein, dass die beste Sicherheit der Zukunft die Bildung der nächsten Generation ist.

die furche: Ihre Wünsche an die Eltern?

Mayrhofer: Dass sie sich nicht die Mühe des Erziehens sparen, die Erziehung der Schule überlassen und dann den Lehrern in den Rücken fallen, wenn sie Erziehungsmaßnahmen setzen. Das empfinde ich als das Belastendste. Man kann an jedem Kind arbeiten, wenn Lehrer und Eltern an einem Strang ziehen. In der AHS wünsche ich mir, dass Eltern ihrem Kind zugestehen, dass es das werden darf, was es kann, und nicht das, was sich die Eltern einbilden. Manche überfordern ihre Kinder maßlos.

die furche: Glauben Sie, dass es am Ende dieses Jahrhunderts noch katholische Privatschulen geben wird?

Mayrhofer: Ja. Wenn Christen das Evangelium leben, kann es ihnen nicht egal sein, wie Kinder erzogen werden: Das Evangelium besitzt Sprengkraft, gerade für den Bildungsauftrag. Solange es engagierte Christen gibt, wird es katholische Schulen geben.

Das Gespräch führte Doris Helmberger

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