"Das Ministerium ist keine zensurbehörDe"

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"Es reicht heute nicht aus zu wissen, dass es fünf Weltreligionen gibt. Hier gibt es auch im Islam zu wenig aufklärerische Momente."

"Es wäre sehr sinnvoll, den Wissenschaftlern etwas an die Hand zu geben, wie sie mit dem Partner Politik -der ja unerbittlich sein kann -umgehen sollen."

"Primär sollen Eltern natürlich motiviert werden. Sanktionen sind erst am Ende einer langen Kette angedacht, und auf diese Kette werde ich Wert legen."

Vergangene Woche die "Deutschförderklassen", nun die Unifinanzierung (siehe rechts): Heinz Faßmann, von der ÖVP nominierter Minister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, hat viel zu tun -und nun deutlich weniger Freiheiten als an der Universität, wie er vergangenen Montag beim Science Talk in der Wiener Aula der Wissenschaften gestand. Was sagt er insgesamt zum Verhältnis zwischen Politik und Wissenschaft -und anderen heißen Eisen in der Bildungspolitik? DIE FURCHE hat mit dem Neo-Politiker, der zuvor schon als Vorsitzender des "Expertenrats für Integration" Sebastian Kurz beraten hat und als Professor für Angewandte Geografie, Raumforschung und Raumordnung Vizerektor der Universität Wien war, gesprochen.

Die Furche: Herr Minister, vor sechs Wochen sind Sie von der Universität in die aktive Politik gewechselt. Wie schwierig ist dieser Übergang?

Heinz Faßmann: Er ist schwierig, keine Frage. Aber gerade wenn man als Sozialwissenschaftler in einem Bereich mit gewisser Anbindung an gesellschaftliche Veränderungen tätig ist, dann ist es irgendwann naheliegend, diese Veränderung auch mitgestalten zu wollen. Es gibt auch einen Trend an den Universitäten, diese "Third Mission", diese dritte Mission neben Forschung und Lehre, zu verstärken. Wissenschaftler sollen nicht nur im Elfenbeinturm sitzen, sondern sich auch aus ihrer wissenschaftlichen Denkperspektive - und nicht aus der Ideologie eines Parteibuchs heraus -mit gesellschaftlichen Entwicklungen auseinandersetzen, Fakten und Widersprüche feststellen und dann versuchen, Lösungen zu finden.

Die Furche: Aber wenn es darauf ankommt - etwa in Regierungsverhandlungen -hat man oft den Eindruck, dass wissenschaftliche Expertise keine Rolle mehr spielt. Der Bildungsforscher Stefan Hopmann hat etwa zum Regierungsprogramm gesagt, er hoffe "bei Gott, dass man diesen Schwachsinn noch stoppen kann". Konkret meinte er das Veröffentlichen von Bildungsstandard-Testergebnissen, weil dies die soziale Segregation noch verschärfen würde

Faßmann: Man kann nicht einfordern, dass jeder Wissenschaftler gehört wird, und Kollege Hopmann neigt auch zu einer deutlichen Sprache. Was er aber sagen möchte, ist klar -und letztlich eine Güterabwägung: Nehme ich bei der Veröffentlichung bestimmter Ergebnisse in Kauf, soziale Segregationsmerkmale zu verstärken? Oder will ich bestimmte empirische Verteilungen unter den Tisch kehren, nur weil sie politisch nicht opportun sind? Da hat Hopmann die angenehme Situation eines Wissenschaftlers, der etwas locker sagen kann und nicht auch den anderen Standpunkt berücksichtigen muss - wie ich jetzt.

Die Furche: Wie schwierig das Verhältnis von Politik und Wissenschaft sein kann, wurde im Fall der "Vorstudie" des Religionspädagogen Ednan Aslan über "islamische Kindergärten" deutlich, die von Beamten des Integrationsministeriums "zugespitzt" worden sein soll. Die Agentur für wissenschaftliche Integrität hat in der Studie Mängel, aber kein wissenschaftliches Fehlverhalten festgestellt. Weil es keine "Regeln über die Kooperation mit staatlichen Auftraggebern" gebe, hätten diese auch nicht gebrochen werden können, hieß es. Wie kann es sein, dass es diese Regeln nicht längst gibt?

Faßmann: Es wäre tatsächlich sehr sinnvoll, den Kollegen etwas an die Hand zu geben, wie sie mit dem Partner Politik -der ja auch unerbittlich sein kann -umgehen sollen: etwa wie die Veröffentlichungspraxis von Studien aussehen soll oder wie man als Wissenschaftler die Interpretation in politischen Statements mitbegleiten kann - damit man nicht nachher sagen muss: Ich bin vollkommen missinterpretiert worden.

Die Furche: Wobei die Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt meinte, dass sie Aslans Studie als Masterarbeit negativ bewertet hätte. Kann man auf Basis solcher Arbeiten gute Politik machen?

Faßmann: Das war die Meinung von Frau Professor Felt -so wie Herr Professor Aslan eine andere Meinung hat. Inzwischen gibt es aber ohnehin eine neue Studie des Bildungsforschers Henning Schluß, aus der die Politik die - meiner Ansicht nach richtige -Erkenntnis gezogen hat, dass es im privat organisierten Kindergartenbereich mehr Qualitätskontrolle und eine Neuformulierung der Bildungsziele braucht, auch über die Rolle der Religion.

Die Furche: Im Grunde gab es zwei Studien: jene von Schluß und eine zweite von Aslan. Beide haben festgestellt, dass die Religion zuletzt aus den Kindergärten verdrängt worden sei -was problematisch ist, Stichwort "Hinterhofmoschee"

Faßmann: Das wäre tatsächlich bedenklich. Umso mehr muss man sich überlegen, wie man mit Religion in der vorschulischen Erziehung umgehen will.

Die Furche: Wie wichtig ist religiöse Bildung aus Ihrer Sicht?

Faßmann: Sie ist eine wichtige Grundlage der Erziehung. Es ist auch wichtig für die ethische Fundierung und Persönlichkeitsentwicklung heranwachsender Menschen, zu wissen, was moralisch gesehen richtig ist und was falsch. Ich bin deshalb auch keiner, der Religion aus Kindergärten und Schulen verbannen will, sondern ich habe immer gesagt: Österreich ist ein religionsfreundliches Land. Aber Österreich ist auch ein religionsneutrales Land. Mit diesem Weg sind wir gut gefahren, und das passt auch mit meinem persönlichen Weltbild überein.

Die Furche: Würden Sie sich als religiösen Menschen bezeichnen?

Faßmann: Das ist schwierig zu sagen: Was ist ein religiöser Mensch? Ich bin Mitglied einer evangelischen Gemeinde und war früher Presbyter, habe dieses Amt aber auf Grund von Arbeitsüberlastung niedergelegt. Insgesamt ist das aber meine Privatangelegenheit.

Die Furche: Laut Regierungsprogramm soll es künftig verpflichtenden Ethikunterricht für alle geben, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen. Das klingt, als wolle man ihn auf alle Schulstufen ausweiten -was hohe Kosten verursachen würde, zumal Ethik derzeit nur als Schulversuch in der Sekundarstufe II läuft

Faßmann: Das würde tatsächlich eine signifikante finanzielle Herausforderung darstellen. Deshalb muss man auch überlegen, wie man mit diesem Punkt umgeht, denn zugleich soll auch das Defizit gesenkt werden -und allein im Bildungskapitel gibt es 136 geplante Maßnahmen.

Die Furche: Allerdings ist der Ethikunterricht seit 20 Jahren ausdiskutiert und evaluiert. Und seit 20 Jahren warten die - ausgebildeten - Ethiklehrenden auf eine rechtliche Verankerung ihrer Tätigkeit.

Faßmann: Was raten Sie mir also?

Die Furche: Umsetzen! Schließlich ist es problematisch, wenn immer mehr Schüler keine religiöse und ethische Bildung erhalten.

Faßmann: Ich sehe das genauso, aber das ist halt kein Trivialproblem. Denn wir haben einen bekenntnisorientierten Unterricht - und die Frage ist, ob man diesem auch eine Stunde wegnehmen und zur Ethik geben soll. Das wird ja auch diskutiert, und die Frage ist, wie sich die Kirchen dazu verhalten. Das ist nicht einfach.

Die Furche: Die Regierung möchte "Modelle eines kooperativen und dialogischen Religionsunterrichts weiterführen". Sollte man das nicht auch auf andere Religionen ausweiten -etwa den Islam? Mehr zu wissen könnte ja auch Vorurteile reduzieren.

Faßmann: Das ist richtig. Es ist wichtig, dass sich Kinder im Religionsunterricht -unabhängig von ihrem eigenen Glauben - auch mit den Inhalten anderer Religionen auseinandersetzen. Es reicht nicht aus, einfach zu wissen, dass es fünf Weltreligionen gibt. Hier gibt es sicher auch im Islam zu wenig aufklärerische Momente.

Die Furche: Müsste es an den Unis also nicht mehr Angebote für islamische Religionspädagogik geben?

Faßmann: Die Universität Wien ist mit der Implementierung eines islamisch-theologischen Bachelorstudiums im vergangenen Herbst ohnehin Vorreiter. Aber auch das ist nicht einfach, denn es braucht entsprechendes wissenschaftliches Personal und gut ausgebildete islamische Theologen, die sich auch auf Deutsch verständigen können.

Die Furche: Bleiben wir bei der Deutschkompetenz: Sie haben mit den "Deutschförderklassen" ein zentrales Projekt der neuen Regierung vorgestellt. Von Lehrerseite gab es dafür viel Lob, von Wissenschaftern eher Kritik. Die Sprachwissenschafterin Eva Vetter hat etwa in der FURCHE erklärt, dass es keine validen punktuellen Sprachtests gebe, wie sie vorgesehen sind

Faßmann: Frau Professor Vetter ist eine von mir sehr geschätzte Kollegin, aber wir haben dieses Programm nach vielen Diskussionen schon 2014 im Integrationsbericht empfohlen. Und auch die Sprachwissenschaftler wissen natürlich, dass wir keine komplette Individualisierung anbieten und nicht für jeden, der in eine Klasse kommt und keine Deutschkenntnisse hat, eine eigene Lehrperson bereitstellen können.

Die Furche: Das wird auch nicht gefordert, sehr wohl aber, dass man die Kinder möglichst wenig separiert und ihre Erstsprachen fördert, weil dies für das Erlernen weiterer Sprachen wesentlich sei. Im Regierungsprogramm findet sich zur Mehrsprachigkeit aber nichts.

Faßmann: Aber wir haben ja schon jetzt mehrsprachigen Unterricht! Neu ist allerdings, dass man sich fragt: Wie gut war der bisherige Weg? Und jeder, der sich im Bildungssystem auskennt und auch objektive Faktoren wie PI-SA oder die Lesekompetenzstudie PIRLS heranzieht, sieht, dass die Leistungsunterschiede der Schüler und Schülerinnen mit und ohne Migrationshintergrund in Österreich größer sind als anderswo. Und sie verschwinden auch nicht, wenn man den sozioökonomischen Status als Kontrollvariable einführt. Eine These dazu ist, dass Schüler und Schülerinnen zu viel Zeit verlieren, bis sie im Unterricht richtig mitkommen. Am Ende von vier Volksschuljahren sind sie laut PIRLS in punkto Lesekompetenz fast zwei Jahre hinten.

Die Furche: Sie haben sich einmal als kein Freund von Sanktionen bezeichnet. Nun will man Eltern von Schulkindern bei mangelnder Mitwirkung die Sozialleistungen kürzen. Wie geht es Ihnen damit, solche Pläne exekutieren zu müssen?

Faßmann: Primär sollen die Eltern natürlich motiviert werden. Man könnte sie auch - verpflichtend - zu Elternabenden einladen. Sanktionen sind erst am Ende einer langen Kette angedacht, und auf diese Kette werde ich Wert legen.

Die Furche: Und worauf legen Sie insgesamt Wert bei der Bildung junger Menschen? Konkret gefragt: Was sind die wichtigsten Kompetenzen, die Schulen Kindern künftig vermitteln müssen? Deutschkenntnisse sind zwar zentral, werden aber angesichts von Digitalisierung und Roboterisierung allein kaum reichen

Faßmann: Das ist eine schwierige Frage. Eigentlich müsste es die Kompetenz sein, mit Veränderung umzugehen. Weil Veränderung ist die einzige Konstante der Zukunft. Es geht also ums Mitlernen, Nachlernen, am Ball bleiben, Interesse haben an der Neuigkeit.

Die Furche: Die Lehrpläne sind aber seit Jahren die alten

Faßmann: Deshalb steht auch im Regierungsprogramm, dass man prüfen will, ob die Lehrpläne noch adäquat sind. Ich war selbst im Fach Geografie an der Lehrplanerstellung beteiligt: hier müsste man etwa das Thema Migration mehr in den Blick nehmen, oder in Deutsch die Frage von Mehrsprachigkeit.

Die Furche: In Geschichte und Sozialkunde soll es laut Regierung mehr politische Bildung geben. Wie groß der Bedarf ist, hat die NS-Liedgut-Affäre um den FPÖ-Politiker Udo Landbauer gezeigt. Wie geht es Ihnen mit dieser Causa?

Faßmann: Man fragt sich natürlich: Wo bleiben die Lehren aus der Geschichte? Warum wird das alles so wenig reflektiert? Klar ist: Das ist nicht meine Welt und Denke.

Die Furche: Zuletzt haben rund 200 Universitätsangehörige Sie und Bundeskanzler Kurz in einem offenen Brief aufgefordert, "die Zusammenarbeit mit allen, die Mitglieder rechtsextremer Burschenschaften in ihren Büros beschäftigen", zu beenden. Haben sie den Absendern geantwortet?

Faßmann: Ich verstehe das Ansinnen und ich habe auch mit den Rektoren und einigen Professoren persönlich darüber gesprochen. Ich habe ihnen auch versprochen, weiter wachsam zu sein.

Die Furche: Aber müssten Sie als Bildungsminister nicht zumindest darauf drängen, sich Pennäler-Burschenschaften, in denen schon Schüler womöglich mit neonazistischem Gedankengut in Kontakt kommen, genauer anzuschauen?

Faßmann: Wenn es um einen Verstoß gegen das Verbotsgesetz geht, ist der Fall klar. Aber ansonsten kann ich hier keine Zensurbehörde sein. Es gibt ja auch politische Vorfeldorganisationen am anderen Ende des politischen Spektrums. Hier habe ich als Minister nicht die Autorität, einzugreifen. In der Schule braucht es aber umso dringlicher politische Bildung -und zwar eine ausgewogene, die die jungen Menschen nicht manipuliert.

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