Schnupperkurs in Demokratie

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Nach jahrzehntelangen Debatten ist nun "Politische Bildung" an der AHS als Teil eines Schulfaches verankert. Doch noch fehlen Lehrpläne und Bücher.

Im Februar ist es so weit: Erstmals erhalten die Schüler der 7. und 8. Klasse AHS im Februar nicht mehr Noten für das Fach "Geschichte und Sozialkunde", sondern für den neuen Unterrichtsgegenstand "Geschichte und Politische Bildung". Ein jahrzehntelanger Spießrutenlauf scheint an sein Ziel gekommen zu sein. Bereits 1978 wurde in einem Erlass des damaligen Bildungsministers Fred Sinowatz politische Bildung als "Unterrichtsprinzip" etabliert. Seit den 70er Jahren hatten auch Schulversuche zur Politischen Bildung Tradition. Mit dem Versuchsstadium an der AHS ist es nun seit 1. September vorbei - doch der Zwang zur Improvisation bleibt: Zwar wurde die Einführung des Unterrichtsgegenstandes Anfang Juni mit Zweidrittelmehrheit im Parlament beschlossen, nicht jedoch jener Passus, wonach diese Neuerung erst im Herbst 2002 wirksam werden soll. Fazit: Österreichs Gymnasien verfügen über ein neues Fach - ohne Lehrplan und Bücher. Wie es zu dieser Misere gekommen ist und wie man sie beenden will, schildert Peter Wirtitsch, Leiter der Abteilung Politische Bildung im Bildungsministerium, gegenüber der furche.

die furche: Politische Bildung war schon bisher ein Unterrichtsprinzip. Hat sich ein solches allgemeines Prinzip als zu zahnlos erwiesen?

Manfred Wirtitsch: Politische Bildung sollte - so der Erlass von 1978 - eigentlich eine ständige Aufgabe in allen Schultypen, Altersstufen und Gegenständen sein - in Mathematik etwa durch Statistiken zur Armut, oder in Biologie durch Umweltthemen wie Klimaveränderung. Im Rahmen des Unterrichtsprinzipes können wir aber nur motivieren. Erst mit der Verankerung in einem Pflichtfach besteht eine bessere rechtliche Grundlage.

die furche: Seit Jahrzehnten wird schon über den Gegenstand politische Bildung debattiert. Wo liegt das Problem?

Wirtitsch: In der AHS scheint das etwas ganz Plakatives zu sein wo man eine bildungspolitische Debatte aufhängen kann. Dabei gibt es in berufsbildenden mittleren und höheren Schulen, auch in den Berufsschulen und im Polytechnikum schon seit längerem Unterrichtsgegenstände, wo politische Bildung im Fach vorkommt.

die furche: Die Parlamentsdebatte im Juni war kontrovers bis chaotisch: Dass politische Bildung schon heuer in die Schulen kommt, war ja nicht zuletzt die Folge einer "Panne".

Wirtitsch: Ja. Unser ursprünglicher Vorschlag war, dass das Fach mit 1. September 2002 in Kraft tritt. Somit hätten wir genau jene Zeit zur Verfügung gehabt, die wir zumindest für den neuen Lehrplan brauchen. Die Fachbezeichnung wurde zwar einstimmig beschlossen, aber die SPÖ hat der Inkrafttretungsbestimmung doch nicht zugestimmt. Deshalb haben wir keine notwendige Zweidrittelmehrheit bekommen und das Gesetz gilt schon ab heuer, ohne dass wir einen Lehrplan haben.

die furche: Wann wird es so weit sein?

Wirtitsch: Hausintern müssen wir den Lehrplan vor Weihnachten fertig haben. Wir werden noch im Laufe des Jahres den Lehrplan rückwirkend in Kraft setzen, spätestens aber mit 1. September 2002.

die furche: In der derzeitigen Form ist politische Bildung nur für 17- und 18-Jährige vorgesehen ...

Wirtitsch: Manche wollen politische Bildung schon ab der 5. Klasse AHS. Das würde einem dringenden Erfordernis entsprechen, weil in einigen Bundesländern bereits angedacht wird, Jugendliche schon mit 16 Jahren wählen zu lassen, sie aber sehr wenig politisches Wissen mitbringen. Das Unterrichtsprinzip als solches bleibt jedenfalls in allen Schulstufen aufrecht. Angesichts der Terroranschläge in den USA und der Ereignisse in Afghanistan gibt es aber wahrscheinlich keinen Lehrer, der sich im Rahmen des Geschichtsunterrichts einer Diskussion über dieses Thema entziehen kann.

die furche: Ein Teilbereich politischer Bildung ist "soziales Lernen". Was ist darunter gemeint?

Wirtitsch: Es geht darum, Spielregeln des Zusammenlebens anzunehmen, Diskussionen führen zu können, Mehrheiten zu akzeptieren, Minderheitenrechte zu schützen, also das Funktionieren von Demokratie kennenzulernen. Ein gutes Beispiel dafür bietet der Schulversuch Politische Bildung in Vöcklabruck, wo das Projekt "Parlamentswahlen - Wahlkampf - Parteiarbeit" methodisch-didaktisch ausgezeichnet durchgespielt wurde.

die furche: Im Polit-Alltag kommt es oft zu Untergriffen und Medienhetze. Wie soll man das thematisieren?

Wirtitsch: Die Schule soll und muss dazu beitragen, dass sich Jugendliche deshalb nicht von der Politik abwenden. Schule muss ermutigen, Zivilcourage zu entwickeln, aber auch Kritik an sich selbst zu üben. Das stellt auch sehr hohe Ansprüche an die Lehrkräfte.

die furche: Wobei viele - zumindest heuer - nicht speziell ausgebildet sind.

Wirtitsch: Unser kurzfristiges Ziel ist es, mit Seminarreihen zu erreichen, dass an jeder der 350 AHS zumindest eine Lehrkraft aus dem Fach Politische Bildung eine Kurzausbildung absolviert hat. Über die Pädagogischen Institute (PI) werden wir dazu fünfteilige Seminarreihen, insgesamt 50 Seminare in drei Jahren anbieten, die vom Ministerium finanziert sind. Außerdem gibt es in Innsbruck und Salzburg zwei Universitätslehrgänge für Politische Bildung. Ein Problem ist aber die beschränkte Teilnehmerzahl von 30 bis 40 pro Seminar: Es mangelt an Referenten und Budget. Man wird aber in Zukunft für das Fach Politische Bildung eine systematische Ausbildung der Lehrer anbieten müssen.

die furche: Entsprechend groß ist die Kritik von Lehrern an mangelnden Informationen. So lässt das Lehrbuch noch immer auf sich warten.

Wirtitsch: Approbierte Lehrbücher wird es wahrscheinlich erst 2003 geben. Wir haben zwar weder Lehrbuch noch Lehrplan, aber wir haben zwei Servicestellen, eine für Politische Bildung, die jede Menge Infomaterial zu allen möglichen Themen anbietet, und eine für Menschenrechtsbildung. Außerdem haben wir österreichweit 3.000 Lehrer in unserer Kartei und können diese direkt mit Informationen versorgen. Beispielsweise bieten wir zur aktuellen Krise jede Menge Material im Internet an, auch ein Informationsblatt zum Thema Islam wurde verschickt. Und unsere Abteilung "Medienpädagogik" setzt sich immer wieder kritisch mit der medialen Berichterstattung auseinander. Wir versuchen, so viel Material wie möglich zur Verfügung zu stellen, wobei wir uns bemühen, den Prinzipien der Objektivität und Meinungsvielfalt Rechnung zu tragen.

die furche: Gerade das scheint nicht einfach zu sein. Noch 1999 hat FPÖ-Bildungssprecher Karl Schweitzer jene Lehrer kritisiert, die politische Bildung zur Indoktrination missbrauchen würden. Jetzt empfindet man diese Gefahr offensichtlich nicht mehr ...

Wirtitsch: Jetzt empfindet das die SPÖ. Dadurch, dass man für solche Gesetzesmaterien Zweidrittelmehrheiten braucht, wird Indoktrination offensichtlich zum argumentativen Faustpfand. Dieser Vorwurf ist von jeder Partei in den letzten 30 Jahren einmal erhoben worden. Dem kann man insofern begegnen, als man Unterrichtsmittel und Lehrpläne so gestaltet, dass dort eine Verpflichtung zu Objektivität und Meinungsvielfalt enthalten ist. Um zu wissen, was die einzelnen Lehrer im Unterricht machen, müsste man aber immer dabei sein.

Servicestelle Politische Bildung

www.politischebildung.at

Servicestelle Menschenrechtsbildung

www.humanrights.at

Hotline für Unterrichtsmaterialien

unter (01) 4277-27440

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