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„Prinzip aller Bildung” statt Unterrichtsfach

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Der politisch desinteressierte Österreicher sollte in absehbarer Zeit der Vergangenheit angehören. Ein einvernehmlich von der Schulreformkommission im Unterrichtsministerium und den drei im Parlament vertretenen Parteien beschlossener Grundsatzerlaß, wonach politische Bildung an den österreichischen Schulen als Unterrichtsprinzip einge- fiihrt wird, soll Anfang nächsten Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt, Schulinspektoren, Direktoren, Lehrern, Eltern und Schulgemeinschaftsausschüssen zur Diskussion vorgelegt und voraussichtlich zu Beginn des Schuljahres 1978 realisiert werden.

Der Dreiparteieneinigung waren langwierige Verhandlungen vorausgegangen. Ursprünglich stand die Einführung eines eigenständigen Unterrichtsfaches „Politische Bildung” zur Diskussion, doch konnte aus verschiedenen Gründen - Inhalte, Fachausbildung der Lehrer, Belastung des Stundenplanes - darüber kein Konsens erzielt werden. Die Einsicht, daß politische Bildung nur dann sinnvoll sein kann, wenn sie die Erziehung zu demokratischer Haltung und politischem Verhalten einschließt, hat schließlich die Debatte um „politische Bildung als Unterrichtsprinzip” ins Rollen gebracht.

Grundlage des Unterrichtsprinzips wird nach wie vor der Paragraph 2 des Schulorganisationsgesetzes 1962 bleiben: „Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken Die jungen Menschen sollen zu selbständigem Urteil und sozialem Verständnis geführt, dem politischen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen werden ”

Diese sehr abstrakte Formulierung wird nun einen konkreten Rahmen bekommen. Probleme des Demokratieverständnisses, der Legitimation von Autorität und Herrschaft, Grundwerte wie Friede, Freiheit und Gerechtigkeit, aber auch die reale österreichische Situation mit ihren Parteien und Verbänden und der Sozialpartnerschaft, aktuelle Fragen des Umweltschutzes, der Bürokratie und der Wirtschaft sollen miteinander und mit dem jeweiligen Unterrichtsfach in Zusammenhang gebracht werden und dem Schüler eine Umsetzung des theoretischen Wissens in die Praxis ermöglichen.

Damit scheinen sich die Vorstellungen der Schulreformkommission mit denen des derzeitigen Prorektors der Universität für Bildungswissenschaften in Klagenfurt, Prof. Peter Heintel, zu decken, der in seinem kürzlich erschienenen Buch „Politische Bildung als Prinzip aller Bildung” (Verlag für Jugend und Volk, Wien/München 1977) die These vertritt: „Überall dort, wo versucht wird, politische Bildung in einem gesonderten, getrennten Fach oder als Teil eines Faches zu vermitteln, kurz: Überall dort, wo versucht wird, politische Bildung bloß wissensmäßig, theoretisch-informativ zu erreichen, geschieht direkt oder indirekt Anpassung an das bestehende System.” Damit wird „politische Bildung dann zur einseitigen ideologischen Indoktrination, wenn sie die individuelle praktische Bildung eines demokratischen Verhaltens überspringt”. Aufgabe politischer Bildung müßte es in erster Linie sein, diesen Selbstbestimmungs- und Selbstbildungsprozeß zu unterstützen.

Hinsichtlich der einseitigen ideologischen Indoktrination, dem Kernproblem in der Diskussion um die politische Bildung, stehen Prof. Heintel und das Unterrichtsministerium in klarem Gegensatz zur Ansicht österreichischer Politologen — so Profes-

sor Heinrich Schneider und Prof. Anton Pelinka -, die im Unterrichtsprinzip eine größere Gefahr sehen und deshalb das Unterrichtsfach befürworten, wobei wohl auch die Frage der Berufschancen der Politologen mitspielt

In der neuen Lehrergeneration ist der Wunsch nach einer realitätsbezogenen politischen Bildung an den Schulen immer häufiger geäußert worden. Mit ihrer Hilfe sollen Materialien und Unterrichtsmittel zusammengestellt werden, aus denen Schulbücher entstehen können. Die Lehrerausbildung wird in diesem Zusammenhang noch mehr als bisher zur zentralen Frage werden müssen. Sie muß dem Lehrer die Fähigkeit vermitteln, verschiedene Standorte zu berücksichtigen, und gleichzeitig als Persönlichkeit mit eigener Überzeugung für den Schüler glaubwürdig zu sein.

Das bestehende Unterrichtsfach Politische Bildung an den Berufsschulen und den Schulen in der Land- und Forstwirtschaft sowie die unverbindliche Übung an den Gymnasial-Ober- stufen wird von der neuen Regelung nicht berührt. Das verstärkte Interesse der Schüler am politischen Geschehen muß zweifellos auch Auswirkungen auf bisher weitgehend „unpolitische” Eltern haben. Der Grundsatzerlaß wird die Hauptverantwortung der Eltern für die politische Bildung ihrer Kinder ausdrücklich betonen.

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