Ethik, Ethik, ... wessen Ethik, welche Ethik?

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Mittels seiner Schulen drängt sich der Staat in Erziehungsräume, die von den Eltern auszufüllen sind.

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Mittels seiner Schulen drängt sich der Staat in Erziehungsräume, die von den Eltern auszufüllen sind.

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Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklung und ihrem Bildungsgang entsprechenden Unterricht mitzuwirken." (Schulorganisationsgesetz § 2, erster Satz).

Diese unpräzise Aufgabenstellung für das österreichische Schulwesen ist die Rechtsgrundlage für die verschiedenen Schulversuche, die unter dem Titel "Ethikunterricht" zur Zeit stattfinden. Dieser § 2 des SchOG legt hingegen zwei Verpflichtungen, denen die Schulen nachzukommen haben, mit präziser Eindeutigkeit fest: Sie, die österreichische Schule, hat die Jugend mit dem für das Leben und dem künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen.

Die Bedeutung dieses Gesetzesauftrages wurde in den vergangen Jahren immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Die politische Bildung, genauer die soziale Erziehung, gewann an Bedeutung. Mancherorts kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass dies zum Hauptanliegen wurde. Das Wörtchen "Mitzuwirken", das ja wohl nur heißen kann "an der elterlichen Erziehungsarbeit mitzuwirken", verblasste zusehends.

"Halb zog es sie, halb sank sie hin". Dies kann für den stillen Paradigmenwandel der schulischen Wirklichkeit als Motto vorangestellt werden. Die Lehrerschaft ist, anders als viele Eltern irrigerweise meinen, gesetzlich zu keinerlei Objektivität verpflichtet. Wer kennt nicht die Klagen von Schülerinnen und Schülern über politisierende Lehrerinnen und Lehrer, sowie die Ängste und Sorgen, die sich als Konsequenz aus einer deklariert anderen politischen Wert- und Geisteshaltung ergeben. Genau in diesem Umfeld soll nun notengebend (!) Ethik, die Gesamtheit der sittlichen und moralischen Grundsätze einer Gesellschaft, kurz die "Sittenlehre" unterrichtet und geprüft werden. Unter Berufung auf eine sehr allgemein gehaltene öffentliche Diskussion über die Säkularisierung der Gesellschaft, über Wertewandel und Werteverlust (wobei niemand weiß, welche Werte sich wie verwandeln und welche Werte in Verlust geraten), drängt sich der Staat mittels seiner Schulen und seiner weisungsgebundenen Lehrer in Erziehungsräume, die von den Eltern auszufüllen sind.

Die Diskussion darüber, was Eltern brauchen, um ihrer Erziehungsaufgabe nachkommen zu können, kommt zu kurz. Zeitgleich klingt laut die öffentliche Klage über das Übermaß an Sozialreparaturaufgaben, die den Schulen überantwortet wurde. Bei näherer Betrachtung der Unterrichtsinhalte des Ethikunterrichtes, wird die Erinnerung an die Wohlfahrtsausschüsse der französischen Revolution ebenso wach, wie die verlogenen EU-Sanktionen, die im vergangen Jahr über uns hereinbrachen. Österreichs Bundesregierung hatte, so lautete Anklage und Schuldspruch in einem, den europäischen Wertekatalog verletzt. Worin diese Werte bestünden und welche Verletzung erfolgt sein soll, ist bis heute unklar geblieben. Werte haben offensichtlich viel mit Beliebigkeit und Heuchelei gemein.

Anders die Weltreligionen. Deren Wertekanon ist klar definiert. Jedem steht es frei, sich zu einer Glaubensgemeinschaft zu bekennen. Gleichzeitig zählt es zum Rechtsgut unserer Gesellschaft, sich von einer Glaubensgemeinschaft sanktionslos lossagen zu können. Die logische Konsequenz ist die Abmeldemöglichkeit vom Religionsunterricht. Diese Freiheit soll und darf nicht unterlaufen werden, indem diese Freiheit darin mündet, der staatlichen Werteerziehung anheim zu fallen. Die wirkliche werterzieherische Aufgabe der Schule besteht da-rin, junge Menschen zu selbstständigem Urteil zu führen. Dies ist für Schüler sowie für Lehrer der mühsamere, aber der ehrlichere, der anständige und der einzig richtige Weg.

Der Autor ist Vizepräsident des Wiener Stadtschulrates.

Zum Thema: Ethikunterricht Die ersten AHS-Schüler können bereits am Ende dieses Schuljahrs im Fach Ethik maturieren. Dass sie nicht die letzen sind, sondern nur die Vorhut darstellen, scheint mittlerweile sicher zu sein. 1996 startete der Ethik-Schulversuch, und derzeit beteiligen sich 76 Schulen an dem Projekt. Durchwegs hohe Akzeptanz - sowohl auf Schüler- wie auch auf Lehrer- beziehungsweise Schulleiterseite - wird dem Ethikunterricht nach dieser ersten Probephase bescheinigt. Noch im Jänner soll der offizielle Endbericht des Schulversuchs vorliegen, der die Grundlage für die Entscheidung über die Einführung des Ethikunterrichts bildet. Neben der grundsätzlichen Frage: Ethik - Ja oder Nein? rückt ein anderes Thema immer mehr in den Vordergrund: Welche Rolle nimmt Ethik im Fächerkanon ein? WM

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