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Ethik- statt Freistunde in Pflichtschulen

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Die Zeit des Herumbummelns soll für jene Schüler vorbei sein, die den Religionsunterricht nicht besuchen und dadurch zu einer Freistunde kommen. Dafür setzen sich vor allem die Politiker des Liberalen Forums ein: Schüler, die sich vom Religionsunterricht abmelden, sollen als Alternative Unterricht in Ethik bekommen. In einer Art Wahlpflichtfach würden sie zwischen einem konfessionellen Religionsunterricht oder einem Ethikunterricht wählen können. Ris jetzt haben die Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden. Ab dem 14. Lebensjahr können die Schüler selbst wählen, ob sie noch in die „Religionsstunde" gehen wollen oder nicht.

Die Vertreter evangelischer und katholischer Schulämter sind sich darin einig: Der Ethikunterricht berücksichtigt die vielschichtigen Weltanschauungen und Bekenntnisse unserer Gesellschaft. „In einer multikulturellen Gesellschaft ist es plausibel, daß Schüler zwischen Reli-gions- und Ethikunterricht wählen können", meint Franz Lissy-Honeg-ger, der Leiter des evangelischen Schulamtes in Graz. Lissy-Honeggers katholischer Kollege heißt Willibald Rodler. Er ist der Leiter des Bischöflichen Schulamtes in Graz und Vorsitzender des Interdiözesanen Amtes für Unterricht und Erziehung in Wien. Der Ethikunterricht als Ersatz für den Religionsunterricht wäre auch für Rodler akzeptabel. Denn „ohne ethische Ressourcen kann eine Gesellschaft nicht gelingen", meint Rodler. Dennoch: Lehrpläne gibt es noch keine in Osterreich.

Doch „die Abschaffung des Religionsunterrichts ist für mich undenkbar", betont Lissy-Honegger von der evangelischen Kirche. Er spricht dabei für viele Vertreter der evangeli-scheiji und katholischen Religionslehrer in Osterreich, die sich für das Recht anerkannter Religionsgemeinschaften aussprechen, an den Schulen Religion zu lehren.

Die Politiker des Liberalen Forums schlagen hingegen vor, den Religionsunterricht langfristig durch den Ethikunterricht zu ersetzen. Fragen der Lebensgestaltung, der Ethik und Religion könnten in Zusammenarbeit mit den Kirchen behandelt werden. Dabei würden Religionslehrer die „Ethikstunde" übernehmen können, wie der Theologe und zuständige Sprecher für Bildungsfragen des Liberalen Forums in Graz, Wolfgang Pumpernig, bestätigt.

Großes Aufsehen erregte vor kurzem ein deutsches Schulmodell, das den Religionsunterricht gänzlich ersetzen will. Der Kultusminister von Brandenburg möchte statt Beligion das Fach „Lebensgestaltung-Ethik-Religionen", kurz LER, einführen. Der hohe Anteil derjenigen, die ohne religiösen Bekenntnisses sind, bewegten unter anderem die Brandenburger SPD, das Bündnis 90/die Grünen und die PDS, die Nachfolgepartei der SED, sich für das Fach LER einzusetzen.

Religions- oder Ethikunterricht? Das ist die Frage der Schüler, die in allen anderen deutschen Bundesländern zwischen Religions- und Ethikunterricht bereits wählen können, auch wenn der Name des Faches und der Inhalt der Lehrpläne verschieden sind. So spricht der zuständige Minister in Bremen vom Fach Ethik/Philosophie und in Berlin vom „Alternativfach für Biblische Geschichte".

Der Kultusminister von Bayern führte als einer der ersten seiner deutschen Kollegen 1972 den Ethikunterricht an Pflichtschulen ein. Alle Schüler, die nicht den Religionsunterricht besuchen, sind in Bayern verpflichtet, sich für den Ethikunterricht anzumelden. Das gilt beispielsweise auch für islamische Schüler, für die der Religionsunterricht nicht als ordentliches Lehrfach eingerichtet ist. Ab fünf Anmeldungen zum Ethikunterricht müssen Schuldirektoren einen Lehrer zur Verfügung stellen.

Wie Kinder Konflikte austragen sollen, Aussprache bei Konflikten suchen, sich an Vermittler wenden und somit Vorfälle im Schulleben auswerten können, darum geht es unter anderem in einem Lehrplan für Ethikunterricht einer Volksschule. In den Grundschulen sind es bereits 5,7 Prozent der Schüler, die den Ethikunterricht besuchen.

An den staatlichen Gymnasien sind es etwa elf Prozent der Schüler, die am Ethikunterricht teilnehmen. Welche Gründe Ausländer zum Verlassen der Heimat führen, welche Probleme sich aus dem Zusammenleben mit Ausländern ergeben, und wie Schüler diese Probleme friedlich lösen können, besprechen sie beispielsweise in der Oberstufe eines Gymnasiums mit ihrem Ethiklehrer. Die einzelnen Themen sind vielfach fächerübergreifend: Sie reichen von der Philosophie über die Geographie bis zur Religion.

Noch gibt es für Ethiklehrer keine Ausbildung, weder in Bayern, noch im ganzen deutschen Bundesgebiet. Direktoren müssen dabei häufig auf Lehrer, die sich freiwillig melden, zurückgreifen. Vielfach bevorzugen sie Lehrer mit einer philosophischen Ausbildung. Angeboten werden aber Fortbildungskurse für Ethiklehrer wie beispielsweise an der bayrischen Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen. Schon gibt es für Österreich verschiedene Modelle, wie der Ethikunterricht aussehen könnte, aber noch keine Patentrezepte.

Die Autorin ist

freie Journalistin in Graz.

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