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Eine freie Entscheidung
Religionsunterricht: Pflicht oder Angebot? Der Trend im öffentlichen Schulwesen Europas, jüngst in Italien bestätigt, ist eindeutig; er bietet Chancen, birgt Gefahren.
Religionsunterricht: Pflicht oder Angebot? Der Trend im öffentlichen Schulwesen Europas, jüngst in Italien bestätigt, ist eindeutig; er bietet Chancen, birgt Gefahren.
Italiens Schüler werden sich heuer erstmals entscheiden müssen, ob sie künftig am Religionsunterricht teilnehmen werden oder nicht. Daß gerade in einem als traditionell katholisch angesehenen Land eine derartige Veränderung eintritt, wird wohl viele erstaunen. Hintergrund dieser
neuen Situation ist jedoch das geänderte Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Italien. Im Februar des vergangenen Jahres trat das neue Konkordat in Kraft, das eine endgültige Trennung zwischen Staat und Kirche festlegte.
Das vielerorts noch kolportierte Bild aus Literatur und Film einer noch „heilen Welt" zwischen Kirche und Staat in Italien stimmt schon lange nicht mehr. Zu sehr sind im Lande Don Camillos die Zeichen der Säkularisation der Gesellschaft spürbar geworden, die bereits von einem neuen Heidentum und einem neuen Missionsland sprechen lassen.
Der Vatikan und die Republik Italien versuchten nun durch das Konkordat den geänderten Verhältnissen gerecht zu werden.
Mitte Dezember unterzeichneten als Folge von Artikel 9 des Konkordates der Vorsitzende der ita- ' lienischen Bischofskonferenz, Kardinal Ugo Poletti, als Vertreter des Vatikans, und die italienische Erziehungsministerin, Franca Falcucci, als Repräsentantin des Staates, ein Abkommen, das den Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen künftig als Wahlfach deklariert.
Mit der Freigabe des Religionsunterrichtes vom Pflichtfach zum Wahlfach erhofft man sich auf Seite der Kirche eine bewußtere und aktivere Teilnahme an der religiösen Erziehung und am religiösen Leben als bisher. Weil es im Religionsunterricht um keine „autoritäre Indoktrination" geht, biete er eine „qualifiziertere Darstellung der Botschaft des Evangeliums", betonte Kardinal Poletti bei der feierlichen Vertragsunterzeichnung.
Gleichzeitig ließ er aber Befürchtungen laut werden, die von einer „Manipulation von außen" sprachen. Offenbar spielte er damit auf erwartete Diskriminierungen und Repressionen seitens laizistischer Schuldirektoren und Gemeindeleiter an, die Eltern und Kinder vom Religionsunterricht fernhalten sollen.
Im Vertragswerk selbst sicherte sich die Kirche jedoch auch wei-
terhin erheblichen Einfluß auf die Form und Gestaltung des Religionsunterrichtes und die dafür verwendeten Lehrbücher. Obwohl die Lehrpläne vom Erziehungsministerium ausgearbeitet werden, bedürfen sie zur Verwendung der ausdrücklichen Zustimmung der italienischen Bischofskonferenz.
Die christdemokratische Erziehungsministerin Falcucci bezeichnete das Abkommen als einen positiven Beitrag zwischen Staat und Kirche, der die freie Religionsausübung der jungen Generation garantieren werde. Ihrer Absicht nach können zweitausend Jahre christlicher Kultur auf italienischem Boden nicht einfach abgeschafft werden, weil sie mit dem geschichtlichen Erbe Italiens untrennbar verbunden sind.
Unklarheit herrscht aber noch in der Frage, welchen Unterricht jene Schüler erhalten werden, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen werden. Im Gespräch ist eine Ausweitung des Italienischunterrichts auf kultureller Ebene.
Attraktive Alternativfächer, wie Sport, sollen nach kirchlichem Dafürhalten auf jeden Fall ausgeschlossen bleiben, da man eine massenweise Abwanderung vom Religionsunterricht befürchtet.
Daß mit diesem Vertrag die Frage des Religionsunterrichtes weiterhin aktuell bleiben wird, zeigen jetzt schon viele kritische Reaktionen, vornehmlich linker politischer Gruppierungen und antiklerikaler Kreise. Sie stört vor allem die Einbeziehung der staatlichen italienischen Kindergärten in das System des wahlweisen Religionsunterrichts, die bisher von dieser Regelung ausgeschlossen blieben.
Denn ähnlich wie in Frankreich, wo der Religionsunterricht schon seit der Schulreform von 1880 aus den öffentlichen Schulen verbannt wurde, kämpft auch in Italien die Kirche gegen laizistische Kräfte, die sich gegen jegliche Einflußnahme der Kirche auf öffentliche Fragen vehement zur Wehr setzen.
Ungeachtet dessen appelliert die italienische Kirche an die Familien und fordert sie auf, die Verantwortung für die Wahl des Religionsunterrichtes nicht zu verdrängen, sondern in der Tradition des katholischen Glaubens unbeirrt fortzufahren.
In der neuen Situation der freien Entscheidung für den Religionsunterricht sieht Kardinal Poletti eine Hoffnung auf aktivere und bewußtere Entscheidung der jungen Generation für den katholischen Glauben. Im heurigen Internationalen Jahr der Jugend wird ihre Wahl ein Zeichen der Reife sein, meinte abschließend der Kardinal, weil sie in ihrer Aufmerksamkeit für die grundsätzlichen Fragen des Lebens offensichtlich eine neue Orientierung von seiten der Kirche erwartet.
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