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Maschinschreiben statt Religionsunterricht

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Sie wollten lieber Unterricht in Maschinschreiben als in Religion haben. Daher ließen sich die Schüler der achten Klasse der Grundtvig-schule in Nyköbing geschlossen von ihren Eltern vom Religionsunterricht abmelden. Die spektakuläre Aktion war Grund dafür, daß das Thema „Religion und Schule“ aus den öffentlichen Debatten nicht mehr verschwindet. Im Folketing, dem Parlament in Kopenhagen, und in den Zeitungen wird der Fragenkomplex heiß diskutiert.

Rückendeckung für die Eltern in Nyköbing war das neue Schulgesetz, das eine Abmeldung vom Religionsunterricht erlaubt, wenn die Eltern sich selbst verpflichten, den Unterricht vorzunehmen. Dieser Hinweis auf elterliche Pflichten ist allerdings ohne praktische Bedeutung. Die Schule hat nicht das Recht, die Erfüllung dieser Verantwortungsübernahme zu kontrollieren.

Die Antireligions-Aktion in Nyköbing, in der nach Dänemarks großem Reformator Grundtvig benannten Schule, hatte nichts mit prinzipieller Ablehnung des Christentum-Unterrichts zu tun. Doch mit dem Freifach Maschinschreiben wären die Kinder dort auf 31 Wochenstunden gekommen; 30 sind aber nur gesetzlich erlaubt. So verzichtete man leichten Herzens auf das Fach, dessen man am wenigsten zu bedürfen glaubte — und bei dem die Abmeldung völlig schmerzlos und einfach ist. Das Beispiel macht schon Schule in anderen Schulen. Grund genug, Alarm zu geben für die, die den Religionsunterricht propagieren.

Torben Rechendorff, der Vorsitzende der Religionslehrervereinigung, gab die schwierige Situation der Schüler zu bedenken, die sich dem allgemeinen Trend widersetzen wollen. Mit 14 ist man nicht gerne Einzelgänger, und der Einfluß der Lehrer ist gerade in diesen Jahren groß. Eine Stimmung gegen den Unterricht, auf den man auch verzichten darf, ist auf diese Art leicht herzustellen.

Der umstrittene Religionsunterricht ist seit kurzem nicht mehr „Glaubensunterricht“, sondern ein Wissensfach geworden, in dem die Schüler Information über die Weltreligionen, hauptsächlich natürlich über das Christentum, erhalten sollen. Parallel dazu wird in anderen Fächern über andere Weltanschauungen gesprochen. So stehen der Humanismus und der Marxismus auf dem Lehrplan für die sechsten und siebenten Klassen in Geschichte und für die achte bis zehnte Klasse in Gesellschaftskunde. Die Schüler in Nyköbing werden diesen Unterricht hören — ohne die christliche Ergänzung.

Bertel Haarder, der als Folketingmitglied maßgeblich am neuen Schulgesetz mitgearbeitet hat, verteidigt seine Schöpfung: „Beim Gesetz wurde an Gedankenfreiheit gedacht. Es kann gut sein, daß eine große Gruppe Eltern nichts gegen den Religionsunterricht hat. Aber auch, wenn sich nur eine winzig kleine Gruppe findet, der das Fach Gewissensqualen bereitet, ist es wichtig, daß diese nicht gezwungen wird.“ Auf den Marxismus-Unterricht angesprochen, erklärte Haarder, er sei auch in diesen Fächern für Freiwilligkeit. Im Gesetz ist davon allerdings nichts zu lesen.

Es scheint auch kaum attraktiv, wegen ideologischer Bedenken im 20. Jahrhundert auf Wissen über den Marxismus zu verzichten. Die konservative Tageszeitung „Berlingske Tidende“ zog in einem Leitartikel den Schluß, der Bertel Haardes Auffassung diametral entgegengesetzt ist: Spätestens seit der Umwandlung in ein „Wissensfach“ dürfte kein Schüler mehr den Religionsunterricht meiden. Die Abmeldungserlaubnis sei unnötig und falsch. Denn ohne Wissen über das Christentum können auch Kultur- und Geistesleben Europas nicht verstanden werden.

Fast zwangsläufig kommt mir eine kleine Episode in Erinnerung, die mir ein ungarischer Priester erzählte. Er sprach von Geschichtsstudenten in Budapest, die sich beim Entziffern mittelalterlicher Texte vergeblich bemüht hatten, die Königin zu bestimmen, von der da gesprochen wurde. Er selber erkannte den Text auf den ersten Blick. Es war ein Hochgesang auf Maria.

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