Kein Kulturkampf mit den Religionen

Werbung
Werbung
Werbung

Soll ein Ethik- den konfessionellen Religionsunterricht ablösen? Darüber stritt der grüne Bildungssprecher Harald Walser mit dem evangelischen Oberkirchenrat Karl Schiefermair. Das Gespräch moderierten Otto Friedrich und Doris Helmberger

Es war 1999, als der Salzburger Religionspädagoge Anton A. Bucher eine Evaluation der damals 94 Schulversuche zum Ethik-unterricht durchführte - und ihnen gute Noten ausstellte. Heute wird Ethik bereits an 223 Standorten angeboten, allerdings nur für jene Schülerinnen und Schüler, die ohne religiöses Bekenntnis sind, oder sich vom konfessionellen Religionsunterricht abgemeldet haben. Soll dieses Konzept eines alternativen Pflichtfachs Ethik nun in das Regelschulwesen überführt werden, wie dies Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) fordert? Oder soll Ethik an der Sekundarstufe II Pflichtfach für alle und der Religionsunterricht bloßes Freifach werden, wie es sich Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) wünscht? Diese beiden Positionen - und noch eine dritte - stehen derzeit zur Debatte (siehe unten). Die FURCHE hat zum Streitgespräch geladen: Karl Schiefermair, für den Religionsunterricht zuständiger Oberkirchenrat der evangelischen Kirche, diskutierte mit Harald Walser, grüner Bildungssprecher und Gymnasialdirektor in Feldkirch.

Die Furche: Herr Oberkirchenrat: Stehen Sie voll und ganz hinter den Plänen von Staatssekretär Kurz?

Karl Schiefermair: Seine Position trifft sich insofern mit unserer Ansicht, als er vor allem vom Integrationsgedanken her kommt. Nachdem wir Evangelische immer in der Minderheit waren, herrscht hier großes Verständnis. Auch bei der Enquete im Vorjahr ist - vor allem von islamischen Vertretern - das Argument vorgebracht worden, dass der Religionsunterricht für die Identitätsfindung und die Verständigungsmöglichkeit innerhalb einer pluralen Gesellschaft ganz wichtig ist. Die muslimischen Kinder lernen im islamischen Unterricht, sich über ihre Religion auf Deutsch zu verständigen. Das macht sie gesellschaftlich "anschlussfähig“, wie es so schön heißt.

Harald Walser: Ich finde es interessant, welche Umwege derzeit gemacht werden, um bestimmte Positionen zu definieren. Die ÖVP argumentiert bei der Wehrpflicht mit dem Zivildienst, den sie vor Jahren noch bekämpft hat. Und Sie argumentieren jetzt beim konfessionellen Religionsunterricht mit Identitätsfindung. Die mag wichtig sein, aber es ist nicht die Aufgabe der Schule, jeder Gruppe per se diese Identitätsfindung zu ermöglichen und zu finanzieren.

Schiefermair: Sie als Pädagoge werden doch zugeben, dass jede Form von Pädagogik auch auf Identitätsfindung abzielt. Und dass Religion einen wichtigen Bestandteil der Identität ausmacht, ist unbestritten. Es gibt eben Religion als statistische, soziologisch klar umrissene Größe. Wenn man das aussparen würde, dann müsste man auch den Musik- oder Kunstunterricht aussparen. Und dass der Religionsunterricht auch Integrationskraft besitzt, zeigt sich derzeit am deutlichsten im islamischen Unterricht.

Walser: Das halte ich für eine verwegene Behauptung, weil ich aus eigener Erfahrung einige islamische Religionslehrer kenne, die sich kaum auf Deutsch verständigen können. Dass ein Staat einen verpflichtenden Unterricht finanziert, dessen Inhalte er nicht kennt und der zu einem Großteil nicht auf Deutsch durchgeführt wird, halte ich für inakzeptabel.

Schiefermair: Natürlich ist jeder Unterricht - von den Fremdsprachen abgesehen - auf Deutsch zu halten! Aber der Religionsunterricht ist nun einmal eine Veranstaltung der jeweiligen Kirche oder Religionsgemeinschaft, die ihn auch inhaltlich verantwortet. Dass Unterrichtsministerin Claudia Schmied einmal in den islamischen Unterricht eingegriffen hat (2009 nach einer Studie über antidemokratische Haltungen islamischer Religionslehrer sowie einer angeblich antisemitischen Aktion eines Pädagogen, Anm.), das war ein Tabubruch. Dass es so weit kommen musste, ist natürlich ein Armutszeugnis der veranstaltenden Religionsgemeinschaft, wobei sich diese dann aber auch gezwungen gesehen hat, mehrere Bereiche - auch den Umgang mit der Sprache - stärker zu kontrollieren.

Walser: Diskutieren wir doch einmal die grundsätzliche Frage: Was will der Staat in der Schule erreichen und welche Rolle spielt hier der Religionsunterricht? Als Direktor eines Gymnasiums habe ich nicht mehr das Gefühl, dass er seine ureigenste Aufgabe erfüllt. Einmal habe ich einen Schüler bei der Matura nach Martin Luther gefragt. Er konnte gerade noch ausschließen, dass es sich um einen Rapid-Stürmer handelt! Das hat mich als Historiker schockiert.

Schiefermair: Das schockiert mich auch! Und ich weiß auch, von welchem Fall Sie reden. Den zuständigen Lehrer gibt es nicht mehr.

Walser: Ähnlich Schockierendes habe ich auch im katholischen Unterricht erlebt. Dass wir unsere Kultur nicht mehr weitertransportieren, dass Schülerinnen und Schüler nicht mehr wissen, was ein Marterl am Wegrand bedeutet und was wir zu Weihnachten feiern, das halte ich für ein riesiges Problem.

Die Furche: Interessant, dass sich hier die grüne Position mit jener konservativ-katholischer Kreise deckt…

Walser: Ich bin es gewohnt, nicht immer Mainstream zu sein - auch bei den Grünen, wiewohl meine Position zum Religionsunterricht schon Parteimeinung ist. Dass ein interkultureller oder interreligiöser Dialog notwendig ist, das ist uns jedenfalls klar. Angesichts einer immer heterogener und säkularer werdenden Gesellschaft brauchen wir dringend Räume, wo wir mit Kindern und Jugendlichen über Werte diskutieren. Wir Grüne wollen deshalb einen verbindlichen Ethik- und Religionen-Unterricht für alle und auf freiwilliger Basis einen konfessionellen Religionsunterricht - auch an der Schule. Ich möchte alles, nur keinen Kulturkampf mit den diversen Religionsgemeinschaften und Kirchen! In unserem Konzept der ganztägigen grünen Schule wäre ein konfessioneller Religionsunterricht als Freifach auch stundenplantechnisch kein Problem.

Schiefermair: Ich stimme Ihnen natürlich zu, dass Jugendliche befähigt werden sollen, einen interkulturellen und interreligiösen Austausch zu führen. Die Frage ist nur: Was brauchen sie dazu? Von klein auf in einem gemeinsamen Ethik- und Religionen-Unterricht zu sitzen, halte ich für entwicklungspsychologischen Unsinn. Ich kann nicht über Fremdes reden, wenn ich meine eigene Herkunft nicht kenne. Ein solcher Dialog wird uninteressant. Außerdem sitzt man dann leicht Fundamentalisten auf, das ist für mich als Anhänger einer aufgeklärten, rationalen Religion die größte Gefahr. Ich erinnere mich jedenfalls noch an die "Woche des Religionsunterrichts“ im Jahr 2005, als Eva Glawischnig sagte: "Wir können gar nicht genug Religionsunterricht haben.“ Dass die Grünen von dieser Position abgekommen sind, ist bedauerlich.

Walser: Wir Grüne wollen die Religion nicht aus der Schule vertreiben - im Gegenteil: Der Religionen- und Ethik-Unterricht soll garantieren, dass Kinder über ihren Glauben Bescheid wissen - und der konfessionelle Unterricht soll nach wie vor gewährleistet sein.

Schiefermair: Die Schüler müssten sich aber zu diesem konfessionellen Unterricht extra anmelden. Und am Randbereich des Stundenplans wissen wir, wie das ausgeht. Deshalb bin ich auch immer für die Einführung des Ethikunterrichts als alternativen Pflichtgegenstand für jene Jugendlichen gewesen, die sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben.

Die Furche: Eine pragmatische Frage: Welche Lehrenden sollten Ihrer Ansicht nach Ethik unterrichten dürfen - vor allem hinsichtlich der Frage "weltanschaulicher Transparenz“?

Walser: Ich glaube, wir brauchen eigene Religionen- und Ethik-Lehrende mit einer eigenen, staatlichen Ausbildung. Auch die jetzigen Religionslehrerinnen und -lehrer sollen unterrichten dürfen - allerdings mit einer Zusatzausbildung.

Schiefermair: Ich glaube, dass das Fach Ethik ein Begründungsproblem hat. Letztlich steht hinter jedem Wert ein Interesse, und darüber müsste man fairerweise Auskunft geben. Aber viele beschäftigen sich mit der Grundlegung der Ethik gar nicht, sondern sie nehmen nur Werte in den Mund, damit man eine Übereinkunft erzielt, die so quasireligiös ist wie früher der Vulgärkatholizismus. Die evangelische Theologie war insofern immer wertekritisch und redet lieber von Wahrheiten oder von der unantastbaren Würde des Menschen, die sich den Kategorien des Ab-wertens oder Be-wertens entzieht.

Walser: Sie haben natürlich recht: Wir müssen darauf achten, dass wir im Ethikunterricht nicht durch die Hintertür fundamentalistisch oder konfessionell einseitig gesinnte Menschen hereinbekommen. Aber dieses Problem haben wir doch schon jetzt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung