Nachsitzen für die Bildungsreform

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Das Schulautonomiepaket sollte im Bildungssystem mehr Freiräume eröffnen. Nun hängt das mühsam ausverhandelte Papier an einem seidenen Faden. Was es bringen würde - und was die Schulen wirklich bräuchten. Eine Annäherung in sieben Punkten.

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Das Schulautonomiepaket sollte im Bildungssystem mehr Freiräume eröffnen. Nun hängt das mühsam ausverhandelte Papier an einem seidenen Faden. Was es bringen würde - und was die Schulen wirklich bräuchten. Eine Annäherung in sieben Punkten.

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"Schulreformen sind wie Operationen am offenen Herzen", hat Harald Mahrer Ende April - damals noch als Staatssekretär - erklärt. Heute ist er Minister, und die Operationsbedingungen haben sich nicht wirklich verbessert. Seit Ausrufung von Neuwahlen gilt das zwischen Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) und Mahrer (ÖVP) ausverhandelte und in der Begutachtung heftig kritisierte Schulautonomiepaket als hochgradig gefährdet; manche betrachten es bereits als klinisch tot.

Ob es dafür im Parlament die nötige Zweidrittelmehrheit gibt, war etwa bis Redaktionsschluss völlig unklar. Die Grünen machen ihr Ja von der Festlegung Vorarlbergs als Modellregion für die gemeinsame Schule aller Zehn- bis 14-Jährigen abhängig. Auch die Lehrergewerkschaft wird erst nächste Woche über das modifizierte Paket beraten. Die "neue Volkspartei" unter Sebastian Kurz hat einstweilen betont, die Reform mitzutragen. Doch was bringt sie überhaupt? Und was wäre, wenn sie scheitern würde?

1. Schulverwaltung

Künftig sollen "Bildungsdirektionen" die bisherigen Aufgaben der Landesschulräte bzw. der Schulabteilungen in den Ländern übernehmen. Der Rechnungshof hat diese Bund-Länder-Mischbehörden freilich in seiner Stellungnahme heftig kritisiert. Es gäbe weiterhin eine "Kompetenzzersplitterung". Dass erstmals alle Bundes- und Landeslehrer über ein einheitliches IT-System abgerechnet werden könnten - und damit endlich nachvollziehbar würde, wer wo unterrichtet -, wird freilich begrüßt. Auch der Grüne Bildungssprecher Harald Walser sieht darin einen "großen Fortschritt". Die Bildungsdirektionen seien zwar "keine kühne Reform", notfalls werde man diesen SPÖ-ÖVP-Minimalkompromiss aber mittragen.

2. Clusterbildung

Um Ressourcen flexibler einsetzen zu können und Kleinstschulen zu erhalten, sollen künftig bis zu acht Schulstandorte - mit bis zu 2500 Schülerinnen und Schülern - von einem Clusterleiter verwaltet werden können. Dass dies auch gegen den Willen der betroffenen Pädagogen möglich ist, hat bei der Lehrergewerkschaft für heftige Kritik gesorgt. Der Rechnungshof begrüßt zwar den Ausbau der Schulautonomie, kritisiert allerdings (wie auch Harald Walser), dass es keine Verbünde zwischen Pflicht- und Bundesschulen geben darf. Kritisch auch die Position des Wiener Bildungswissenschafters Stefan Hopmann. Angesichts der zusätzlichen Verwaltungsebene durch Clusterleiter gäbe es "noch weniger und nicht mehr Bewegung in den Schulen".

3. Flexibilität

Das Autonomiepaket würde den Schul(cluster)leitern mehr Entscheidungsbefugnisse zubilligen und die Zahl der Schulversuche drastisch reduzieren. So kritisch etwa AHS-Direktorensprecher Wilhelm Zillner "Riesencluster" von bis zu 2500 Schülern sieht - mehr Macht für die Direktoren wäre überfällig: "Wenn ich ausländischen Kollegen erzähle, dass Direktoren in Österreich nicht einmal eine Stimme im Schulgemeinschaftsausschuss haben, brechen sie in Gelächter aus." Dass die Schulpartner bei der flexibleren Gestaltung der Klassen- und Gruppengrößen nicht mitreden dürfen, hat freilich die Lehrergewerkschaft auf die Barrikaden gebracht. Sie fürchtet "Riesenklassen" und Einsparungen. Zillner will der Beteuerung der Bildungsministerin, dass es nicht zu weniger Ressourcen komme, hingegen glauben. Dass zwar über "Riesenklassen" diskutiert worden sei, nicht aber über die Vorzüge flexibler Gruppengrößen, bedauert er.

4. Inklusion

Große Aufregung herrscht während der Begutachtung über eine mögliche "Zerschlagung" und "Zentralisierung" der Sonderpädagogik. Ein Missverständnis, wie das Bildungsministerium betonte: Kinder mit Beeinträchtigungen oder Verhaltensauffälligkeiten würden weiterhin regional von den Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik (ZIS) betreut. Nur die Gutachten über einen Sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) oder davon unabhängigen Unterstützungsbedarf soll von der jeweiligen Bildungsdirektion ausgestellt werden. "Das Bescheidwesen von den Schulen zu entkoppeln und überall gleiche Kriterien anzuwenden, wäre wichtig", erklärt Rupert Corazza, Wiener Landesschulinspektor für Inklusion.

5. Ethikunterricht

Durch den Ausbau der Schulautonomie sollen Schulversuche spätestens 2025 auslaufen. Das würde freilich auch den an vielen Standorten laufenden Schulversuch eines Ethikunterrichts als "Komplementärpflichtgegenstand" zum Religionsunterricht betreffen. Sowohl die Bischofskonferenz als auch die Evangelischen Kirchen und das Kultusamt im Bundeskanzleramt haben deshalb Klarstellungen zum Ethikunterricht verlangt -und auch angeregt, Modelle wie den "konfessionell-kooperativen Religionsunterricht" künftig auf eine sichere rechtliche Basis zu stellen.

6. Modellregionen

An ihnen könnte sich am Ende Wohl und Wehe der Bildungsreform entscheiden. Derzeit ist vorgesehen, dass eine Gesamtschul-"Modellregion" nur 15 Prozent der Schulen bzw. Schüler eines Bundeslandes umfassen darf. Die Grünen verlangen nun einmal mehr, dass künftig auch ganze Bundesländer wie Vorarlberg (aber damit konsequenterweise auch Tirol oder Wien) in eine solche Modellregion für die gemeinsame Schule aller Zehn-bis 14-Jährigen umgewandelt werden können. Tatsächlich haben sich in Vorarlberg alle Parteien auf einen Zeit- und Stufenplan bis 2025 geeinigt (die FPÖ ist zuletzt wieder abgesprungen). Zuletzt betonte Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) hingegen, dass Modellregionen für die Bildungsreform "nicht von Bedeutung" seien. Die Grünen orten nun "parteipolitische Spielchen" von Kurz und Co., schließlich habe es von Ex-VP-Chef Reinhold Mitterlehner "klare Zusagen" gegeben. "Entweder eine Reform, die den Namen verdient, oder keine", sagt Harald Walser.

7. und wenn es scheitert?

"Es wäre zutiefst fahrlässig und verantwortungslos, dieses Thema nicht mehr durchs Parlament zu bringen", meinte Bildungsministerin Sonja Hammerschmid zuletzt. Andere würden das weniger tragisch sehen: "Meine Trauer würde sich in Grenzen halten", erklärt Lehrergewerkschafter Kimberger. Dringender als dieses "Strukturpaket" wären Integrations-, Sprach- und Begabtenförderung.

Ähnlich auch Stefan Hopmann. Er hätte es am liebsten gesehen, wenn die "Bankenmilliarde" im Vorjahr nicht für den allgemeinen Ausbau der Ganztagsbetreuung, sondern für die Förderung schwieriger Schulstandorte verwendet worden wäre. Die vorliegende Reform sei hingegen ein "Pseudokompromiss, der niemandem nützt". Zugleich sieht er aber politisch "keine andere Mehrheit, die in der Lage wäre, eine substanzielle Bildungsreform auf die Beine zu stellen". SPÖ und FPÖ wären "in der Bildungspolitik zu weit auseinander", und Schwarzblau könne sich zwar "auf Bewahren verständigen", würde aber "kaum gemeinsame Änderungsimpulse zustande bringen"."Dann bekämen wir noch mehr Ghettoklassen", fürchtet Hopmann. Die Operation Bildungsreform bleibt also spannend.

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