"Lehrer müssen sich nicht alles gefallen lassen“

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Gewerkschafter Paul Kimberger und ÖVP-Rebell Bernd Schilcher debattieren über Vernunft in der Bildungspolitik, seltsame Koalitionen, Wohlstandsverwahrlosung und politische Interventionitis.sinnen, doch die Lehrerdienstrechtsverhandlungen bleiben. Ob dies (und mehr) gerechtfertigt ist, darüber streiten.

Eigentlich hätte Paul Kimberger den ganzen, heißen Tag beim ÖGB-Kongress im Austria Center Vienna verbringen sollen. Doch für ein Streitgespräch mit Bernd Schilcher, der für ein paar Ministeriumstermine von Graz nach Wien gekommen war, hat sich der Pflichtschullehrergewerkschafter und Chefverhandler für ein neues Lehrer-Dienstrecht gern ins Taxi gesetzt. Die Debatte, die sich zwischen den zwei ungleichen Parteifreunden im Café Griensteidl am Michaelerplatz entspann, wurde prompt hitzig.

Die Furche: Herr Professor Schilcher, ist die ÖVP unvernünftig?

Bernd Schilcher (lacht): Da gäbe es viele Gründe. Was meinen Sie?

Die Furche: Ich meine das ÖVP-Lehrerdienstrechtsmodell, in dem vorerst eine weitere, unterschiedliche Bezahlung von AHS- und Pflichtschullehrern vorgesehen ist (s.u.). Aus Protest gegen diese "Zweiklassenpädagogik“, wie Sie sagen, haben Sie mit den Bildungssprechern von SPÖ und Grünen sowie roten und unabhängigen Gewerkschaftern eine "Plattform der Vernunft“ initiiert und eine 30-Stunden-Lehreranwesenheitspflicht an den Schulen gefordert.

Schilcher: Sagen wir so: In der Schulpolitik ist die ÖVP nicht auf dem letzten Stand - und zwar seit 40 Jahren nicht. Aber mit dieser Schwachstelle ist die ÖVP nicht allein, auch bei der CDU und CSU ist das so. Die Parteien der rechten Mitte sind eben eher bewahrend und tendieren dazu, Stände- und Klientel-Interessen in den Vordergrund zu rücken.

Paul Kimberger: Diese "Allianz der Vernünftigen“, von der Sie sprechen, die gibt es schon - das sind die Lehrergewerkschaften. Ich wäre auch falsch an meinem Platz, wenn ich nicht die Interessen der Lehrerinnen und Lehrer im Auge hätte. Aber im Mittelpunkt unseres ganzen pädagogischen und organisatorischen Handelns steht das Kind. Anders als die so genannten "Bildungsexperten“, die dauernd den Eindruck erwecken, dass alles furchtbar sei, glaube ich, dass wir in Österreich ein gutes Bildungssystem haben. Wie sonst ist es möglich, dass wir zu den reichsten Ländern der Welt gehören? Aber ich gebe Ihnen Recht: Es gibt Bereiche, in denen wir eine Weiterentwicklung brauchen - nur bitte mit Augenmaß!

Schilcher: Ich möchte Ihnen vorab ein Kompliment machen: Mit ihnen zieht ein neuer Ton in die Debatte ein. Vorher hat man immer alles so "hingeschlatzt“, das war kein guter Stil. Trotzdem ist in allen Berichten über die Lehrerdienstrechts-Verhandlungen das Wort "Kind“ nie vorgekommen. Und auch wenn in unserem Schulsystem nicht alles schlecht ist, und die berufsbildenden Schulen Exportschlager sind: Wenn 28 Prozent der 15-Jährigen nicht lesen können, dann ist das grauenvoll.

Kimberger: Ich gebe Ihnen recht, dass wir uns zu viel in Organisationsdiskussionen ergangen haben. Umso mehr müssen wir nun, nach dem Großprojekt der gleichwertigen Lehrerausbildung auf Masterniveau, alle anderen Fragen klären: Wie soll Lehrerarbeit in der Zukunft aussehen? Welche Unterstützungs- und Supportsysteme braucht es? Letztendlich geht es aber auch um ein modernes und attraktives Dienstrecht. Nur: Wenn Sie einen Gesetzesentwurf bekommen, der weniger Geld und mehr Arbeit vorsieht, dann werden Sie keine Gewerkschaft der Welt finden, die dazu ja sagt.

Schilcher: Warum sagen Sie dann als Pflichtschulgewerkschafter ja zum Modell der AHS-Gewerkschafter, bei dem es zwei Sorten von Lehrern gibt und die einen mehr bekommen als die anderen?

Kimberger: Aber das stimmt doch nicht! Sobald alle Lehrer ab 2019 auf Masterniveau ausgebildet sind, gibt es ein einheitliches Einstiegsgehalt. Bis dahin muss es Übergangsmodelle geben. Und jenen Pflichtschullehrern, die schon im Dienst stehen, wird man Qualifizierungsangebote auf Masterniveau machen müssen. Doch dazu braucht man eine geringere Unterrichtsverpflichtung und keine höhere. Deshalb sage ich Ihnen eines, Herr Professor Schilcher: Gott bewahre uns vor 30 Stunden Präsenzverpflichtung!

Schilcher: Ich glaube, Sie haben hier ein tief sitzendes Trauma …

Kimberger: Ich schätze mich frei von Traumata. Aber die Realität schaut in vielen Schulen so aus, dass nicht einmal jeder Lehrer einen eigenen Arbeitsplatz hat.

Schilcher: Seit 40 Jahren heißt es immer: Wir haben keine Arbeitsplätze! Mir ist aber noch bei keinem Gewerkschafter der Drang aufgefallen, daran etwas zu ändern. Da gibt es eine seltsame Koalition zwischen Schulerhaltern und Gewerkschaft. Vor 20 Jahren ist es uns in der Grazer Klusemannstraße gelungen, einen Schulverbund aus einem Gymnasium und vier Hauptschulen innerhalb eines Sommers mit Arbeitsplätzen auszustatten. Und Enja Riegel hat die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden, die beste PISA-Schule Deutschlands, innerhalb eines Jahres bei laufendem Betrieb umgebaut. Wenn man will, geht es, wenn nicht, dann nicht.

Kimberger: Diese "seltsame Koalition“, von der Sie reden, gibt es nicht. Viele Lehrer würden sich ordentliche Arbeitsplätze wünschen. Nur eines frage ich auch: Welchen qualitativen Unterschied macht es, wenn ein Lehrer seine Unterrichtsvorbereitung am Nachmittag zwischen 15 und 17 Uhr auf schlecht ausgestatteten Arbeitsplätzen in der Schule macht oder am Sonntag Abend zu Hause?

Schilcher: Die Bevölkerung würde nicht mehr das Gefühl haben, dass Lehrer nichts tun. Was ja auch nicht stimmt …

Kimberger: Wissen Sie, was ich diesen Leuten sage, die mir so kommen? Ich lade sie ein, einmal eine Woche in der Schule zu verbringen. Als Antwort bekomme ich dann: Nein, um Gottes willen, nie im Leben möchte ich ein Lehrer sein, was sich die alles gefallen lassen müssen - Stichwort Verhaltensauffälligkeiten und Wohlstandsverwahrlosung. Wir haben derzeit keine Werkzeuge, die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Und wir sind auch nicht die Deponie aller gesellschaftlichen Fehlentwicklungen.

Schilcher: Deshalb bin ich auch für den Ausbau von Supportsystemen, für mehr Schulpsychologen, Sprachlehrerinnen, Native-Speaker, Streetworker. Uns läuft die Zeit davon: Wir haben schon mehr schulfreie Tage als Arbeitstage. Allein die Fünf-Tage-Woche hat uns 5,2 Wochen gekostet. Dafür können die Lehrer nichts, aber wir müssen in immer weniger Zeit immer mehr leisten. Wie soll das in einer Halbtagsschule funktionieren?

Kimberger: Wir haben keine Halbtagsschule, dagegen verwahre ich mich.

Schilcher: Die Regelschule ist eine Halbtagsschule. Und es ist noch viel schlimmer: Am Land gibt es Hauptschulen, wo die Kinder ohne Mittagsbetreuung auf den Nachmittagsunterricht warten müssen.

Kimberger: Das entspricht doch nicht der Realität! Wo Betreuungsbedarf besteht, dort wird etwas angeboten. Nur: Es muss Wahlfreiheit geben. Außerdem: Sind Sie wirklich der Meinung, dass alle Probleme gelöst sind, wenn wir eine Ganztagsschule haben?

Schilcher: Nein, aber wir brauchen Partner, die für das Kind anregend sind. Wenn das die Eltern sind, hervorragend. Aber es gibt auch Kinder aus bildungsfernen Familien, die niemanden haben, wenn sie heimkommen.

Kimberger: Ich bleibe dabei: Die so genannte Wohlstandsverwahrlosung, bei der Eltern ihre Kinder materiell überhäufen, aber nicht mehr mit ihnen reden, ist eine Fehlentwicklung und die kann die Schule nicht eins zu eins beheben.

Schilcher: In einer Ganztagsschule, die um halb fünf Uhr aus ist, haben die Eltern noch bis 20 Uhr Zeit, mit ihren Kindern zu reden. Warum geht das in drei Vierteln der OECD-Länder, nur bei uns nicht?

Die Furche: Apropos nicht gehen: Auch die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrern wird schwieriger. Kürzlich ist ein Fall aus Salzburg bekannt geworden, wo ein Vater sich im Unterrichtsministerium beschwert hat, weil sein Sohn aus seiner Sicht ungerechtfertigt bei einer Prüfung durchgefallen war. Nun wurde er von den betroffenen Lehrern wegen Kreditschädigung geklagt …

Kimberger: Man wird sehen, wie das Gericht entscheidet. Insgesamt ist es meist ein Vergnügen, mit unseren Eltern zu arbeiten. Aber wenn es so weit kommt, dass Eltern mit Rechtsanwälten in der Schule stehen und Lehrer bedroht und beleidigt werden, dann sage ich klar: Lehrer müssen sich nicht alles gefallen lassen.

Schilcher: Aus meiner Erfahrung gibt es Eltern, die sich kümmern und solche, die sich wenig kümmern - oder gar nicht kümmern können bzw. kein Geld für teure Nachhilfe haben. Andererseits gibt es auch Lehrer, die ihren Job nicht beherrschen. Ihr Vorgänger (Fritz Neugebauer, Anm.) hat sich mit Andreas Salcher darauf geeinigt, dass 20 bis 25 Prozent der Lehrer keine Topqualität leisten.

Kimberger: Also diesen Prozentsatz kann ich nicht bestätigen.

Schilcher: Ich war in diesem Punkt auch immer kritisch. Meiner Erfahrung nach leiden die Lehrer vor allem unter schlechten Bedingungen und der Bürokratie. Brauchen wir wirklich 988 Leute im Ministerium, dazu 150 in jedem Landesschulrat und in den Schulabteilungen der Länder noch einmal je 100? Wozu bitte? Jedem fällt irgend etwas ein und dann quält man die Lehrer mit Vorschriften.

Die Furche: Geht es nach SPÖ und ÖVP, sollen zumindest die Bezirksschulräte abgeschafft werden…

Schilcher: Gut. Mit Genugtuung habe ich auch gelesen, dass die neue Koalition in Salzburg den Landesschulratspräsidenten abschaffen will - das wird sie zwar nicht schaffen, aber es ist ein guter Ansatz. Um Nähe zu den Schülern herzustellen, braucht es nämlich keine Länder- oder Bezirksbehörden, sondern Schul-Autonomie. Herr Kimberger: Sind Sie einverstanden, dass wir diesen depperten Artikel in der Bundesverfassung streichen, wo die parteipolitische Besetzung aller Gremien verankert ist?

Kimberger: Ich habe keine Schmerzen dabei, wenn ich an das Ende der Kollegien in den Bezirksschulräten denke. Und wenn man etwas effizienter machen kann, soll man das tun. Meine Sorge ist nur, dass den jetzt schon überfrachteten Schulleitungen zusätzlich Aufgaben übertragen werden, wenn man eine Instanz einfach streicht. Ich glaube auch nicht, dass man Schulen die Personalhoheit geben sollte. In Linz, wo ich herkomme, gibt es Zentralraumprobleme, aber auch die so genannten Bergschulen. Wenn es hier einen freien Wettbewerb geben würde, dann weiß ich, wohin die Lehrer gehen.

Schilcher: Aber die Schulen wissen doch am besten, welcher Lehrer zu ihnen passt! Und je kleiner die Schule, desto wichtiger ist diese Auswahl. Es darf nicht sein, dass ein Schulleiter gar nichts entscheiden darf: Dann wird er frustriert oder kauft sich einen Freund im Landesschulrat, dem er sagt: Geh, schick mir unter der Hand den! Das habe ich x-mal erlebt.

Kimberger: Das sind doch Klischees! Ich möchte jedenfalls nicht, dass der Herr Bürgermeister Einfluss auf die Schulleitung oder die Lehrer hat, wenn sein Kind in der Schule sitzt. Politik hat in der Schule nichts verloren.

Schilcher: Absolut d’accord. Seit 30 Jahren versuche ich, das zu streichen, aber nie ist es gelungen.

Die Furche: Bis zu einem neuen Lehrerdienstrecht dauert es hoffentlich nicht so lange: Sie, Herr Kimberger, verhandeln notfalls auch im Sommer, während ihre Lehrerkollegen neun Wochen Urlaub haben. Sind Sie trotzdem froh, derzeit Gewerkschafter zu sein und nicht in der Klasse zu stehen?

Kimberger: Für mich ist Lehrer nach wie vor der schönste Beruf - hinter dem, Vorsitzender der Lehrergewerkschaft zu sein! (lacht) Nein, im Ernst: Es gibt keinen anderen Beruf, wo man so einwirken kann auf die Zukunft unserer Kinder und die Lehrer leisten unheimlich gute, herausfordernde Arbeit. Darum wünsche ich ihnen erholsame Sommerferien, die sie selbstbewusst genießen sollen.

Schilcher: Also ich bin ja nie länger als eine Woche auf Urlaub gefahren, aber prinzipiell halte ich die großen Ferien nicht einmal für übertrieben. Da liegen wir international im Mittelfeld. Insofern schließe ich mich Ihren Wünschen gerne an.

Die Diskutanten

Bernd Schilcher

Der 72-jährige, emeritierte Professor für Bürgerliches Recht war steirischer VP-Landtagsabgeordneter und bis 1996 Präsident des Landesschulrates. 2011 hat er das Bildungsvolksbegehren mitinitiiert, 2012 das Buch "Bildung nervt“ publiziert.

Paul Kimberger

Der 46-jährige Hauptschullehrer (Sport, Mathematik und Informatik) steht seit 2011 an der Spitze der Pflichtschullehrergewerkschaft. Als Vorsitzender der ARGE Lehrer in der GÖD verhandelt der Christgewerkschafter das neue Dienstrecht.

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