Die neuen Zwänge zur Ganztagsschule

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Was wird nun aus der neuen Einigkeit in Sachen Ganztagsschule und was steckt hinter der Richtungsänderung der ÖVP in bildungspolitischen Fragen?

Sie wurden vollmundig als „Schwenk“ in der Bildungspolitik interpretiert: die Aussagen von VP-Chef und Finanzminister Josef Pröll und von Außenminister sowie vom Obmann des Arbeitnehmerbundes ÖAAB, Michael Spindelegger, wonach Plätze für Ganztagsschulen ausgebaut werden müssten und sogar mehr Geld dafür in die Hand genommen werden soll.

Als „Schwenk“ wollen dies manche Experten nicht interpretiert wissen. Der Politologe Peter Filzmaier sieht die jüngsten Aussagen zugunsten von Ganztagsschulplätzen eher als „Füllen eines jahrelangen Vakuums. Denn die ÖVP hat lange Zeit kein klares Bildungskonzept gehabt. Es ist weniger ein Schwenk, vielmehr stellt sich die ÖVP erstmals seit längerer Zeit diesen Zukunftskonzepten.“

Auch der Bildungsexperte Bernd Schilcher erinnert daran, dass er schon Anfang der 90er Jahre für den damaligen VP-Vizekanzler Josef Riegler die Regierungsverhandlungen im Bildungsbereich geführt habe und die Ganztagsschulen im Programm gestanden seien. Die jüngsten Aussagen sind für Schilcher vor allem eine Generationenfrage. „Herr Spindelegger ist erheblich jünger als Herr Neugebauer und kennt die Sorgen der jungen Familien.“

Doch nicht nur die Bedürfnisse heutiger Familien dürfte hinter der neuen Linie stehen. Es gibt laut Filzmaier auch ein strategisches Kalkül: Zwar werde es nicht gelingen, dass Stammthema von SPÖ und Grüne – die Bildung – alleine zu besetzen, aber es gebe die Devise: Wenn du wirklich gewinnen willst, musst du die Stärke des Gegners angreifen, so Filzmaier.

Parteiinterne Widerstände könnten durch eher konservativere Wählergruppen am Land versus urbane Wähler zu erwarten sein, so der Politologe. Diesen Spagat müsse die ÖVP schaffen. Klientelpolitik, also Rücksichtnahme auf die ÖVP-dominierte Lehrergewerkschaft, könne sich die Volkspartei nicht leisten, demgegenüber stünden die Bedürfnisse von etwa 1,2 Millionen Schüler, deren Eltern und Angehörigen.

Viele von diesen werden ebenso gespannt beobachten, was aus den Ankündigungen wird, wie SP-Bildungsministerin Claudia Schmied selbst. „Jetzt müssen den Worten Taten folgen“, hieß es aus ihrem Büro. Es gebe zwei Möglichkeiten, dass Stundenkontigent an Österreichs Schulen auszudehnen, und zwar mehr Budget und ein neues Dienstrecht. Ende des Jahres soll mit den Verhandlungen für ein neues Lehrer-Dienstrecht begonnen werden. Das Budget für 2011/2012 wird ab nächstem Frühling verhandelt.

Im Ministerium ist man bereit größer zu denken: „Wenn sich jetzt ein nationaler Schulterschluss andeutet, sprich der Koalitionspartner geht mit und ist bereit, mehr Geld in die Hand zu nehmen, dann können wir auf größere Dimensionen hinarbeiten, Kontakt mit Elternverbänden aufnehmen und den möglichst realistischen Bedarf an ganztägigen Schulformen erheben und ein ambitioniertes Programm vorlegen“, sagte Nikolaus Pelinka, Sprecher von Ministerin Schmied. Bisher habe man auf Basis der bestehenden politischen und budgetären Verhältnisse gearbeitet. Schmieds Programm, das dieses Jahr startete, lautet „Tagesbetreuung Neu“. Im letzten Jahr lief das Modell als Pilotprojekt. Zurzeit stehen 90.000 ganztägige Plätze in ganz Österreich zur Verfügung. Das Ziel ist bis 2013 die Schaffung von 120.000 Plätzen. Für Michael Spindelegger zu wenig, wie er gegenüber der Presse sagte.

Das Modell „Tagesbetreuung Neu“ sieht vor, dass Schüler am Nachmittag zehn Stunden pro Woche ein Bildungsangebot, etwa Förderstunden, durch Lehrer erhalten. Das sei auch das Zukunftsmodell für die Ministerin, so ihr Sprecher. Auf verschränkte Modelle, wie viele Bildungsexperten einfordern, bei denen den Tag über Lerneinheiten und Freizeit aufgeteilt sind, will sich die Ministerin vorerst nicht versteifen. „Experten sagen, dass das die langfristige Perspektive sein soll. Aber wir haben in Österreich aufgrund des ideologischen Streits 30 Jahre lang in diesem Bereich nichts weitergebracht.“ Davon wolle man wegkommen und zeigen, was Schule anbieten könne. „Und dann gehen wir davon aus, dass die Elternnachfrage sowieso kommt.“

Außer den Budgetzwängen ist mit großem Widerstand seitens der Lehrergewerkschaft zu rechnen. Zwar beteuern etwa der Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Fritz Neugebauer, oder der Chef der Pflichtschullehrer-Gewerkschaft Walter Riegler, dass sie grundsätzlich für Ganztagsformen seien bzw. für Wahlfreiheit und mehrere Angebote an Schulformen, aber nur, wenn es mehr Lehrpersonal gebe, nicht aber, indem die Lehrverpflichtung erhöht werde. Für Riegler müsste es dafür zunächst Arbeitsplätze für Lehrer an Schulen geben, die es de facto an den meisten Schulen noch nicht gibt.

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