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Säumigkeit macht Schule

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Die Lehrer protestieren, Eltern wollen demonstrieren, Schüler überlegen Streik. Die Schule ist - wieder einmal - ins Gerede gekommen. Unberechtigt? Die Zeit läuft davon...

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Die Lehrer protestieren, Eltern wollen demonstrieren, Schüler überlegen Streik. Die Schule ist - wieder einmal - ins Gerede gekommen. Unberechtigt? Die Zeit läuft davon...

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Vor kurzem wurden vom Unterrichtsministerium zwei Entwürfe zu Schulfragen angekündigt: zu den ganztägigen Schulformen und zur Maturareform. Bleiben wir vorerst beim Thema „ganztägige Schulform“. In den Schul versuchen gab es bisher das Modell „Ganztagsschule“, in dem Unterricht und Betreuung (etwa gezielte Betreuung der Lemtätigkeit und eine sinnvolle Freizeitgestaltung) einander abwechseln. Die Kinder müssen den ganzen Tag in der Schule sein.

Weiters wurde das Modell „Tagesheimschule“ erprobt, eine Schule mit Unterricht und mit Betreuungsteil. Durch die zeitliche Abfolge beider Teile muß der Schüler am Betreuungsteil nicht teilnehmen.

Mit der Begründung, daß der Wunsch von berufstätigen Eltern nach einem Angebot ganztägiger Schulform zunehmend besteht, soll nun dieser Schul versuch ins Regel-schulsystem bei Volks-, Haupt- und Sonderschulen sowie der Unterstufe der Allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) aufgenommen werden. Ausgegangen wurde vom Koalitionsübereinkommen, wonach „ein neues flexibles Modell einer ganztägigen Schulform geschaffen werden soll, in dem Schülerinnen und Schüler an den Nachmittagen auch ohne konkrete Anwesenheitspflicht Aufnahme finden“.

Wurde zuerst behauptet, der Entwurf sei en gros und en detail zwischen den Koalitionsparteien abgestimmt, zeigte sich unlängst nach einer Pressekonferenz von Unterrichtsministerin Hilde Haw-licek, daß dem nicht so ist. Der zu begutachtende Gesetzestext ließe beide Modelle zu, denn „neben dem Unterrichtsteil soll ein Betreuungsteil angeboten werden“. ÖVP-Schulsprecher Gerhard Schäffer lehnte daraufhin prompt die „Zwangstagsschule“ ab.

Der zweite Streitpunkt ist, ob die

Eltern für den Betreuungsteil einen Beitrag leisten sollen, wie groß jener der Schulerhalter sein soll, und wer die durch eine allfällige soziale Staffelung ausfallenden Beträge ersetzen soll. Soviel sollte dabei sicher sein: nicht die „Melkkuh der Nation“, der Familienlastenaus-gleichsfonds.

Das Problem verschärft sich insbesondere dadurch, daß beispielsweise in Wien von 61 öffentlichen AHS 32 das Tagesschulheim, also eine Nachmittagsbetreuung, anbieten, eine Form, die ebenfalls wegfallen soll. Dafür müssen die Eltern monatlich nur fünfzig Schilling Beitrag bezahlen (zuzüglich Essenskosten). An acht Wiener AHS wird die Tagesheimschule als Schulversuch angeboten. Deswegen ist sie für die Eltern kostenlos.

Nahezu unbeachtet blieb in der Diskussion bisher die Frage der Privatschulen: Bei diesen müssen die Eltern für ebenfalls eine ganztägige Unterbringung der Schüler einen erheblichen Beitrag leisten. Der Schulerhalter muß überdies für Raumbedarf und anderes sorgen.

So sehr die Aufregung der Eltern, die bisher (fast) nichts bezahlen und in Hinkunft - zumindest nach dem Verordnungsentwurf - 900 Schilling bezahlen sollen, verständlich ist, ist auf der anderen Seite zu bedenken, daß doch niemand annehmen kann, daß etwa fünfzig

Schilling einen kostendeckenden Beitrag ergeben. Noch dazu, wenn man berücksichtigt, daß für ein Halbinternat in einer katholischen Privatschule Beiträge zwischen 300 und 1.600 Schilling eingehoben werden.

• Lehnt Bürgermeister Helmut Zilk den Elternbeitrag ab, so ist an die Wiener Kindergärten und Horte zu erinnern, in denen sehr wohl ein entsprechender, sozial gestaffelter Elternbeitrag eingehoben wird. Nicht genügend sind jedenfalls im Entwurf die Ermäßigungsmöglichkeiten. So ist auch keine völlige Befreiung vorgesehen und die Sätze der Schülerbeihilfe, die als Entscheidungsgrundlage über eine Ermäßigung verwendet werden sollen, sind ebenfalls unzureichend.

Der zweite Problembereich ist die Maturareform. Hier sollte nach jahrelangen Ankündigungen der Unterrichtsministerin eine Fachbereichsarbeit vorgesehen werden. Nun stellt sich heraus, daß dieses Herzstück der neugestalteten Matura - zumindest vorerst - nicht möglich ist.

Als besonderes Problem kommt hinzu, daß sich die Schüler der derzeitigen fünften AHS-Klasse bereits jetzt für die Wahlpflichtgegenstände der sechsten Klasse entscheiden müssen. Zum Teil wird aber damit bereits eine Vorentscheidung beziehungsweise Entscheidung über die restlichen Wahl-pflichtgegenstände getroffen. Nach dem vorliegenden Entwurf ist vorgesehen, daß die Wahlpflichtgegenstände in die Matura einbezogen werden können. Die Behauptung der Frau Unterrichtsministerin, sie habe noch sehr viel Zeit - die neue Matura trete erst in vier Jahren in Kraft -, ist daher gänzlich unverständlich.

Das Unterrichtsministerium hat es wieder einmal geschafft, sich mit den nötigen Gesetzen und Verordnungen zu viel Zeit zu lassen. Die notwendigen Entscheidungen, sollen sie zeitgerecht sein, können daher nur unter größtem Zeitdruck zustande kommen. Ob dies für die Qualität der Entscheidung gut ist, muß zumindest bezweifelt werden. Die Geduld von Eltern, Lehrern und Schülern ist offensichtlich überstrapaziert. Die Saumseligkeit des Unterrichtsministeriums schafft zusätzliche und unnötige Probleme für die Schulen.

Der Autor ist Generalsekretär des Katholischen Familienverbandes Österreichs

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