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Diskussion um die Schule

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Für die Diskussion um die Einführung der Fünftagewoche in den Schulen gebe es keinerlei bildungsideologische Gründe, versicherte Unterrichtsminister Fred Sinowatz in seiner Pressekonferenz, in der er sich nicht nur den Fragen der Journalisten stellte, sondern auch den Gegenäußerungen seines Parteifreundes und Amtsvorgängers Leopold Gratz. Die Diskussion war erfreulich, zeigte sie doch die Möglichkeit, auch innerhalb einer Partei vorhandene Meinungsverschiedenheiten sachlich vor der Öffentlichkeit auszutragen. Das Unbehagen, das blieb, rankte sich also weniger um pro und contra Fünftagewoche, sondern um die Frage, warum dieses Problem gerade jetzt aufgegriffen worden war, wo doch der Minister selbst meinte, es gebe viel wichtigere Fragen zu diskutieren.

Aber zunächst zum Thema selbst und der „Doppelconference” im Presseklub. Da machte sich der Unterrichtsminister und oberste Erziehungschef zum Sprecher jener, die - „nicht aus pädagogischen Gründen” - die Verkürzung der Schulzeit fordern. Sehr vorsichtig, bremsend, tastend - gewiß - nur für die Grundschule bereit, schon demnächst „einzusteigen”. Aber doch entschlossen, den „gesellschaftlichen Trend” zu berücksichtigen und jene Argumente hervorzuheben, die für den freien Samstag sprechen sollen.

Und ihm gegenüber der Bürgermeister, der sich in die Rolle der Eltern versetzte (wenn er meinte, in einem Eltemverein würde er für die sechs Tage plädieren) und vehement gegen die Überlastung der Kinder bei einer verstärkten Konzentrierung auftrat, gegen die Einschränkung des Musischen, des Sportlichen - und nicht zuletzt der Freizeit unter der Woche.

Immerhin - einige Punkte wurden außer Diskussion gestellt. Das gehört festgehalten: Die Lemziele dürfen auch bei verminderter Unterrichtszeit nicht herabgesetzt, das Niveau darf nicht gefährdet werden. Gratz erinnerte an den guten Ruf, den Österreichs Schulen in der Welt genießen, an die Notwendigkeit, nicht nur dem Maturanten von morgen, sondern auch dem Facharbeiter eine gediegene Schulbildung zu garantieren.

Versichert wurde auch - dies von Minister Sinowatz daß die Einführung der Fünftagewoche nicht ohne Befragung der Eltern erfolgen würde. Notfalls nicht nur von Land zu Land, sondern auch von Ort zu Ort, ja von Schule zu Schule verschieden. Auch von Klasse zu Klasse an derselben Schule - um auch den Eltern an einer Schule die Auswahl zu bieten? Aber - Einwand Gratz - welche Eltern sollen entscheiden? Jene von heute? Für die von morgen gleich mit? Denn jährlich neu zu fragen, ob fünf oder sechs Tage Schule sein soll, ist doch wohl kaum möglich (abgesehen davon, daß dies auch die Lehrer nicht mitmachen würden).

Wer will denn überhaupt die Verkürzung? Der freie Samstag ist zweifellos attraktiv, viele, ja die meisten Bereiche der Volkswirtschaft haben ihn bereits erreicht. Aber für alle ist er eben nicht möglich. Ist er für die Lehrer „drin”?

In der Steiermark haben sich 90 Prozent der Volksschul- und zwei Drittel der Hauptschullehrer für den freien Samstag ausgesprochen, auch sämtliche Lehrer an Polytechnischen Lehrgängen. An den weiterführenden Schulen dagegen lag das Nein zur Verkürzung zwischen 84 Prozent bei den Lehrern der Gymnasien und 100 Prozent bei jenen der technischen Schulen.

Die Eltern gehen mit den Zahlen der Lehrer weitgehend konform. Hier gibt es keine Frontstellung. Die Schüler an den Pflichtschulen wurden nicht gefragt, jene an den Gymnasien sind skeptisch: 75 Prozent bei jener Umfrage in der Steiermark, mehr als zwei Drittel in Wien bei einer anderen zogen sie die Verteilung des Unterrichts über sechs Tage vor.

Sinowatz ließ durchblicken, daß er - bei einer Einführung in der Pflichtschule - das Nachziehen in den weiterführenden Formen als unvermeidlich kommen sehe. In den Pflichtschulen geht heute schon jeder vierte Schüler am Samstag nicht in die Schule. In Oberösterreich gilt die Fünftagewoche seit je, in anderen Ländern gibt es Schulversuche. Von dort geht die „Versuchung” aus.

In der Volksschule den Unterrichtsstoff auf fünf Tage zu verteilen, wäre möglich, meinte der Minister. Dem Stoff nach mag es stimmen. Ob die Kinderärzte und Kinderpsychologen hier nicht wegen der verstärkten Notwendigkeit zur Konzentration ihr Veto einlegen werden, bleibt noch abzuwarten. Dreißig und mehr Wochenstunden (und all das, was die Schulreform an neuen Freifach- und Arbeitsgemeinschaftsmöglichkeiten versprochen hatte) auf fünf Tage zu verteilen, würde große Schwierigkeiten bereiten.

Nun könnte zweifellos in dem auf fünf Vormittagen unterzubringenden Stundenausmaß alles das vermittelt werden, was heute tatsächlich an Lehr- und Lernstoff geboten werden soll. Dazu müßten aber als Voraussetzung die Klassen bis auf etwa 20 Schüler verkleinert werden, damit der Lehrer mehr Zeit gewinnt, sich mit dem einzelnen zu befassen. Dazu müßte endlich einmal gründlich ausgeforstet werden, was sich an schulfremden Themen, mit „Wochen” und „Tagen”, zwi- schen.dem echten Lehrstoff ausgebreitet hat.

Alle diese inneren Reformen aber- ganz abgesehen von den Kosten, die mit ihnen verbunden sind - werden auf alle Fälle nötig werden. Nicht, um jetzt einem „gesellschaftlichen Druck ohne pädagogische Motivierung” zu entsprechen, sondern um in den achtziger Jahren den bis dahin erneut angewachsenen Unterrichtsstoff verarbeiten zu können. Heute die Früchte einer noch gar nicht erreichten Durchforstung „aufzuzehren”, statt sie wieder in Bildung zu investieren, wäre kurzsichtig.

Sonst würde übermorgen wohl unabweislich der Ruf nach einem zusätzlichen Jahr laut - der heute bereits vereinzelt auftaucht, um die Fünftagewoche schmackhaft zu machen. Sinowatz sagte kategorisch nein hierzu. Er hat damit zweifellos realpolitisch recht. Wer aber denkt daran, daß das 1962 einstimmig beschlossene neunte Mit telschuljahr 1970 nur ausgesetzt, noch nicht endgültig aufgehoben worden ist

Die Diskussion ist in vollem Gang. Wenn man sich entschließen kann, für verschiedene Stufen auęh verschiedene Lösungen anzunehmen, könnte eine Einigung nicht ausgeschlossen sein: Ja für die Volksschulen, nein für alle anderen.

Diskussion ist notwendig. Nur mit einer klaren Information über alle Vor- und Nachteüe können die Eltern entscheiden, meinte auch Gratz. Bleibt noch zu fragen, ob es wirklich nur der „gesellschaftliche Druck” war, der die Diskussion gerade jetzt ausbrechen ließ. Oder doch ein rascher Blick in das damals noch geheime ÖVP-Papier zum Parteitag, das die Fünftagewoche ebenfalls zur Diskussion stellte. Sollte der Opposition die Show gestohlen werden? Oder soll die Diskussion über dieses „weniger wichtige” Thema die Aufmerksamkeit von der Tatsache ablėnken, daß im Hintergrund andere Reformen angebahnt werden, die mehr „bildungsideologische Elemente” ein- schließen als die Fünftagewoche.

Minister Sinowatz bekannte sich zum Programm der Gesamtschule

- aber auch zur Realpolitik in Österreich: Das Erreichbare anpei- len. Sind jene, die hinter ihm ste-- hen, auch bereit, die gegebenen Voraussetzungen zur Kenntnis zu nehmen?

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