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Sterbende Schulen

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Die Sperre einklassiger Volksschulen ln Niederösterreich schlägt immer noch Wellen.

Beim Bildungsniveau muß neben Wissen und Können auch die Bildung des Charakters berücksichtigt werden. Wer den Betrieb und Wirbel in einer Monsterhauptschule gesehen und erlebt hat, weiß, daß dort eine persönliche erziehliche Einflußnahme durch Lehrpersonen kaum möglich ist. Es wurden eingehende Untersuchungen darüber angestellt, wodurch der Einwurf widerlegt wurde, den man auch jetzt wieder oft hört: Die Einklassigen schicken nur die besten ihrer Schüler in die Haupt- und Mittelschulen. Es wurden eingehende Untersuchungen und Tests bei der Aufnahme von Schülern in die bäuerlichen und die gewerblichen Fortbildungsschulen gemacht. Dadurch wurden alle Abgänger einklassiger Volksschulen erfaßt. Auch hier ist das Ergebnis: Die Abgänger einklassiger Volksschulen sind nicht schlechter als die Abgänger hochorganisierter Schulen!

Die Grundvoraussetzung der Diskriminierung der einklassigen Volksschulen 1st also gar nicht gegeben!

Bleibt also das Problem des Lehrermangels. Wenn dieses zur Schließung von Schulen führen muß, so soll das nur in jenen Fällen geschehen, wo die Schülerzahl unter eine gewisse Zahl sinkt und dadurch dann nicht mehr verantwortet werden kann, diese Schule mit einem Lehrer zu besetzen. Hier wäre aber die betroffene Gemeinde zeitgerecht vorher von der drohenden Schließung zu verständigen. Die Bezirksschul- inspektoren hätten schon zeitgerecht den Eltern, den Gemeinden von der bevorstehenden drastischen Maßnahme Mitteilung zu machen, so daß überfallsartige Maßnahmen vermieden werden.

In Niederösterreich bestehen ferner mehrere Schulen, die von einer Schließung ausgenommen werden müßten. Das sind Schulen im Voralpengebiet und Schulen im Waldviertel, namentlich dann, wenn sie direkt an der Grenze gelegen sind wie die einklassige Volksschule der Stadt Hardegg. Glatteis und Schnee machen die Serpentinenstraße über den Hardeggerberg durch viele Wochen im Winter unpassierbar, da sollen Kinder des ersten bis vierten Schuljahres diesen Weg bewältigen?

Das Schließen von Volksschulen und die Schaffung von Mittelpunktschulen bedeutet einen gewaltigen Eingriff ln das durch Jahrzehnte geschaffene Schulsystem und greift tief in das Leben und Wirken der ländlichen Gemeinden. Deshalb müssen in diesen Fällen alle Belange genau geprüft und sorgfältig untersucht werden und dürfen nicht allein vom grünen Tisch als Verwaltungsvereinfachung an Hand der Landkarte vorgeschlagen und ausgeführt werden.

Unverständlich ist mir, wenn bei solchen Schulzusammenlegungen von einer Schulreform gesprochen wird. Man soll doch beim richtigen Namen des Versuches einer Verwaltungsvereinfachung bleiben. Unverständlich ist mir auch, wenn einer der maßgebenden Herren sagt, es bestehe kein Plan über Schulzusammenlegungen, und der nächste maßgebende Herr sagt, nach dem 6. März (Wahltag) werde an der Schuizusam- menlegung weitergearbeitet…

Die „Mittelpunktschulen”

Eine Frage müßte vor der Schaffung neuer „Mittelpunktschulen” noch geklärt werden: Sind Staaten oder Länder, die solche Mittelpunkt- schulen schon geschaffen haben, nun auch aus Erfahrung noch Anhänger der Ansicht, daß diese Lösung die bessere ist?

In Gegenden mit Streusiedlungen — und diese haben wir im Waldviertel und im Alpenvorland sehr häufig — muß hier manches berücksichtigt werden, was im Flachland unbekannt ist. Am grünen Tisch und vor der Landkarte kann man ja planen: Mittelpunktschule wird die Volksschule Emmersdorf. Die Kinder dei Volksschule Maria Laach am Jauer- ling fahren jeden Tag mit dem Bu; von Maria Laach nach Emmersdori und zurück. Unbekannt ist diesen Planer, daß die Kinder der Volksschule Maria Laach meist aus Streusiedlungen kommen und von ihren Elternhaus bis zur Volksschul Maria Laach schon eine Stunde unc mehr zu Fuß gehen mußten, um di Schule zu besuchen. Wann müßtei diese Kinder aus dem Elternhaus fortgehen und wann kämen sie in dasselbe zurück, wenn ihre Pflichtvolksschule Emmersdorf werden sollte?

Mittelpunktschulen sind für die größeren Kinder ohnedies schon die bestehenden Hauptschulen. Wäre es denn da nicht besser, man ließe die Kinder der Unterstufe der Pflichtschule (6. bis 10. Lebensjahr) in ihrer Dorfschule Maria Laach am Jauer- ling? Vom 10. bis 14. Lebensjahr müßten dann nach dem neuen Schulgesetz die Kinder die Hauptschule in Emmersdorf besuchen.

Die Schwierigkeiten der Bildung von Mittelpunktvolksschulen soll noch an einem anderen Beispiel aufgezeigt werden. Kommt da eine Gemeindedeputation in ein h’iefür maßgebliches Amt und wird schließlich von einem Planer empfangen. Dieser eröffnet an Hand der Landkarte: „Die Mittelpunktschule für die Gemeinden Gneixendorf, Stratzdng und Senftenberg kommt nach Strat- zing. Dort wird das Volksschulgebäude neu gebaut.” Der Referent weiß nicht, daß die Gemeinde Gneixendorf in der NS-Zeit zur Großgemeinde Krems gehörte. Hier sind noch so viele Bindungen vorhanden, daß die Gemeinde beziehungsweise die Eltern der Schulkinder von Gneixendorf ihre Kinder, falls die Schule Gneixendorf wirklich geschlossen werden sollte, wohl auch nur Sn die Volksschule nach Krems schicken wollen, wohin die schulpflichtigen Kinder Gneixendorfs vom 10. bis 14. Lebensjahr so schon in die Haupt- und Mittelschulen fahren.

Dieser Referent müßte den Weg Senftenberg—Stratzing im Jänner und Februar schon gegangen sein, um zu wissen, daß der Schulweg Senftenberg—-Stratzing im Winter den Kindern vom sechsten bis zum zehnten Lebensjahr nicht zugemutet werden kann. Diese Straße wird übrigens im Winter wegen des geringen Verkehrs gar nicht schneefrei gehalten. Auch von Senftenberg fahren die zehn- bis vierzehn jährigen Schüler mit Autobussen in die Haupt- und Mittelschulen nach Krems. In beiden Fällen besteht ja für die Zehn- bis Vierzehnjährigen schon eine Mittelpunktschule in den Hauptschulen in Krems. Daher könnten die Kinder vom sechsten bis zum zehnten Lebensjahr in ihren Wohn- gemeinden die Volksschule weiter besuchen. Erst bei einem Absinken unter die festgesetzte Mindestschülerzahl wären solche Schulen zu sperren.

Bei den hier nur zum Teil aufgezeigten schwierigen Problemen einer Verwaltungsreform des Schulwesens auf dem Lande wäre nach meiner Auffassung der gangbarste Weg von der geplanten straffen Durchführung von vierklassigen Mittelpunktschulen abzugehen und sich mit der Schaffung von zweiklassigen Volksschulen außerhalb des Unterbaus von vierklassigen Volksschulen bei Hauptschulen zu begnügen. Das brächte wohl rascher eine Beruhigung in den Landgemeinden und auf weitere Sicht die Grundlage, die geplanten wirtschaftlichen Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaftskraft der ländlichen Gebiete durchzuführen. Es würde damit die immer stärker werdende Landflucht gebremst und vielleicht ganz zum Stillstand kommen.

Akuter Lehrermangel

Das Problem des Lehrermangels bleibt so weiterhin eine belastende Hypothek für die Besetzung von Lehrstellen und im Aufbau des Schulwesens.

Es wäre aber leicht nachzuweisen, daß durch die Schließung der 88 ein- klassigen Volksschulen in Niederösterreich keine Lehrkräfte erspart worden sind. In mehr als der Hälfte dieser Fälle mußte an der neuen Schule eine neue Klasse eröffnet werden. Lehrkräfte über dem 60. Lebensjahr, die noch bis zur Erreichung des 65. Lebensjahres gedient hätten, nehmen die Strapazen eines Dienst- und eventuellen Wohnungswechsel nicht mehr auf sich und scheiden aus dem Dienst vorzeitig aus. Die Möglichkeit einer früheren Pensionierung hat sich nach dem 1. Jänner 1966 durch Einführung der 35jähri- gen Dienstzeit nur noch verschärft. Schließlich haben wir auch noch eine Gruppe kränklicher Lehrpersonen.

Zur Behebung des Lehrermangels sind ja von den verantwortlichen Stellen schon gute Einrichtungen geschaffen worden. Die Einrichtung der Maturantenlehrgänge hat gute Ergebnisse gebracht.

Der Verwendung von Pensionisten muß wohl mehr Aufmerksamkeit zugewendet werden.

Freilich ist die Grundvoraussetzung dafür, daß sie an ihrem Pensionistenwohnsitz verwendet werden. Es ist aber nicht möglich, den Pensionisten weiterhin als Leiter seiner bisherigen Schule zu belassen. Die Verwendung von Lehrerpensionisten im Schuldienst müßte wohl auch entsprechend im Verordnungswege geregelt werden.

Durch den Lehrermangel haben nun die Dorfgemeinden erkannt, wie notwendig sie den Lehrer im Dorfe brauchen. Jetzt suchen sie auf dem Gebiet der Lehrerwohnungen nachzuholen, was in früheren Jahren auf diesem Sektor versäumt wurde. Heute weiß man schon Gemeinden, welche dem Lehrer Bonifikationen zuwenden, um ihn an das Dorf zu binden und dort auch zu halten.

Wie tief und schwer sich solche Schulstillegungen ln den einzelnen Gemeinden auswirken, zeigt folgender rührender Fall: Da bietet eine Gemeinde dem Leiter der geschlossenen Schule das Schulhaus als Wohnhaus zum Kaufe an, um das außerschulische Wirken des Lehrers dem Dorfe zu erhalten. Der Lehrer ist gesonnen, dieses Kaufangebot anzunehmen und weiterhin in dem Dorfe zu leben, wenn er auch selbst mit seinen Kindern dienstlich immer wegfahren muß. Diese Gemeinde hat ihr Schulproblem auf Jahrzehnte hinaus gelöst. Kommt aber später wieder ein Lehrer ins Dorf, um sich in .seinem Bereich niederzulassen und dort zu wohnen und um dort auch außerschulisch zu wirken?

Und die Kosten?

Als letzter Grund für die Schließung von Volksschulen wird auch die Durchführung der neuen Schulgesetze genannt. Hier muß ich aber darauf hinweisen, daß die restlose Durchführung der neuen Schulgesetze den Gemeinden, den Ländern und dem Bund zusätzlich so hohe finanzielle Belastungen auferlegt, daß im Einvernehmen mit den politischen Parteien eine Neufestsetzung der Durchführungstermine ins Auge gefaßt werden müßte.

Der vorstehende Artikel will mit dazu beitragen, manche Begriffe und Anschauungen auf Grund feststehender Erfahrungstatsachen zu klären. Er ist bemüht, Lösungswege aufzuzeigen, die eine ruhige Ent- Wicklung des Schulwesens im länd- ; liehen Raume bringen könnten.

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