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Erziehung zum Land

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Die vom Bundesministerium für Unterricht seit 1946 eingeleitete österreichische Landschulerneuerung fand ihren ersten markanten Ausdruck in der ers,ten österreichischen Landschultagung, die nach umfänglichen Vorbereitungen im Oktober 1947 zustande kam. Sie erbrachte zunächst einen energischen Existenznachweis der österreichischen Landschule: fein Viertel aller österreichischen Volksschulen waren damals einklassige Volksschulen, ein weiteres Viertel zwei- klassige, ein Sechstel dreiklassigė Volksschulen; mehr als zwei Drittel der österreichischen Volksschulen konnten also als weniggegliederte Volksschulen — mehrere Schuljahre in einer Klasse unter einem Lehrer vereinigend — angesprochen werden. Auch der Schülerzahl nach — etwas weniger als 60 Prozent der Schüler der Volks- und Hauptschulen besuchten ländliche Schulen — konnte der Beweis der zahlenmäßigen Mächtigkeit dieser Schulform in Österreich erbracht werden.

Drei Hauptziele der Landschulerneuerung wurden angegeben: die neue österreichische Landschule soll als Lebensund Erziehungsschule gesehen werden, sie soll echte Heimatschule sein und durch Ausgestaltung ihres eigenständigen didaktischen Apparats noch mehr als bisher zur richtigen Leistungsschule werden.

Der organisatorische Schlüssel zu dieser Schulerneuerung lag zunächst in der Herabsetzung der durchschnittlichen Klassenschülerzahl. Die tatsächlich durchgeführte Herabsetzung der Durchschnittszahlen der Schüler in einer Klasse von 44 im Jahre 1945 auf 36 im Jahre 1951 führte zu einer in der Geschichte des österreichischen Schulwesens einzig dastehenden Verminderung der Zahl der einklassigen und zweiklassigen Volksschulen: insgesamt wurden über 350 ein- bis dreiklassige Volksschulen in höherorganisierte Schulformen umgewandelt und so mehr als 7 0.0 00 Schüler in höherorganisierte Schulen übergeführt.

Diesen bedeutenden äußeren schulorganisatorischen Erleichterungen folgten entsprechende innere Maßnahmen: die Einsetzung eigener Landschulreferenten bei den einzelnen Landesschulbehörden und die Errichtung eines V e r s u c h s- Schulsystems in allen Bundesländern. Derzeit bestehen über 200 Schulen in Österreich, etwas mehr als drei Prozent aller Schulen, die auf Grund freiwilliger Meldung der Lehrerschaft in starker landschaftlicher Abwandlung die Grundlagen für die Erstellung eines österreichischen Landschulplanes gestalten.

Die Lehrerfortbildungskurse sämtlicher Bundesländer haben die Bestrebungen zur Landschulempuerung seit 1947 in ihr Programm aufgenommen. Darüber hinaus galt es, diesen Intentionen auch in der Lehrerbildung zum Durchbruch zu verhelfen, im theoretischen Pädagogikunterricht durch Rücksichtnahme auf Landkind und Landjugend im Rahmen der Milieupsychologie, durch entsprechende Berücksichtigung der Didaktik der weniggegliederten Schulen in der Unterrichtslehre und in der Klassen- und Schulkunde, vor allem aber durch eine Reform der praktischen Ausbildung, durch Umwandlung der bisher nur nach der städtischen Schultype aufgezogenen Ubungsschulen der Lehrerbildungsanstalten in Schulformen, die wenigstens in einer Klasse zwei oder mehrere Schuljahre umfassen, und denen dann ein System von Berufsschulen auf dem Lande zur milieumäßigen Ergänzung angegliedert wurde.

Die Umgestaltung der Landschule zu einer Lebens- und Erziehungsschule des Landes, die entschiedene Berücksichtigung der milieumäßigen Gegebenheiten begegnet da und dort noch der Zurückhaltung. Das Problem der Landflucht gab hier besonders bei der Erhaltung der Landhauptschulen und ihrer Umgestal-

tung zu landgemäßen Formen entsprechende Hinweise: Erziehung zum Lande, Festigung der Verbundenheit mit der Heimat über den rein intellektuellen Grundsatz der Bodenständigkeit hinaus.

Von der inneren Schulerneuerung führt eine konsequente Linie auch zur äußeren Schulerneuerung. Die zweite Landschultagung wurde unter das Motto „Das Landschulhaus der Gegenwart" gestellt. Pädagogen, Architekten und Schulhygieniker beschäftigten sich mit dem aktuellen Thema des Schulhausbaues der Gegenwart. Ihre Bedeutung wird durch die Tatsache unterstrichen, daß in Österreich seit dem Werden des Reichsvolksschulgesetzes noch niemals eine so rege Schulbautätigkeit zu verzeichnen war wie gegenwärtig: in den Bundesländern wurden seit 1945 über 300 Schulgebäude für Volks- und Hauptschulen neu errichtet; die gesamten neuen Schulbauten geben in rund 1500 Klassen für etwa 5 0.0 00 Schüler neue Schulräume, ohne daß hier Umoder Zubauten oder Erneuerungsarbeiten an alten Schulhäusem hinzugezählt werden.

Die Neueinführung des Schülerbeschreibungsbogens und des Erziehungsbogens auch in den Landschulen an Stelle der Schulkataloge wird in der kommenden Zeit ein weiteres Problemgebiet in den Blickpunkt der Landschulerneuerung rücken: das Studium der Entwicklung des Landkindes und der Entwicklung der ländlichen Jugend.

Die dritte österreichische Landschultagung, die im vergangenen Oktober stattfand, stand daher unter dem Thema „Kindheit und Jugend auf dem Land e“. Im grundlegenden Referat über die biologischen Grundlagen der Entwicklung wurde viel von der Legende der gesundheitlich besseren Verhältnisse der Landjugend zerstört. Erste Erhebungen über Körperlänge und Gewicht der Landkinder einiger Landschaften lagen unter den städtischen Durchschnittswerten. Als dringliche Gegenwartsaufgabe wurde die Aktivierung der in Österreich brachliegenden Milieupsychologie, insbesondere der Psychologie der Landjugend gefordert. Dies besonders im Zusammenhang mit erschütternden Feststellungen der Referenten zur Soziologie des Dorflebens in der Gegenwart, vor allem zu den Zahlen des Geburtenrückganges und der Landflucht. Es gilt hier, endlich die Dinge so zu sehen, wie sie tatsächlich sind, fern von aller enthusiastischen, romantisierenden Betrachtung des Landes. Neben Fürsorge und Seelsorge — die hier ein noch viel zu wenig beachtetes Krisengebiet zu betreuen hat — wird die Schule auf dem Lande im Sinne der hier nur skizzenhaft angedeuteten Bestrebungen zur Landschulemeuerung ihren Beitrag durch ihre weitere Entwicklung zu einer landnahen und lebensnahen Erziehungsschule leisten müssen.

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