6571764-1950_23_14.jpg
Digital In Arbeit

„Die schönsten Jahre unseres Lebens“

Werbung
Werbung
Werbung

Für die meisten Menschen bedeutet die Erinnerung an ihre Schulzeit eine Fülle freudiger Erlebnisse; soweit es das Schulgebäude betrifft, allerdings in vielen Fällen die. Erinnerung an ein graues, ungepflegtes, mehrstöckiges Haus, dem man den Bauschematismus schon von weitem anmerkt. Die Reformen im Schulbau, die in zahlreichen europäischen Ländern nach dem ersten Weltkriege einsetzten, bewirkten vielfach interessante Einzellösungen, die jedoch durch die Ungunst der Verhältnisse sich nicht in die Breite erstrecken konnten. Und die jetzigen Kinder gehen zum großen Teil noch in die Schulen ihrer Väter und Großväter, soweit in den kriegszerstörten Gebieten nicht noch primitivere Verhältnisse herrschen.

Die amerikanischen Kinder haben es besser. Wenn man das Schulwesen und besonders die Tendenzen im modernen Schulbau in den Vereinigten Staaten studiert, ist. man äußerst beeindruckt, welche ungeheuren Fortschritte in pädagogischer, organisatorischer und hygienischer Beziehung der Schulbau in den USA in den letzten zwei Jahrzehnten gemacht hat. Vor allem überrascht die große Zahl neuer oder im Bau befindlicher Schulgebäude, die mit dem herkömmlichen Typus der „Schule“ gründlich aufgeräumt haben. Mit welchem Ernst und mit welcher Hingabe an den Problemen der Verbesserung der Schulbauten gearbeitet wird, kommt am deutlichsten in den „School-Building-Planning-Confercnces“ zum Ausdruck, die alljährlich an den großen Universitäten abgehalten werden. Der Verfasser hatte Gelegenheit, im vergangenen Sommer einer solchen Konferenz in der Indiana-University in Bloomington beizuwohnen, die unter Leitung des bekannten Pädagogen Professor Paul W. Seagers stattfand und an der unter anderen einer der ersten Autoritäten der Vereinigten Staaten auf dem Gebiete des Erziehungswesens, Professor Engelhardt aus New York, teilnahm. In diesen jährlichen Konferenzen werden in interessanten Diskussionen zwischen Pädagogen und den bekanntesten Architekten der USA, die sich mit Schulbau befassen, alle aktuellen Fragen des modernen Schulbaus besprochen.

Im allgemeinen muß festgestellt werden, daß es gegenwärtig einen äußerst differenzierten amerikanischen Schultyp gibt, der in vorbildlicher Zusammenarbeit zwischen dem „American Institute of Architects“, der „American Medical Society“ und den „Supervisers of Schools“, den staatlichen Aufsichtsorganen, entwickelt wurde. Da das Schulwesen nicht bundeseinheitlich geregelt ist, sondern Angelegenheit jedes einzelnen Staates beziehungsweise privater Institutionen ist, entsteht schon durch die Rivalität der einzelnen Staaten eine Art Konkurrenz. Denn jeder Staat ist bestrebt, die schönsten und modernsten Schulen aufweisen zu können. Ein noch entscheidenderer Faktor sind die zahlreichen privaten Institutionen, die Schulen errichten. Durch namhafte private Dotationen stehen diesen Schulen erhebliche Mittel für eine großartige Ausgestaltung zur Verfügung.

Der Amerikaner liebt abgöttisch seine Kinder. Die ganze Liebe und Sorgfalt der schöpferischen Kräfte in der gegenwärtigen amerikanischen Architektur wird daher dem Schulbau zugewendet. Hier ist mehr als nur perfekter Rationalismus in der Raumdisposition oder äußerste Vollkommenheit in der technischen Ausbildung, wie sie auch im Industriebau, Bürohausbau oder Hotelbau anzutreffen sind. Die Atmosphäre dieser Bauten spricht die Seele des Kindes an und gehört zu den entscheidendsten Eindrücken, die der Besucher aus Europa von der modernen amerikanischen Architektur mitnimmt. ,

Dem Bestreben in den USA, die Kinder und Jugendlichen nicht so sehr mit Wissen anzustopfen, sondern zu freien Persönlichkeiten zu erziehen, die sich ihr Wissen unter Anleitung des Lehrers durch eigene Erfahrung und Studien selbst aneignen, entspricht die völlige G e 1 o k-kertheit des Grundrisses im modernen amerikanischen Schulbau. Im allgemeinen herrscht die Flachbauschule vor, sowohl bei der Elementary school als auch bei der Junior High school. Die Klassen und Experimentierräume sind locker gelagert, bei Volksschulen vielfach gegen einen Gartenraum zu öffnen, in dem bei schönem Wetter unterrichtet werden kann. Das Zentrum der Schule bildet das Auditorium, ein Festraum, gleichzeitig ein großer Vortragsraum, ausgestattet mit Bühne für Schüleraufführungen und mit Apparaten für Lichtbild- und Tonfilmvorführun-gen und mit „Television“, dem in den USA sehr verbreiteten Fernsehapparat.

Hygiene und sportliche Betätigung spielen in der Disposition der Schulbauten eine entscheidende Rolle. Außer der Turnhalle und Sportplätzen verfügen viele neue Schulen über ein eigenes Schwimmbad — als gedeckte Schwimmhalle ausgebildet — oder zumindest über ausgedehnte Brause- und Baderäume, überall fällt die hervorragende technische Ausstattung der sanitären Anlagen auf.

Die Kinder werden in regelmäßigen Abständen vom Schularzt auf ihren Gesundheitszustand untersucht; hiezu gehört auch eine ständige zahnärztliche Betreuung, seit man erkannt hat, daß vernachlässigte Zähne die Ursache vieler Erkrankungen bilden und die fachgemäße Pflege der Zähne im Kindesalter aus pädagogischen Gründen besonders wichtig ist. Für die Ärzte stehen in jeder neuen Schule eigene medizinisch bestausgestattete Untersuchungs- und Behandlungsräume zur Verfügung.

In vielen Schulen — besonders in den Mittelschulen auf dem Lande — halten sich die Kinder den ganzen Tag auf. Sie werden mittels eigener Schulautobusse morgens von bestimmten Sammelplätzen in den umliegenden Orten abgeholt und abends von den Schulen wieder nach Hause gebracht. Dieses System hat sich deshalb eingebürgert, weil die meisten amerikanischen Frauen berufstätig sind. Für die Verpflegung untertags stehen in den Schulen „Gafeterias“ zur Verfügung, schön eingerichtete Speiseräume mit vollautomatisierten Küchen, die ein Kunstwerk an Organisation und Einrichtung darstellen. Dort wird nicht nur der

„Lunch“, die Mittagsmahlzeit, zubereitet, sondern auch kleinere Zwischenmahlzeiten.

Auffallend gegenüber unseren Schulen ist die großartige Ausstattung mit Schulbehelfen für den praktischen Unterricht: naturwissenschaftliche Experimentierräume, Werkstätten mit differenzierter maschineller Einrichtung — vor allem in den High schools (den Mittelschulen) — Bastelräume und vor allem ausgedehnte Bibliotheken sind in allen neuen Schulen zu finden.

Der Anlage und Ausstattung der Unterrichtsräume wird besonderes Augenmerk zugewendet. In vielen Belangen weicht das moderne amerikanische Schulzimmer sehr beachtlich vom europäischen ab. Zu beachten ist vor allem die fast völlige Loslösung von der einseitigen Klassenbeleuchtung durch Fenster. Zahlreiche Versuche und Messungen haben ergeben, daß sich die einseitige Beleuchtung äußerst ungünstig auf die Gesundheit der Augen auswirkt. Fast alle modernen amerikanischen Schulräume haben Deckenoberlicht oder zumindest ein zusätzliches Lichtband, das sich zwischen der niederen Korridordecke und der hohen Klassenraumdecke befindet. Allerdings wird auf die Nachteile der zweiseitiger Klassenbeleuchtung wegen der ungünstigen Schattenbildung auf der Schreibfläche hingewiesen. In vielen Fällen wird daher gänzlich auf das natürliche Licht verzichtet und künstliches Licht vorgezogen. Zum Studium der besten Beleuchtungsarten sind eingehende Versuche, insbesondere bei General Electric in deren Versuchslaboratorien in Nela Park bei Cleveland, angestellt worden. Indirekte oder halbindirekte Beleuchtung der Unterrichtsräume ist häufig zu finden. Als beste Be-leuchtungsart — die sich überall durchzusetzen beginnt — werden Leuchtröhren (fluorescent tubes) angegeben, deren Licht durch ein Gitterraster aus Plastics oder Leichtmetall gebrochen wird. Sie haben außer der gleichmäßigsten Beleuchtung der Arbeitsfläche den Vorteil — wenn sie mit einem bestimmten Gas gefüllt sind — bakterientötend zu wirken und werden daher in neuen Schulen und Krankenhäusern fast ausschließlich angewendet. Um die Augen der Kinder weiter zu schonen, werden neuerdings statt schwarzer Schultafeln grüne Tafeln mit gelber Kreide verwendet. Die Schulräume sind mit schalldämpfendem Material verkleidet; insbesondere ist die Decke, soweit sie nicht als Gitterraster ausgebildet ist, mit dem „Acousting Cei-ling“ ausgestattet, Platten aus Holzfaserstoffen mit kleinen kreisrunden Vertiefungen, die die Akustik eines Raumes wesentlich verbessern.

Alarmierend gewirkt haben Versuche über die Beschaffenheit der Luft in den Unterrichtsräumen während der kalten Jahreszeit, wenn die Fenster selten geöffnet werden. Der Bakteriengehalt der Luft nach einigen Stunden Unterricht ist nach Angabe amerikanischer FachleutB nicht anders als in einem stark frequentierten Schwimmbecken, das keine Chloranlage besitzt und in dem durch mehrere Tage kein Wasserwechsel erfolgt. Die neuen Schulen werden daher durchwegs mit einer Klimaanlage versehen, die die Schulräume künstlich entlüftet und mit gewärmter beziehungsweise im Sommer, gekühlter Frischluft versorgt. Gegenwärtig wird eifrig darüber diskutiert, ob man in die älteren Schulen kostspielige neue Lüftungsanlagen einbauen soll. Hiefür sind Aggregate entwickelt worden, die wie die Zentralheizungskörper vor den Fensterparapeten aufgestellt werden und die frische Luft ständig von außen ansaugen und erwärmt ins Schulzimmer gelangen lassen. In baulicher Beziehung ist man vor allem bestrebt, das gefürchtete „Luftpolster“ über hohen Fensterstürzen zu vermeiden, das praktisch nie entlüftet werden kann, wenn kein Luftabzug durch die Decke erfolgt und das besonders bakterienhaltig ist. Wenn keine künstliche Entlüftung vorgesehen ist, werden zumindest die Fenster mit einem oberen Lüftungsflügel bis unmittelbar an die Decke herangeführt und die verbrauchte Luft über dem Korridor abgeführt.

Die Schulräume dürfen nicht mit Straßenkleidern betreten werden. Für die

Straßengarderobe stehen, meist vor den Klassenzimmern angeordnet, eigene Garderoberäume zur Verfügung, die getrennt an die Lüftungsanlage angeschlossen sind.

Alle diese Maßnahmen haben dazu geführt, die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen in außerordentlichem Maße zu erhöhen — ein eminenter Faktor zur Förderung der Volksgesundheit. Sie bedingen aber auch, daß der Besuch der Schule für die Kinder vom ers'ten Tage des Schulbesuchs an zu einem freudigen Erlebnis wird, das sich mit dem Besuch der höheren Schulen immer mehr steigert und das schließlich in den großartig angelegten Hochschulen einen Höhepunkt erreicht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung