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Österreichische Schulerneuerung

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Als ein starker Auftakt zur österreichischen Schulerneuerung, getragen von der Initiative des Bundesministers Dr. Hurdes, der die Veranstaltung mit bedeutsamen Hinweisen und überraschenden ziffernmäßigen Feststellungen eröffnete, fand Ende Oktober dieses Jahres die erste österreichische Landschultagung in Wien statt. Es ist nach ihrem erfolgreichen Verlaufe angezeigt, die Ergebnisse zu sichten und in den größeren Zusammenhang unserer österreichischen Schulpolitik einzuordnen.

Die Landschule als Heimatschule, als Leistungs- und Erziehungsschule, das waren die Problemkreise dieser Tagung, zu der Vertretungen der Schulaufsicht sowie der Landlehrerschaft aus allen Bundesländern Österreichs zusammenkamen. Daß eine Überschau der gegenwärtigen pädagogischen Situation in Österreich unsere Landschule als den förderungsbedürftigsten Teil zeigt, ist durch die Tagung erwiesen worden, aber nicht minder auch die andere Annahme, daß nämlich auf dem Wege über die ländliche Erziehung und Bildung gefährdete Lebensquellen und kulturelle Positionen Österreichs gesichert werden müssen.

Die Vereinigung führender Persönlichkeiten des Pflichtschulwesens auf dieser Tagung gab die Gelegenheit, eine Übersicht der ländlichen Bildungs- und Erziehungsprobleme in ihrer ganzen Breite zu gewinnen und sich über die zweckmäßigen Maßnahmen zu verständigen. Einmal den vollen Umfang der Fragen aufgerollt zu sehen, den verschiedenartigen Stand der Dinge zu erkennen, aber auch die vielen positiven Möglichkeiten des Fortschrittes dargelegt zu erhalten, das ist eines der Ergebnisse dieser Tagung. Es reicht über deren Rahmen hinaus und besitzt staatspolitische Bedeutung, weil eine Koordination von Kräften damit geschaffen wurde, die infolge der Zoneneinteilung und der stark differenzierten Verhältnisse unserer Bundesländer zentrifugal zu werden drohten. Dieser gesamtösterreichische Charakter der Veranstaltung wurde gut verstanden, ehrlich bejaht und durch den gegenseitigen Einblick in den Stand der Schulverhältnisse aller Teilgebiete Österreichs überaus fruchtbringend ausgewertet.

Als ein wichtiges Ergebnis der Tagung darf die übereinstimmend formulierte und absolut einleuchtend begründete Forderung auf Herabsetzung der Schülerzahl in den Landschulen auf etwa 40 Kinder pro Klasse genannt werden, eine pädagogische Notwendigkeit, an der die Öffentlichkeit nicht mehr wird vorbeigehen dürfen. Daß sich aus einer derartigen gerechten Neuordnung — denn nur die Landschule ist in diesem Punkte so schwer benachteiligt — für die Neuerrichtung von Schulgebäudcn zweck- und landschaftsgemäßer Art ein reiches österreichisches Arbeitsprogramm ergibt, ist naheliegend und die Tagung hat auch hiezu die Wege gewiesen.

Doch auch die innere Organisation der Landschule bedarf der Erneuerung und war daher ein Problemkreis der Tagung. Hier ist ja der Ansatzpunkt, um den pädagogischen Fortschritt des In- und Auslandes für uns nutzbar zu machen. Daher standen ausführliche Referate über den Dalton- und den Jena-Plan

sowie über die aufstrebende russische Landschule auf der Tagesordnung. Die österreichische Schulerneuerung wird den Weg einer pädagogischen Evolution, nicht den einer Revolution beschreiten; das soll durch die Errichtung eines ländlichen Ver-suchsschulwesens geschehen. Dort soll unter Beweis gestellt werden, inwieweit das Beschreiten neuer Wege fruchtbar ist, wobei besonders die produktive Gestaltung der Stillarbeit und die Auflockerung des gegenwärtigen Jahresstufensystems zugunsten lebendiger Interessengruppen im Vordergrunde stehen wird, aber auch die Möglichkeiten freier Lehrplangestaltung in wahrer Lebensnähe und die Formen charakterbildender demokratischer Gemeinschaftserziehung erprobt werden sollen. Was die Tagung in dieser Hinsicht an gangbaren Wegen zeigte, wird schon in allernächster Zeit zur Gründung von Versuchsklassen in ganz Österreich führen, die ihrerseits wieder Gegenstand der Beachtung des In-und Auslandes werden sollen.

Eine wichtige Voraussetzung für jede ländliche Schulerneuerung bildet die Schaffung eines angemessenen didaktischen Apparates, das heißt die Erstellung solcher Schuleinrichtungen, Lehr- und Lernbehelfe, wie sie den besonderen Bedingungen der Landschule entsprechen. Der Mangel an diesen Dingen bedeutet gegenwärtig eine schwere Behinderung der Unterrichtsarbeit, eröffnet aber eben auch eine Chance, weil nun das Neue unbeschwert geschaffen werden kann, sofern nur die Wege des Fortschrittes rechtzeitig gewiesen sind, wie dies ebenfalls auf der Tagung geschehen ist.

Lehrerbildung und -fortbil-dung können und müssen künftig viel rnehr der Tatsache gerecht werden, daß die Mehrzahl aller Schulen Österreichs die ein- bis dreiklassigen Landschulen sind, und daß die größere Hälfte aller unserer Kinder solche Schulen besucht. Die Tagung befaßte sich gerade im Hinblick darauf mit dem Gedanken der Ausgestaltung unserer Lehrerbildung wie mit der Schaffung von pädagogischen Instituten in jedem Bundeslande; diese Ideen nahmen greifbare Gestalt an und zeigten das Bild der künftigen Pflegestätten des pädagogischen Fortschrittes in Österreich.

Zur Erreichung der meisten dieser Ziele aber werden schulorganisatorische Maßnahmen notwendig sein. Diese wurden mit gesundem Realismus erörtert, der aber auch bewies, wie begründete Hoffnungen auf einen schulgesetzlichen Fprtschritt bestehen, der dem pädagogischen die Wege freizumachen hat. Gerade den Bemühungen um eine gehobene Landschule kommt hier eine besondere Bedeutung zu, weil die Vorstellung einer Schulreform im Bewußtsein weiter Kreise unserer ländlichen Bevölkerung mit manch berechtigtem Mißtrauen belastet ist.

Schon an dieser Stelle ergab sich das, was dann abschließend zu grundsätzlichen Ausführungen verdichtet wurde: Wir stehen in einer österreichischen Schulerneuerung, die nun aus dem Stadium der Überlegungen und Untersuchungen in jenes der Durchführung tritt. Sie wird eine solche aller Teile sein, aber dazu bedarf es der Schaffung eines Gleichgewichtes der Ausgangssituation und darum muß bei der Landschule begonnen werden. In der Beschäftigung mit ihren Fragen ist es über allen Zweifel einsichtig geworden, daß der Fortschritt der Landschule, weit mehr als dies umgekehrt der Fall sein könnte, auch der Stadtschule zugute kommen wird und muß. Nicht in der Gleichmacherei, die Widerstand erregt, sondern in der gesunden Eigenentwickiung jedes Teiles unseres polar ausgegliederten Bildungswesens liegt die Bürgschaft für eine gesamtösterreichische Schulerneuerung, die manche Fehler einer nahen Vergangenheit vermeiden wird. Einvernehrr.lich arbeitend und strebend, können Stadt- und Landschule über ihre jugendbildnerische und kulturpflegerische Aufgabe hinaus auch eine solche staatspolitischer Art erfüllen, nämlich der Verständigung zwischen Stadt und Land zu dienen, die eine Lebensfrage unseres Vaterlandes darstellt.

Manches, was auf der Landschultagung ausgesprochen wurde, wird diesem Ziele näher führen können, so zum Beispiel der sehr beachtliche Gedanke eines Lehreraustausches zwischen Stadt und Land, aber auch zwischen Land und Land innerhalb Österreichs, was wir mindestens ebenso notwendig haben, wie den mit Recht hocheingeschätzten Lehreraustausch mit anderen Völkern und Staaten.

Wie schon mehrmals in seiner Geschichte, wendet Österreich nach schweren Schicksalsschlägen seine Blicke auf das Schulwesen, mit der Erwartung, dort neue Kraftquellen erschließen zu können. Die Hoffnung wird auch diesmal nicht trügen. Schule und Lehrerschaft können nicht alles und sie kennen die Grenzen ihrer Macht selbst sehr gut, aber wieviel doch zur moralischen und materiellen Erhebung unseres Volkes und Landes auf dem Wege über die Schule geschehen kann, das hat diese Tagung erfreulich gezeigt.

Es wird eine Aufgabe unserer verantwortungsbewußten Öffentlichkeit sein, durch ihr waches Interesse an der Erziehungsfrage, den Willen und die Einsicht aller Beteiligten zu festigen, es ist eine ernste Ver-, pflichtung der Schulverwaltung und aller Schulträger, die positiven Kräfte zum Werke einer österreichischen Schul- und Erziehungsreform zu vereinigen und der Erkenntnis zu dienen, daß eine gesunde, untendenziöse Schulerneuerung die beste Selbsthilfe eines um seine Existenz ringenden Volkes darstellt!

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