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„Schnupperlehre“ schon in der Schule

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Wie weit kann die Schule in Österreich, in einer Zeit, da alle von Berufsvorbereitung und -Vorbildung durch die Schule sprechen, diese Aufgaben bewältigen? Wie sieht es damit im Bereich der Pflichtschule aus, wo entscheidende Weichen für den weiteren Lebensweg gestellt werden?

Zunächst einmal fällt auf, daß - abgesehen vom Polytechnischen Lehrgang, der vielfach besser ist als sein Ruf in der Öffentlichkeit - für Berufsinformation und -Orientierung weder in der Hauptschule noch in der Gymnasium-Unterstufe stundenmäßig Platz vorgesehen ist. Noch immer verlassen viele Tausende Schüler die Hauptschule und das Untergymna-*sium, ohne über das Berufsleben a&i sich und die dort vorhandenen-Mög-lichkeiten, Chancen und Schwierigkeiten auch nur annähernd informiert worden zu sein. Vor der Macht der etablierten Fächer, die jeden Einbruch in ihr althergebrachtes Gefüge mit Mißtrauen betrachten, mußten bisher auch die Sozialpartner mit ihrer einmütig vorgetragenen Forderung nach Etablierung eines eigenen Gegenstandes „Berufskunde“ zumindest ab der siebenten Schulstufe kapitulieren.

Aber auch der beste theoretische Unterricht könnte nur die Basis dafür bilden, daß sich im Verlauf von ein bis zwei Jahren die Jugendlichen zu einer Vorentscheidung über Interessenschwerpunkte und damit korrespondierende mögliche Berufs- und Bildungslaufbahnen durchringen. Immer deutlicher wird, daß zu diesen theoretischen Kenntnissen und auf diesen aufbauend, nach Möglichkeit auch praktische Erfahrungen treten sollen. Internationale Organisationen haben die Bedeutung von „Work-Experien-ce-Programmes“ erkannt. So hat etwa die OECD in einer vor kurzem zu Ende gegangenen Konferenz über die Beschäftigung und Ausbüdung von Jugendlichen ganz entschieden die Forderung aufgestellt, möglichst allen Ju-

gendlichen solche Programme in verschiedener Art und Weise anzubieten, um dadurch eine realitätsnahe Bil-dungs- und Berufsentscheidung sicherzustellen.

In Österreich gibt es verschiedene Ansätze dafür: Für den Bereich der weiterführenden Schulen kommen vor allem Ferialpraktika in Frage, die in einigen berufsbildenden Schulen auch Pflicht sind. Für Pflichtschüler kommt das insbesondere wegen des Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetzes nicht in Betracht. Hier hat sich das aus der Schweiz kommende System der „Schnupperlehre“ als ein hilfreicher Ausweg bewährt: Im Rahmen solcher. Schnupperlehren verr f sucht man - je nach praktiziertem Modell - den Jugendliehen während eines oder mehrerer Tage Arbeiten in dem ihn interessierenden Beruf im Betrieb unmittelbar miterleben zu lassen und ihm einen Hauch von Berufswirklichkeit zu vermitteln. Vorarlberg und Kärnten sind Vorreiter dieser Aktivitäten, die bisher vor allem auf dem Engagement von Lehrern, Wirtschaftstreibenden und Vertretern der Arbeitsmarktverwaltung basierten. Eine gesamtösterreichische Fundierung und vor allem eine praxisgerechte Klärung verschiedener offener juristischer und finanzieller Probleme ist notwendig und hätte durch das Unterrichtsministerium zu erfolgen. Bisher fehlt eine solche Verordnung über die „Berufspraktische Woche“, die einerseits den Weg für solche Schnupperlehren auch in anderen Bundesländern ebnen müßte, ohne durch eine übermäßige Verbürokratisierung dieses zarte Pflänzchen der Praxisorientierung unserer Schulen gleich wieder zum Absterben zu bringen.

„Non scholae sed vitae discimus“ -das sollte nicht nur selbstverständliche Forderung für Stoffauswahl und Schwerpunktbüdung im Rahmen aller etablierten Fächer sein (was nur zu oft nicht erfolgt), sondern müßte immer

wieder auch Auftrag an die Schule sein, ihre Bildungsfunktion in einer sich wandelnden Umwelt zu reflektieren und zumindest die Bereitschaft aufzubringen, Anregungen aus der Praxis offen anzunehmen und nach-zuvollziehen.

Einen weiteren Zeitverlust bezüglich Berufsorientierung dürfte sich die

österreichische Schule eigentlich auch im eigenen Interesse nicht leisten: Ihr Anspruch, für das Leben vorzubereiten, wird mehr als problematisch, wenn sie dem Jugendlichen für eine der wichtigsten Entscheidungen, die er zu treffen hat, praktisch keine Orientierungshilfen mitgibt.

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