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Hauptschule braucht eigene Strukturen

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Die Jagd nach dem Statussymbol „Matura“ und der Aberglaube, ungleichen Schülern könnte durch gleiche Behandlung Chancengleichheit verschafft werden, demoliert das Schulwesen im Bereich der 10-14jäh-rigen.

Das Schulorganisationsgesetz liegt mit den Aufgabenumschreibungen noch durchaus richtig: Die allgemeinbildende höhere Schule (AHS) hat einschließlich ihrer Unterstufe die Aufgabe, jene umfassende und vertiefte Allgemeinbildung zu vermitteln, die zur Hochschulreife führt. Die AHS sollte daher im Regelfall jene Zehnjährigen aufnehmen, die mit großer Wahrscheinlichkeit die für diese Schullaufbahn erforderlichen kognitiven Begabungen aus ihren Veranlagungen und/oder aus der bisherigen Förderung mitbringen.

Dagegen soll die Hauptschule für das praktische Leben und den Eintritt in berufsbildende Schulen befähigen. Überdies soll sie geeigneten Schülern den Übertritt in allgemeinbildende höhere Schulen ermöglichen ( 15 SCHOG). Die Hauptschule

präsentiert sich daher nach dem faktischen Wegfall der Volksschuloberstufe - die Sonderschule kann hier vernachlässigt werden - als Sammelbecken für alle jene Schüler, die in keine gymnasische Langform gehen.

Das sind Kinder, die schon als Zehnjährige auf Grund ihrer erkennbaren Begabung und Neigung in ein Gymnasium oder Realgymnasium hätten eintreten können, wenn sie nicht durch regionale oder soziale Faktoren gehindert worden wären. Das sind auch Kinder, die auf Grund besonderer Förderung und Entwicklung erst später Begabung und Neigung für die Zielsetzungen einer AHS mitbringen. Diesen Kindern die Wege zum Gymnasium durch einen entsprechenden Unterricht offenzuhalten, scheint sinnvoll. Da gibt es aber auch Kinder, die auf Grund ihrer Begabung und Neigung den Weg ins Leben über berufsbildende mittlere oder höhere Schulen oder über eine Lehre wählen. Wieder andere gehen -mit oder ohne Polytechnischen Lehrgang - von der Hauptschule unmittelbar ins Berufsleben.

Alle diese Schülergruppen haben ein Anrecht auf einen ihren Begabungen und Neigungen und ihren eventuell erkennbaren Berufswünschen entsprechenden Unterricht. Liegt demnach das Besondere der AHS-Langform darin, eine relativ homogene Schülergruppe über einen langen Zeitraum durch gemeinsamen Unterricht optimal zu fördern, muß die Aufgabe der Hauptschule darin gesehen werden, sehr verschiedenartige Schülergruppen durch einen entsprechend angepaßten Unterricht bestmöglich aufs Leben vorzubereiten. Was aber machen andere gesetzliche Maßnahmen, Lehrplanverordnungen und Schulversuche aus dieser klaren Konzeption? Die Aufnahmsvoraussetzungen für die AHS und den ersten Klassenzug der Hauptschule wurden ident, der Lehrplan der Hauptschule bisher schrittweise an den AHS-Unterstufenplan angeglichen, soll demnächst wortgleich werden.

Die scheinbare Austauschbarkeit von AHS-Unterstufe und Hauptschule (erster Klassenzug) regt das Prestigebedürfnis vieler Eltern an, ihre Kinder im Zweifelsfall ins Gymnasium zu schicken, der Hauptschule verbleibt ein milieumäßig abgestempelter Rest. Dieses Milieu bewegt dann auch noch jene Eltern, die an sich eine gute Hauptschule der Uberforderung durch die AHS vorziehen würden, ihre Kinder ebenfalls ins Gymnasium zu geben. Das „Spitzenergebnis“ dieses Teufelskreises findet sich in einem Wiener Gemeindebezirk, wo fast 80 Prozent der Schüler in die AHS gehen und nur 20 Prozent der Hauptschule verbleiben (Im Bundesschnitt ist es umgekehrt.)

So wird die gymnasische Unterstufe faktisch zur undifferenzierten Gesamtschule mit der Möglichkeit, die allzuvielen Versager abzustoßen. Dies kann die Hauptschule nicht. Sie ist außerdem dazu verdammt, den kläglichen Schülerrest, in dem sicher keine AHS-Talente mehr schlummern, ausgerechnet nach dem Gymnasiumslehrplan unterrichten zu müssen.

Die Folgen sind ständige Abstriche vom Lehrplan, Uberforderung und Frustration der Schüler wegen der fehlenden Erfolgserlebnisse. Sicher ist die Entwicklung noch nicht überall so weit gediehen. In ländlichen Hauptschulen gibt es noch Begabungsreserven, die vom AHS-Lehr-plan profitieren, aber der Trend ist auch hier unübersehbar: Uberfüllung der AHS-Unterstufe, Auslaugung der Hauptschule.

Könnte die Integrierte Gesamtschule (IGS) den Teufelskreis brechen? Zweifellos würde sie der Prestigesucht ein Objekt entziehen, weil sie, einmal zur Regelschule geworden, keine Wahl mehr offen läßt. Das

eigentliche Übel allerdings würde sie zementieren: Die Vergewaltigung von Schülern mit unterschiedlichen Begabungen, Neigungen und Interessen durch einen gemeinsamen Lehrplan. Man darf sich durch die „äußere Differenzierung“ in Deutsch, Mathematik, Englisch und die „innere Differenzierung“ in allen anderen Gegenständen nicht täuschen lassen. Sie ist nicht die Berücksichtigung der Verschiedenartigkeit der Schüler, sondern die euphemistische Umschreibung, man kann auch sagen die geistige Verdrängung des Schülerversagens: Sie kaschiert die Tatsache, daß nur ein geringer Teil der Schüler wirklich den Lehrplan erfüllt.

Wie müßte eine tatsächliche Reform aussehen? Sie müßte eine attraktive Hauptschule schaffen. Damit wäre auch die Entlastung der AHS-Unterstufe von der Schülerflut als Voraussetzung für eine Reform derselben zu erhoffen.

Die erste und die zweite Klasse hätten die verschiedenen Begabungen, nicht nur die kognitiven, zu entdek-ken und zu fördern und die Folgen eines eventuell schwächeren Grundschulunterrichtes so weit wie möglich zu beseitigen.

Spätestens ab der dritten Klasse müßte der Tatsache, daß die Begabungen hinreichend ausgeprägt sind, durch unterschiedliche Lehrpläne Rechnung getragen werden. Ab der dritten Klasse finden in der jetzigen Hauptschule faktisch keine dauerhaften Aufstufungen vom zweiten in den ersten Klassenzug statt. Trotz aller gegenseitigen Bemühungen bestätigen die IGS-Schulversuche hinsichtlich der Aufstufungen aus der dritten Leistungsstufe diesen Befund.

Bei der Auswahl der Lernziele ist von Erfordernissen der möglichen späteren Schul- und Berufslaufbahn auszugehen. Es ist ein Irrtum zu glauben, daß sich daraus vorzeitige Berufsausbildung ergäbe. Die tatsächlich geübte und erworbene Fähigkeit, sich klar auszudrücken, ist für den Erfolg im Leben, aber auch in jeder Berufslaufbahn von ausschlaggebender Bedeutung, findet aber im jetzigen Unterricht wegen eines Wustes ziemlich überflüssiger anderer Lehrplanforderungen kaum Zeit und Beachtung.

Eine der wichtigsten Vorzüge des Hauptschullehrers müßte es sein, durch seinen Unterricht dem Schüler Selbstgefühl und das Bewußtsein der Begabung zu vermitteln.

(Der Autor ist Sekretär des Wiener Erzbischöflichen Schulamtes.)

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