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Auf leisen Sohlen

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Die schulpolitische Debatte kreist seit Jahren um die Themen Leistung und Chancengleichheit. Erklärtes Ziel der Anhänger der Chancengleichheit ist die „Gemeinsame Schule der 10- bis 14j ährigen". Im Rahmen der Novellierung des Schulorganisationsge-setzes 1982 einigten sich SPÖ und ÖVP auf einen vernünftigen Kompromiß: Die AHS-Unterstufe bleibt erhalten, der Haupt-schul-Schulversuch „Integrierte Gesamtschule" mit drei Leistungsgruppen in Deutsch, Mathematik und lebender Fremdsprache sowie gemeinsamem Unterricht in den anderen Fächern wird als „Neue Hauptschule" 1985/86 anstelle der zweizügigen Hauptschule in das Regelschulwesen übergeführt. Neue Lehrpläne sollten die im Gesetz vorgesehenen Leistungsdifferenzierungen in den Leistungsgruppen ermöglichen und die Durchlässigkeit (Ubertrittsmöglichkeit) zwischen den Leistungsgruppen sowie zwischen HS und AHS gewährleisten.

Der Katholische Familienverband hat bereits 1982 einen Lehrplanentwurf vorgelegt, der aufzeigt, wie Leistungsdifferenzierung und Durchlässigkeit erreicht werden können. Voraussetzung für die Durchlässigkeit ist dabei nicht nur ein gemeinsames Grundgerüst, sondern ebenso die klare Lernzielformulierung, die angibt, in welcher Leistungsgruppe der Schüler welche Inhalte wie gut beherrschen soll. Erst darauf kann eine objektivierbare Leistungsbeurteilung aufbauen, die einen Aufstieg ermöglicht.

Unterrichtsminister Zilk hat diesen Entwurf als „sehr gut durchdacht" bezeichnet, aber nicht „verhehlt", daß er nicht seinen „bildungspolitischen Vorstellungen entspricht". Diese gehen nach wie vor in Richtung Einheitsschule. Also wurde Anfang März 1984 ein „inhalts- und sach-identer" Lehrplan für AHS-Unterstufe und HS im Entwurf prä-

sentiert. In Deutsch und Mathematik wurde dabei gleich auf eine klare Differenzierung in Leistungsgruppen verzichtet, es finden sich nur vage Differenzierungshinweise.

Die Einheitslehrpläne sind ganz eindeutig AHS-Unterstufen-Lehrpläne und verschleiern mit Ausnahme von Englisch, was der Schüler in der HS lernen soll. Dies wirkt sich als Bumerang aus, der die Chancen der Hauptschüler verschlechtert: Wenn Unklarheiten bezüglich des Gelernten bestehen, kann der Ubertritt in die höhere Leistungsgruppe und noch weniger in die AHS nicht durch gezielte Förderung erleichtert werden. Unklare Lernzielformulierungen lassen in Zusammenhang mit Rahmen-Lehrplänen und Methodenfreiheit aber auch Spielraum für allzu individuelle Interpretationen. Dies führt zu Niveau-Unterschieden und Konkurrenz zwischen Schulen und Lehrern sowie zu einer Subjekti-vierung der Leistungsbeurteilung. Das Bildungsniveau wird von der jeweiligen Schule und dem jeweiligen Lehrer abhängig, die Beurteilungen verlieren an Aussagewert. Damit verschlechtern sich besonders für den Hauptschüler die Berufs- und Weiterbildungs-Chancen.

Wenn auf dem langen Marsch zur Einheitsschule versucht werden sollte, diese Chancenverschlechterung durch eine Senkung des AHS-Niveaus auszugleichen, dürften angelsächsische Zustände in unserem Schul-Sy-stem unausweichlich werden. Dort hat sich die zahlungskräftige Oberschicht längst vom öffentlichen Schulsystem abgekoppelt, und der „Platz an der Sonne" wird vom Besuch einer gesellschaftlich elitären Privatschule abhängig. Damit hat die Chancengleichheit jede Chance verloren...

Der Autor ist Eltern vertreter und Funktionär im Katholischen Familienverband der Erzdiözese Wien.

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