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Schulreform war kein Begräbnis

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,,Das Gymnasium stirbt.“ Auf diese Diagnose in FURCHE (13/86) antwortet jetzt ein Mitverantwortlicher der bemängelten Schulgesetzgebung.

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,,Das Gymnasium stirbt.“ Auf diese Diagnose in FURCHE (13/86) antwortet jetzt ein Mitverantwortlicher der bemängelten Schulgesetzgebung.

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Die soziologische Ausweitung der Bildungsbasis war der Beweggrund der Schulgesetzgebung 1962. Sie war der logische Reim auf die Verdichtung des Hauptschulnetzes, die sich nach 1945 in ganz Österreich vollzogen hatte. Es ging ja nicht nur um ein Bildungsgefälle zwischen Stadt und Land, sondern um ein nicht mehr zu verantwortendes Gefälle des Bildungsangebotes.

In der entlegenen Dorf- oder Gebirgsschule saßen und sitzen natürlich auch die potentiellen Gymnasiasten, die weder eine

Hauptschule noch eine Unterstufe der allgemeinbildenden höheren Schule (AHS) in ihrer unmittelbaren Umgebung vorfanden. Die bildungspolitische Devise mußte also lauten: Brücken und Ubergänge bauen.

Das Schulgesetzwerk 1962 schuf unter anderem auch die Oberstufenformen der AHS, vor allem auch für die begabten Hauptschüler in den peripheren Landesgebieten Österreichs.

Nun kann aber auch der begabteste Hauptschüler diese Oberstufe der AHS nicht bewältigen, wenn er nicht die lehrplanmäßigen Voraussetzungen für diese mitbringt. Eine weitgehende Identität der Lehrpläne für den ersten Klassenzug der Hauptschule und für die Unterstufe der AHS war also eine selbstverständliche Prämisse dieses Bildungskonzeptes.

Eine rein berufsvorbereitende Hauptschule gibt es nicht. Auf das Berufsleben im allgemeinen Sinne haben alle Schulen vorzubereiten. Die Uberleitung von der Hauptschule in die Berufslaufbahnen hat der Polytechnische Lehrgang zu besorgen. Es kann also mit einer zielgerichteten Unterschiedlichkeit zwischen Hauptschule und Unterstufe der AHS nur in eingeschränktem Sinne argumentiert werden.

Der ehemalige Unterrichtsminister Heinrich Drimmel und sein Mitarbeiter haben bei den schulpolitischen Verhandlungen einen „guten Gesamterfolg“ im ersten Klassenzug der Hauptschule für die Ubertritte in die nächsthöheren Klassen der AHS ohne Aufnahmeprüfung gefordert.

Das haben die Sozialisten unter Hinweis auf das unter dem christlich-sozialen Unterrichtsminister Richard Schmitz 1927 erlassene Hauptschulgesetz strikt abgelehnt. Dort wurde nur ein „bef riedigender Gesamterfolg“ gefordert.

Ich habe dann mit Zustimmung Drimmels persönliche Gespräche mit dem Wiener Stadtschulrats-präsidenten Max Neugebauer, der wie ich Mitglied des schulpolitischen Verhandlungskomitees war, aufgenommen. Neugebauer konnte sich letzten Endes meiner Uberzeugung nicht verschließen, daß wir unter solchen Umständen einen nicht voll leistungsfähigen Zuzug vor allem an die Oberstufenformen der AHS wie an alle höheren Schulen zu gewärtigen hätten.

Das konnte den Zielsetzungen der Höheren Schulen ebensowenig wie den betroffenen fehlgeleiteten Schülern dienen. Neugebauer gelang es, seine Partei von der Richtigkeit unserer Forderungen nach einem „guten Gesamterfolg“ zu überzeugen.

Ich habe als kulturpolitischer

Referent der ÖVP die gesellschaftliche Entwicklungsformel postuliert: Jedes wirtschaftliche und soziale Optimum setzt ein Bildungsmaximum voraus. Das ist sicher nicht Bildungsromantik, sondern gebotener Bildungsrealismus.

Die Gesamtentwicklung hat das Schulgesetz werk 1962 bestätigt. Wer wollte heute noch auf die bildungspolitische Datumsgrenze von 1962 zurück! Daß eine Schulreform kein Stillhalteabkommen mit der Zeit abschließen kann, bedarf wohl keiner näheren Erörterung.

Ich bin sehr betroffen, daß einem christlichen Lehrerbildner unserer Tage die zukunftsträchtige Bildungspolitik der Zweiten Republik zu einem Leichentuch der Bildungsgesellschaft verblaßt.

Der Autor war Abgeordneter zum Nationalrat und OVP-Bildungsexperte.

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