6916462-1981_28_04.jpg
Digital In Arbeit

Latein als Zankapfel

Werbung
Werbung
Werbung

„Für uns ist die Abschaffung von Latein in der Unterstufe sicherlich eine Kernfrage.“

„Latein ist ja ein typisches Beispiel für das Prestigedenken der Konservativen geworden."

Mit solchen Sätzen gegenüber dem Jugendmagazin „Rennbahn-Expreß“ goß Vizekanzler und Unterrichtsminister Fred Sinowatz jüngst wieder öl ins Feuer der Schulreformdiskussion.

So floß ihm auch mit deutlichem Bezug auf die ÖVP von den Lippen: „Einige Herren dort sind noch immer der Meinung, das Abendland ginge zugrunde, wenn wir Latein nicht mehr ab der 3. Klasse haben.“

Allerdings scheinen auch in der SPÖ „einige Herren“ dieser Meinung zu sein, zum Beispiel der Linzer Altbürgermeister Ernst Koref.

Er schrieb im Jahresbericht 1979/80 des Linzer Akademischen Gymnasiums: „Die gezielte Verdrängung des Lateinischen bedeutet ein schweres kul-

/

turpolitisches Minus, das meines Erachtens nicht genug bedauert werden kann.“

Im gleichen Aufsatz betont Koref Erbgut, und Elternhaus als wichtigste Faktoren im Bildungsprozeß. Wo es daran mangle, „können auch sogenannte Leistungsgruppen nichts oder fast nichts aufholen, sie können aber den glückhaft Begabten zum Hemmschuh werden“.

„Meine bildungspolitische Zielvorstellung ist und bleibt die Gesamtschule“, erklärt dagegen Sinowatz im oben erwähnten Interview und befindet sich damit zum Beispiel auch im Gegensatz zum Kärntner SPÖ-Bildungs- experten Josef Maderner.

Nun, die Gesamtschule kann Sinowatz aufgrund der Gesetzeslage nicht verwirklichen, daher zeichnet sich seit einigen Monaten ein Kompromiß in der Schulreform ab. Ein heißes Eisen dabei bleibt Latein, das Sinowatz nur als Freifach ab der dritten Klasse oder „nur mehr in ganz wenigen Schulen“ als Pflichtfach beibehalten will.

ÖVP-Schulsprecher Hans Katsch- thaler,Landeshauptmann-Stellvertreter von Salzburg, beharrt dagegen auf Latein als Pflichtfach in den Unterstufen von Gymnasien und betont:

„Niemand ist gezwungen, sein Kind in eine AHS-Unterstufe mit Latein zu schicken, aber 58 Prozent der Eltern tun es. Jeder kann in die Unterstufe eines Realgymnasiums ausweichen, sollte dort das Angebot nicht ausreichen, soll man es seitens der Schulbehörde erhöhen.“

Ob im Wiener Unterrichtsministerium aber überhaupt eine Schulerrichtungspolitik betrieben wird, die sich am Bedarf und an den Wünschen der Eltern orientiert, darf nach jüngsten Vorfällen angezweifelt werden. Dort scheinen ideologische Ziele ganz oben, Elternwünsche aber ganz unten zu stehen.

So gibt es etwa in Wien ein Überangebot an Handelsschulen, dagegen sind die technischen Lehranstalten überfüllt.

Und bekanntlich kämpfen in Hartberg in der Steiermark und im Wiener Großbezirk Liesing seit Monaten Elterninitiativen für die Errichtung einer AHS-Langform (FURCHE 19/1981).

Mehrmalige Vorsprachen im Wiener Stadtschulrat und eine große Kundgebung auf dem Liesinger Hauptplatz, bei der man die plastisch dargestellte Schulbehörde (siehe Bild) aufzuwecken versuchte, brachten kein Ergebnis für die Liesinger, die bereits 5.000 Unterschriften gesammelt haben und nun auf die Sitzung der Bezirksvertretung im September hoffen, da nach den anderen Parteien auch die SP-Bezirksfraktion langsam Verständnis aufzubringen scheint.

Bei Stadtschulratspräsident Matzen- auer war dagegen nichts zu holen. Er begründete die Tatsache, daß in Liesing

vier Gesamtschulversuche, aber keine AHS-Langformen bestehen (der noch wachsende Bezirk hat bereits 80.000 Einwohner), mit einem „Flächenversuch“, was dem Elternrecht auf freie Schulwahl Hohn spricht.

Daß täglich Tausende Liesinger Schüler (allein 1275 zwischen zehn und vierzehn Jahren) in andere Bezirke pendeln müssen, will Wiens oberster Schulmann anscheinend nicht wahrhaben, denn er spricht von Bedarfserhebungen und einem Abwarten der Schulverhandlungen.

Als „Lösung" bietet er Exposituren von selbst überfüllten (und bereits reichlich mit sogenannten „Wanderklassen“ ausgestatteten) AHS im Nachbarbezirk Hietzing an.

Eine AHS-Langform in Liesing steht auch nicht auf der Liste der Schulbauvorhaben des Unterrichtsministeriums. Man läßt die Liesinger zappeln, mögen inzwischen auch Schulen in Wiens Innenbezirken fast leer stehen. Hier hat die Schulbehörde die Bevölkerungsverlagerung an den Stadtrand total verschlafen.

Die Liesinger Eltern wollen jedenfalls nicht locker lassen. Aber zu Schulbauten kann man die Schulbehörde nicht zwingen.

Vom Katholischen Familienverband, der bereits die Angleichung der Hauptschul- und AHS-Lehrpläne scharf kritisierte, kam daher der Wunsch, durch ein Bundesschulerhaltungsgesetz die bedarfsorientierte Errichtung und Führung von Schulen sicherzustellen. Am liebsten sähe der Verband ein Junktim mit der Schulorganisationsgesetznovelle.

ÖVP-Mann Katschthaler hält ein solches Junktim nicht für möglich, hält aber auch die Zeit für gekommen, verstärkt AHS-Langformen zu bauen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung