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Die etwas „andere AHS"
Die Überlegung, daß eine funktionierende Gemeinschaft in der Lage ist, Behinderte nicht nur mitzutragen, sondern auch zu integrieren, löst immer wieder Kontroversen aus. Eine davon betrifft die Integrationsklasse 4 b in Wien-Penzing, Mondweg 73-83 (FURCHE 9/1991).
Die Überlegung, daß eine funktionierende Gemeinschaft in der Lage ist, Behinderte nicht nur mitzutragen, sondern auch zu integrieren, löst immer wieder Kontroversen aus. Eine davon betrifft die Integrationsklasse 4 b in Wien-Penzing, Mondweg 73-83 (FURCHE 9/1991).
Mit Ende des laufenden Schuljahres werden die Kinder in die fünfte Schulstufe gelangen. Zwangsläufig wurden Überlegungen angestellt, wie die Klassengemeinschaft, die mit dem Anderssein Erfahrungen gemacht hat, zu erhalten ist. Da bot sich die Errichtung einer Integrationsklasse an der allgemein bildenden höheren Schule (AHS) auf der Schmelz an. Plötzlich sahen sich die Befürworter einer inte-grativen Pädagogik einer heftigen Ablehnungsfront gegenüber, die unter keinen Umständen diese Form der Integration will. Erst als der Unterrichtsminister Rudolf Schölten den „Kooperativ-integrativen Schulversuch" ausdrücklich genehmigte, war der Weg für die Erhaltung der Klassengemeinschaft frei. Damit werden im Schuljahr 1992/93 an zwei Gymnasien erstmals auch geistig behinderte Kinder unterrichtet: Eine Klasse im BRG Schmelz in Wien und eine im BRG Bruck/Mur.
Die Vorgeschichte bis dahin: Die Direktorin war dem Versuch nicht abgeneigt, der Stadtschulrat stimmte zu, 40 von 100 Professoren konnten sich vorstellen, an dem Projekt mitzuarbeiten. Kontakte fanden-statt. Professoren besuchten die Lehrerinnen Ursula Prader und Brigitte Hofbauer, als Team in Wien anerkannt, um zu sehen, wie der integrative Unterricht vor sich geht. Auch eine Sonderschullehrerin wurde gefunden, die mit den vier Behinderten in der insgesamt zwanzigköpfigen fünften Schulstufe gezielt arbeiten wollte. Man glaubte bereits, der Verwirklichung einer etwas „anderen AHS" nähergekommen zu sein. Eine AHS, die unter allgemein bildend nicht nur wichtige Lerninhalte vermittelt, sondern auch soziale Kompetenz erwerben läßt.
Als äußerst positiv für die Verwirklichung der Ideen wurde die 13. Schulorganisationsgesetz-Novelle empfunden, die über Schulversuche ausdrücklich sagt, daß diese an „Hauptschulen, der Unterstufe allgemeinbildender höherer Schulen und Polytechnischen Lehrgängen" auch nach der Frist 1992/93 begonnen werden können.
Das Problem, das die Verwirklichung des Projekts zu bedrohen schien, war in Form einer Beschwerde aufgetreten. Die Aktion „Gemeinsam leben - gemeinsam lernen. Arbeitsgemeinschaft für Integration" nannte in ihrem Brief vom 4. März 1991 an Schölten in diesem Zusammenhang den Personal vertreter Manfred Merck, der gegen die Integrationsklasse Sturm läuft.
Von der Öffentlichkeit eher unbemerkt tobt in den einzelnen Fachblättern für Lehrer ein Richtungsstreit. Zwar ist man sich einig, daß grundsätzlich nichts gegen die Integration zu sagen sei, doch das Wie wird derartig unterschiedlich behandelt, daß Kompromisse kaum absehbar sind. In diesem Streit spielen die erläuternden Bemerkungen zur 11. Schulorga-nisationsgesetz-Novelle eine Rolle, in denen es heißt: „...wobei die Schulversuche im Bereich der AHS nur für Kinder mit physischer Behinderung zum Tragen kommen." Gerhard Tu-schel, Inspektor für Sonderschulen, stellt aber die Frage, welchen Sinn dann die 13. Novelle gehabt hätte, wenn sie die Öffnung nicht bewerkstelligen kann. Denn „ein Einstein im Rollstuhl" habe stets die AHS besuchen dürfen.
Die Ungewißheit für Kinder und Eltern ist im letzten Augenblick gewichen. Doch die Befürworter der Integration sind nicht frei von der Befürchtung, daß ihre Bemühungen um eine „andere Schule" letzten Endes doch noch abgewürgt werden.
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