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Die „Schülerexplosion“

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Durch Jahre schrieben die Zeitungen über die erfreuliche Bevölkerungsentwicklung in Österreich, und es war alles gut. Dann folgten Be- ridhte über das Ansteigen der Schülerzahlen; audi das beunruhigte niemand. Im Zusammenhang mit der Durchführung des Schulgesetzwerkes 1962 zeigten sich jedoch steigende Schwierigkeiten in der Lehrerversorgung — und das wurde Anlaß zu immer mehr und genaueren Untersuchungen über die Entwicklung der künftigen Schülerzahlen. Diese Feststellungen spielten bei der Einführung des neunten Schuljahres schon eine große Rolle, standen aber vor allem im Mittelpunkt der OECD- Studie über „Erziehungsplanung und Wirtschaftswachstum“. Das Zahlenmaterial aus diesen Untersuchungen ist noch nicht veröffentlicht, so daß nur auf jene Unterlagen zurückgegriffen werden kann, die die Bevöl- kerungs- und Schulstatistik erhoben haben.

Die Geburtsjahrgänge steigen ab 1954 (103.985) bis einschließlich 1963 (134.809) an, werden 1964 etwa rückläufig (133.841) und 1965 mehr (129.924). Demgemäß verstärken sich die Schuleintrittsjahrgänge, die von 1957 bis 1960 bei etwa 92.000 bis

95.000 lagen, von 1961 mit zirka

100.000 bis 1970 mit etwa 125.000, dann werden sie geringfügig rückläufig. Die Zahl der Unterrichtspflichtigen, die sich bis 1965/66 aus acht, ab 1966/67 aus neun Schulein- trittsjahrgängen zusammensetzen, erhöht sich gegenüber 1960 (795.379) auf 835.302 im Jahre 1965 und wird bei etwa 1,060.000 im Jahre 1970 liegen. Sie wird so lange weiter zunehmen, als der eingeschulte Schul- eintrittsjahrgang stärker als der ausgeschulte ist, das dürfte um etwa 1977 oder bald darnach der Fall sein.

Die Welle aus der Grundschule

Das Ansteigen der Schülerzahlen trifft in erster Welle die Grundschule (d. i. die ersten bis vierten Schulstufen der Volksschulen beziehungsweise auch von Sonderschulen). Im Jahre 1960 hatte sie die Stärke von 398.772, 1965 schon 471.366 und für 1970 ist das Maximum von etwa

520.000 zu erwarten. In weiterer Folge teilt sich diese Welle in die Volks- und Sonderschuloberstufe, die Hauptschule und die Unterstufe der allgemeinbildenden höheren Schule. Im neunten Pflichtschuljahr verzweigt sie sich auch in die Polytechnischen Lehrgänge sowie in mittlere und in weitere höhere Schulen. In den letzten Jahren hat sich die Verteilung (Typenproportion) auf den fünften bis achten Schulstufen wie folgt herausgebildet: 55 Prozent

Hauptschulen (erste und zweite Züge), 15 Prozent Unterstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen und 30 Prozent Volks- und Sonder- schuloberstufen. In den nächsten Jahren wird sich diese Schülerverteilung weiter zugunsten der Hauptschulen und höheren Schulen verschieben, dagegen werden die Volksoberstufen beträchtlich an Schülern verlieren. Etwa um 1975 dürfte eine Typenproportion von 60 (Hauptschule): 20 (höhere Schule): 20 (Volksund Sonderschuloberstufen) erreicht sein.

Ohne diese Veränderung der Typenproportion schon ergibt sich aus dem fortschreitenden Einrük- ken stärkerer Schuleintrittsjahrgänge in die Schulen der Zehn- bis Vierzehnjährigen ein starker Schülerzuwachs der Hauptschulen und der höheren Schulen. Während die Hauptschulen, die 1963 ihren tiefsten Schülerstand seit 1950 mit 186.903 hatten, 1965 bereits 202.016 auswiesen, werden sie 1970 zirka 250.000 bis 1975 rund 280.000 betragen. Wenn es zu der erwähnten Änderung der Typenproportion kommt, dürfte die Zahl von 300.000 noch vor 1975 überschritten werden. Mit einer erheblichen Vermehrung ihrer Schülerzahlen haben auch die Sonderschulen zu rechnen, einerseits durch die stärkeren Schuleintrittsjahrgänge, anderseits durch die zu erwartende weitere Ausdehnung des Sonderschulwesens. Bei unverändertem Anteil wird dessen Schülerzahl um 1970 schon mehr als 27.000 betragen, bei Ausweitung des Anteils etwa 30.000. Für die Unterstufen der allgemein- bildenden höheren Schulen, die 1960 50.773 Schüler zählten und 1965 64.694, muß man (bei Aufrechterhaltung des derzeitigen Anteilprozentsatzes) allein auf Grund der stärkeren Schülereintrittsstärken 1970 mit rund 70.000 rechnen, 1975 mit etwa 75.000 bis 80.000. Wenn sich die Typenproportion in der Weise ändert, daß sich der Anteil dieser Unterstufe auf 20 Prozent erhöht, dann ergäbe dies einen Schülerstand von rund 100.000.

„Schülerexplosion“ also nur im höheren Schulwesen? Eben nicht, denn das allgemeinbildende Pflichtschulwesen durchläuft nicht nur eine schmale Schülerwelle (wie etwa die Schuleintaittsjahrgänge 1939 bis 1944), sondern alle Geburtenjahrgänge ab 1956 liegen über 115.000. Dadurch kommt es nicht nacheinander zu Schülerhochs, sondern nebeneinander. Ferner wirkt sich die

Einführung des neunten Pflichtschuljahres aus, überdies die Änderung in der äußeren Organisation des Pflichtschulwesens, konkret: die Entleerung der Volksschuloberstufen zugunsten der zweiten Klassenzüge und eine verstärkte Absaugung der sondersdiulbedürftigen Kinder.

Darnach zeigt die Entwicklung des Schulbesuchs im allgemeinbildenden Pflichtschulwesen (ab 1966 einschließlich der Polytechnischen Lehrgänge) etwa das folgende Bild: 1950 (bisheriger Höchststand): 866.543, 1955: 764.217, 1960: 744.211 (Tief 1958 mit 725.020), 1965: 794.254, 1970: zirka

950.000 und 1975: zirka 960.000. Fällt die Geburtenjahrgangsstärke mehr als in den letzten Jahren ab, wird sich schon um 1975 ein rückläufiger Schulbesuch im allgemeinbildenden Pflichtschulwesen ergeben.

Wachsender Lehrerbedarf

Rechnet man eine durchschnittliche Schülerzahl pro Klasse von 30 und pro Lehrer von 25, so läßt sich ein Schulraumerfordernis von 32.000 Klassen (1965: 25.888) und ein Lehrerbedarf von mehr als 38.000 (1965: 28.906) schätzen, wobei die Begrenzung der Klassenschülerhöchstzahl mit 36 noch nicht berücksichtigt ist. Uber die mittleren und höheren Schulen wagen wir über die bisherigen Hinweise hinaus keine Vorausschätzung — bei ihnen handelt es sich ja um keine Pflichtschulen.

Vor der Schulgesetzgebung im Jahre 1962 besuchten 742.132 Schüler die allgemeinbildenden Pflichtschulen; auf 27 Schüler entfiel ein Lehrer im engeren Sinn (= Klassenoder Fachlehrer mit dem Reifezeugnis für das Lehramt an Volksschulen). Die 950.000 Schüler von 1970 werden nach demselben Durchschnitt rund 35.000 Lehrer (also um 8000 mehr als 1962) erfordern, das heißt, der Schülerzuwachs bedingt einen höheren Erweiterungsbedarf als das Schulgesetzwerk 1962 (= bis 1970 etwa 7000, die Begrenzung der Klassenschülerhöchstzahl mit 36 eingerechnet). Das sollte man bei der Beurteilung des vielberufenen Lehrermangels nicht übersehen. Von 1962 bis 1970 wurden beziehungsweise werden zwar insgesamt rund 12.000 Lehrer ausgebildet, davon verbleiben aber nur zirka 7000 bis 8000 für den Erweiterungsbedarf, die übrigen entfallen auf den Ersatzbedarf und Abgänge in andere Berufe. Da man gewisse Termine des Schulgesetzwerkes 1962 einfach nicht hinausschieben konnte, mußte es zu einem Engpaß in der Lehrerversorgung kommen, der über 1970 hinaus an- halten wird.

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