Fesselnder Unterricht

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Der Streit um zwei zusätzliche Unterrichtsstunden ist die letzte Episode im Dauerkonflikt Schule. Durch welche Ansprüche werden die Lehrer in Fesseln gelegt, wie können sie selber ihre Schüler mehr "fesseln" und was könnte sie befreien?Eine Analyse von Regine Bogensberger

Irgendwann wurde es einem der Schulleiter zu viel: Er musste seinen ganzen Ärger und Frust zu Papier bringen und beklagte, dass die Eltern einfach zu viele Erwartungen in die Schule setzten, die man aber nur in beschränktem Maße erfüllen könne. Schluss mit der ewigen Lehrer-Hatz! Wer nun glaubt, die Klage stammt von März 2009, irrt gewaltig. Der oben genannte Schulleiter machte seine Klage in einem Buch mit dem Titel "Über Zartgefühl in Beurteilung öffentlicher Schulen" publik. Die Bitte um mehr "Zartgefühl" mit den Lehrern stammt aus dem Jahre 1820.

Die Klage der Lehrer über zu hohe Ansprüche existiere, seit es öffentliche Schulen gibt, sagt Stefan Hopmann, Bildungswissenschafter der Universität Wien im FURCHE-Gespräch.

Immer wiederkehrend sind auch Forderungen nach Reformen, am besten "Gesamtreformen", und ein Drehen an den verschiedensten Schrauben im Schulsystem. Die Lehrer fühlen sich seit jeher wie gefesselt - durch diverse Akteure, die gestalten, und durch die hohe Erwartungshaltung jener, die von ihrer Arbeit profitieren sollen: die Schüler und ihre Eltern. Die wiederum (aber auch die Lehrer-Kollegen) leiden seit jeher unter so manchem schwarzen Schaf in den Reihen der Pädagogen.

So hat sich einiger Frust angestaut: Doch statt einem Buch mit dem Appell zu mehr "Zartgefühl" stehen nun Streikdrohungen im Raum. Heute, Donnerstag, finden an allen heimischen Schulen Dienststellenversammlungen der Lehrer und Lehrerinnen statt, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Unterrichtsministerin Claudia Schmied trat kurz davor mit einem Angebot an die Lehrer heran: Sie könne sich die geplante Anhebung der Unterrichtsverpflichtung auch befristet vorstellen - auf zwei Jahre, in dieser Zeit sollte ein neues Dienst- und Besoldungsrecht ausgearbeitet werden (siehe rechts). Die Reaktion der Lehrervertreter ist noch offen. Bundeskanzler Werner Faymann schloss nicht aus, dass die umstrittene Reform auch ohne Zustimmung der Lehrergewerkschaft beschlossen werden könnte.

Was kostet unsere Bildung?

Geklagt wurde in den letzten Tagen ausreichend, kommentiert und analysiert ebenso. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Analysen, Vergleiche und Fakten eine Aussage: Befreit Pädagoginnen und Pädagogen doch endlich von so manchen "Fesseln", damit der Unterricht wieder befreiter und, so die Hoffnung, qualitätsvoller über die Bühne gehe. Zunächst hängt über allen Reformen und Maßnahmen stets das Bildungsbudget und seine Grenzen. Zwar gibt Österreich im EU- und OECD-Vergleich (siehe Grafik) sehr viel für Bildung aus (6,78 Mrd. Euro im Jahr 2008, das Budget soll laut APA bis 2013 auf 7,5 Mrd. Euro wachsen). Das Geld werde aber nicht effizient genug eingesetzt, klagen Rechnungshof und IHS-Studien. Das bekannte Kernproblem, über das sich offenbar niemand wirklich drübertraut: Die Schulverwaltung müsse schlanker werden. Regierungspläne sehen zwar vor, Bezirksschulräte zu streichen und Landesschulräte durch Bildungsdirektionen des Bundes zu ersetzen, noch harrt diese Maßnahme der Umsetzung.

Das Bildungsbudget müsse schlichtweg vergrößert werden, forderten die Grünen von Finanzminister Josef Pröll kürzlich, sie wollen eine Milliarde Euro für die Jahre 2009/2010. Sparen im Bildungsbereich sei der falsche Weg.

Die nächste "Fessel" lautet aus Sicht der Lehrer: pure Überlastung. An einem neuen Dienstrecht oder besser an neuen Arbeitszeitmodellen für Lehrer führe kein Weg vorbei, so die Antwort der Fachleute. Es gehöre mehr Gerechtigkeit ins System, meint etwa Stefan Hopmann, der den aktuellen Streit für verfehlt hält: "In Österreich ist die Funktionsdifferenzierung unterentwickelt. Das führt zu extrem unterschiedlicher Belastung", betont Hopmann. An Österreichs Schulen seien hauptsächlich Lehrer am Werken, andere Berufszweige, wie Sozialpädagogen, Assistenten für Lehrer kaum anzutreffen. "Es gibt viele Tätigkeiten, die nicht von Lehrern ausgeführt werden müssen, etwa die Pausenaufsicht, auch bei Klassenfahrten können andere Fachkräfte den Lehrern beistehen."

Klassenfahrt ohne Lehrer?

Es müsste eine reale Schulautonomie geben, wo jeder Schulleiter je nach Bedarf für seine Schule festlegen könne, welche Arbeitskräfte er oder sie vor Ort brauche und wie der Einsatz vernünftig organisiert werden könne.

Geht es nach Hopmann, braucht es nicht mehr Zentralismus, sondern mehr Autonomie, aber mit klaren Zielvereinbarungen. Zunächst wundert sich Hopmann vor allem über eines: "Warum hat man die Arbeitszeit der Lehrer nicht evaluiert? Es gibt in Österreich keine einzige zuverlässige Arbeitszeitstudie. Wir wissen fast nichts über die Lehrerarbeit, wir wissen fast nichts darüber, was in den Klassen passiert." Studien über die Selbsteinschätzungen der Pädagogen seien kaum aussagekräftig. Internationale Vergleiche in Bezug auf Arbeitszeit - vom Bildungsministerium für seine Argumentation ins Treffen geführt - würden ebenso hinken, da es sehr unterschiedliche Arbeitzeitmodelle gebe. Laut Vergleiche liegen Österreichs Pädagogen bei der Unterrichtszeit unter dem OECD-Schnitt.

Tappen im Dunkeln

Statt von harten Fakten lasse man sich lieber von Ideologie und Standesvertretung leiten oder einnehmen und zerreibe sich an bekannten Debatten, beklagen weitere Stimmen vom Fach: Gesamtschule, ja oder nein, Ganztagsschule als Wunderrezept oder Kapitulation der Eltern?

Derzeit gewinnt das Modell der Ganztagsschule die Oberhand. Meinungsmacher wie Andreas Salcher oder Bernd Schilcher skizzieren weichgezeichnete Bilder von ganztägigen Schulen als Lebensräume, in denen das Stundenzählen vorbei sei, aber auch Nachhilfe für Schüler und Nacharbeit für Pädagogen. An ihrer Seite sogenannte "Support"-Kräfte wie Sozialarbeiter und Schulpsychologen.

Noch sieht die Realität völlig anders aus. Der Arbeitsplatz beschränkt sich nach Aussagen vieler Lehrer auf kleine Ablageflächen, statt "Support" mehr Verwaltungsaufgaben. Und zu allem Überdruss gibt es auch keine zusätzlichen Schulpsychologen. Im Herbst 2008 noch groß von Ministerin Schmied angekündigt, fallen die zusätzlichen 30 Posten dem Sparstift zum Opfer.

Und über all der Diskussion schwebt die Angst vor den nächsten Bildungstests in Form von Pisa oder Pirls. Mäßige Ergebnisse führten zu hitzigen Diskussionen über zu frühe Selektion, soziale Ungerechtigkeit und über mehr Frühförderung, vor allem von Kindern mit Migrationshintergrund und moderne Unterrichtskonzepte.

Schmied spart in diesem Zusammenhang nicht an Dramatik: "Wir können uns schlechte Pisa-Werte nicht mehr länger leisten. Wir haben kein gutes Bildungssystem. Die Ergebnisse und die Qualität sind schlecht. Wir haben 30 Prozent Risikoschüler, wir haben Handlungsbedarf", sagte sie in der jüngsten ORF-Sendung "Im Zentrum". Und in Richtung Pflichtschullehrer-Gewerkschaftsboss Walter Riegler meinte Schmied, die Lehrergewerkschaft würde nicht sehen, "in welch dramatischer Situation wir uns befinden".

Das würden auch viele Lehrer unterschreiben: Sie seien immer mehr Eltern-Ersatz, Integrationshelfer und Sekretäre - und dazu sollten sie individuellen Unterricht anbieten: Bitte mehr "Zartgefühl".

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