Die Rache der einstigen Schüler an den Lehrern

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Die Fronten sind verhärtet: Seit Bildungsministerin Claudia Schmied den Lehrern zwei zusätzliche Unterrichtsstunden zumuten möchte, hagelt es Streikdrohungen. WelchenAusweg könnte es geben? Sonst meist Kontrahentinnen, diesmal auf ähnlicherem Kurs: AHS-Gewerkschafterin Eva Scholik und AHS-Direktorin Heidi Schrodt diskutieren. Das Gespräch moderierte Regine Bogensberger, Mitarbeit Sandra Nigischer * Fotos: Elke Mayr

Dass Lehrer und Lehrerinnen in Zukunft zusätzlich zwei Stunden in den Klassen unterrichten sollten, lehnen beide ab. Während sich Heidi Schrodt eine Vision in der Bildungspolitik wünscht, fordert Scholik ein "Zurück an den Start".

Die Furche: Frau Scholik, Ministerin Schmied spricht in ihrem Brief an alle Lehrer davon, dass sie keine andere Wahl habe und appelliert an Ihre Solidarität. Das erste Gespräch zwischen Schmied und Gewerkschaft verlief ergebnislos. Was nun?

Eva Scholik: Es ist nun Sache der Frau Minister, mit dem Bundeskanzler und Vizekanzler eine Erhöhung des Bildungsbudgets zu verhandeln. Die Bezeichnung Solidaritätsbeitrag ist in meinen Augen irreführend: Mit wem sollen wir solidarisch sein? Mit den Leuten, die Millionen verbockt haben? In der Privatwirtschaft wird Steuergeld in Projekte gepumpt, um Arbeitsplätze zu erhalten. Die Frau Minister geht hier einen anderen Weg: Wir haben große Sorge, dass Arbeitsplätze von Junglehrern, die nur Jahresverträge haben, verloren gehen. Das kommt nicht in Frage!

Die Furche: Welche Form von Solidarität wäre für Sie, Frau Schrodt, denkbar?

Heidi Schrodt: Es geht sicher einmal nicht, indem von einer Berufsgruppe von einer Stunde auf die andere verlangt wird, mehr zu arbeiten. Obwohl wir in vielen Bildungsfragen nicht einer Meinung sind, hier muss ich Frau Scholik recht geben. Es stimmt einfach nicht, wenn man sagt, die zwei zusätzlichen Stunden kann man in den 40 Wochenstunden unterbringen. Das geht nicht. Da kann ich Ihnen viele Beispiele nennen. Ein Lehrer, der Englisch oder Deutsch in der AHS-Oberstufe unterrichtet, der hat eine Arbeitszeiterhöhung von vier Stunden. Kurzfristig wird es schwer sein, einen Kompromiss zu finden. Sicher ist aber auch, dass die Lehrerarbeitszeit ungerecht verteilt ist. Das ist sicher ein Tabu …

Die Furche: Warum ein Tabu?

Schrodt: Das ist ein Gewerkschaftstabu: Man darf nicht sagen, dass es Lehrer gibt, die weniger arbeiten als andere. Einerseits gibt es engagierte und weniger engagierte Lehrer. Andererseits gibt es Fachgruppen, die keine Stunde Vorbereitungszeit brauchen und andere bräuchten wieder mehr.

Scholik: Wir haben seit Jahren ein neues Dienst- und Besoldungsrecht gefordert, wir wollen hier auch Veränderungen, damit Junglehrer mehr verdienen und die höheren Gehaltsstufen abgesenkt werden. Nur sind wir bisher immer am Nein des Finanz- und Unterrichtsministeriums gescheitert, die nicht bereit waren, für eine Umstellung mehr Geld zu investieren.

Die Furche: Das Nein-Sager-Image haben aber auch Sie als Gewerkschaftsvertreterin.

Scholik: Uns als Nein-Sager zu bezeichnen, ist ein Schutzmechanismus, wenn man sich ausreden will. Wir haben die Oberstufenreform nicht blockiert, wir haben bei der zentralen Reifeprüfung sehr viele positive Vorschläge eingebracht, die jetzt zum Teil eingearbeitet werden. Aber natürlich haben wir das Wohl und die Arbeitsbedingungen unserer Kollegen und Kolleginnen im Kopf.

Schrodt: Ich als Schulleiterin habe es schon oft erlebt, dass von Gewerkschaftsseite ein "Nein, wir stimmen nicht zu" kommt, etwa bei der Frage Neue Mittelschule (NMS). Aber die Gewerkschaft ist eben eine Interessensvertretung.

Scholik: Das hat nichts mit Blockieren zu tun, sondern es ist eine grundsätzliche Frage, welches pädagogische Modell für die Zukunft angedacht wird. Das ist genau unsere Kritik: dass man hier Einzelaktionen setzt, aber dass uns ein großes Konzept für die Schulentwicklung fehlt. Nur zu sagen, ich mache jetzt zehn Prozent Neue Mittelschule und 90 Prozent der Klassen sind nicht mit Ressourcen bedacht, so geht es nicht.

Die Furche: Aber es soll laut Schmied kleinere Klassen in allen Schulen geben.

Scholik: Wir haben immer noch in zwei Dritteln der AHS-Klassen mehr als 25 Schüler. Das liegt an der Raumnot, und es werden Ressourcen für andere Dinge verwendet.

Schrodt: Wenn wir die NMS einmal ausklammern, muss Folgendes gesagt werden. Und da werde ich sehr ärgerlich. Unser Bildungsbudget ist im OECD-Vergleich hoch, nur versickert sehr viel Geld in einer aufgeblähten Verwaltung. Wir könnten in der Verwaltung nach einer seriösen und niedrig angesetzten Schätzung bis zu einer Milliarde einsparen. Das, was wir tatsächlich ausgeben, kommt nicht dort an, wo wir es brauchen. Und jetzt sollen die Lehrer herhalten, weil das Geld nicht da ist.

Scholik: Da sind wir einer Meinung.

Die Furche: Manche sagen, es würde wieder zu wenig über jene diskutiert, um die es gehen sollte: die Schülerinnen und Schüler. Das Output an den Schulen ist laut Bildungstests bestenfalls mittelmäßig.

Scholik: Genau das bedaure ich ja auch, dass wir wieder beim Lehrer-Bashing angelangt sind. Dabei waren wir gerade auf einem richtigen Weg: dass man das Bildungssystem von unten aufbaut, dass wir mit der Frühförderung der Kinder beginnen. Aber im Moment habe ich die Befürchtung, dass wir in Kürze eine Diskussion haben werden, ob Kindergärtnerinnen länger arbeiten müssen, weil wir zu wenige haben.

Schrodt: Es stimmt nicht, dass die Schüler in der Diskussion nicht vorkommen. Die Ursachen für die schlechten Ergebnisse bei Bildungstests sind vielfältig. Wahrscheinlich ist es auch einfach schlechter Unterricht, beim besten Willen der Beteiligten. Die Bedingungen, unter denen unterrichtet wird, vor allem in Städten, sind oft nicht gut. Ich bin insofern entmutigt, weil die Ministerin bisher Schritte in die richtige Richtung gesetzt hat: mehr Ressourcen für individuelle Förderung. Auch wenn wir im internationalen Vergleich immer noch sehr wenig Supportsysteme an Schulen haben. Aber wenn die Lehrer nachhaltig demotiviert sind, was nützen da die bisherigen Maßnahmen. Mit diesem jüngsten Schritt hat die Ministerin sehr viel Schaden angerichtet.

Die Furche: Was sagen Sie zu Ganztagsschulen, wie sie Andreas Salcher fordert?

Scholik: Das ist an sich ein toller Zugang, nur lade ich Herrn Salcher in unsere Schulen ein, dann wird er sehen, dass das nicht umsetzbar ist, solange es kein Radikalbauprogramm gibt. Ich bin eine Frau der Praxis und muss mich nach der Decke strecken. Daher bin ich eine Verfechterin der Nachmittagsbetreuung. Wir können an den vorhandenen Schulen für kleine Gruppen eine gute Nachmittagsbetreuung anbieten, aber keine Ganztagsschule. Dafür sind die Schulen baulich nicht ausgestattet.

Schrodt: Ich sehe es auf jeden Fall als Vision, als Ziel, wo sich Schule hinbewegen soll. Aber ich bin skeptisch, was die Bereitschaft der Lehrer im AHS-Bereich betrifft, sich nachmittags an Schulen zu begeben.

Scholik: Aber es findet doch ein gewisses Umdenken statt. Natürlich ist es so, dass Vormittagsstunden bei Lehrern beliebter sind. Wenn Lehrer aber entsprechende Arbeitsplätze hätten, würde sich vieles entkrampfen. Das wurde aber auch schon mit vielen Ministern diskutiert.

Die Furche: Nun muss wieder diskutiert werden. Wie könnte eine Lösung für den aktuellen Streit aussehen?

Schrodt: Es ist ganz einfach: Man muss den Lehrern etwas dafür geben. Wenn es schon kein Lohnausgleich ist, dann muss ich etwas anderes anbieten: etwa, wir beginnen ein großes Umbauprogramm, wo jeder Lehrer seinen Schreibtisch bekommt.

Scholik: Ich glaube, es wäre vernünftig zu sagen: Zurück an den Start. Wenn man einen Schulversuch wie die NMS macht, muss man dafür entsprechendes Budget haben.

Schrodt: Es sträubt sich alles in mir, das eine gegen das andere auszuspielen. Ich sehe die NMS als eigentlichen Standard. Der Finanzminister ist gefordert, einfach mehr Geld für unsere Schulen frei zu machen. Ich weiß aber nicht, wie es Ministerin Schmied gelingen kann, zu vermitteln: "Ich schätze eure Arbeit." Da ist viel kaputt gegangen.

Scholik: Ja, die Lehrer fühlen sich verhöhnt. Schule steht und fällt mit dem Vertrauensverhältnis zwischen Lehrer und Schüler.

Die Furche: Ist diese subtile Lehrerfeindlichkeit die Rache all der ehemaligen Schüler an ihren verhassten Lehrern?

Schrodt: Ich glaube schon.

Scholik: Es ist eine Stammtischmentalität. Jeder meint, er wisse es besser.

Die Furche: Ist für Sie Ministerin Schmied noch tragbar? Soll sie zurücktreten?

Scholik: Das ist eine Frage, die wir jetzt nicht beantworten sollten.

Schrodt: Das würde ich nicht wollen. Aber ich wünsche mir von ihr, dass sie einmal vermittelt, was ihre Vision von Schule ist. Dass sie zu den Lehrern sagt: Wenn ihr diese Durststrecke hinter euch gebracht habt, dann steht dies oder jenes am Ende des Weges, dann könnt ihr auch etwas gewinnen, etwa mehr Unterstützung von Psychologen oder Sozialarbeitern, weniger Verwaltungsarbeit, einen Arbeitsplatz an der Schule und Wertschätzung. Sie sollte sagen: Das strebe ich an, geht mit mir gemeinsam!

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