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Über 3.000 Lehrer kehren am 1. Dezember ihren Klassen den Rücken und treten in Vorruhestand - manchmal mit Abschlägen von bis zu 60 Prozent. Häufiges Motiv für die Flucht: Krankheit und Überforderung.

Vornehme Zurückhaltung ist seine Sache nicht. Wenn Herwig Kainz verbal zu feuern beginnt, dann aus vollem Rohr: "Welchen Lehrern vertrauen wir unsere Kinder an? 25 Jahre halbtags gearbeitet und mit 50 schon pensionsreif!" entrüstet sich der Generalsekretär des Österreichischen Gewerbevereins in einer Aussendung. Der "Massenansturm auf Vorruhestandsregelungen bei Lehrern" werfe doch einige Fragen auf, glaubt Kainz. Vor allem diese: "Welche Charaktereigenschaften besitzen jene, die unsere Kinder - gemeinsam mit den Eltern - auf das Leben vorbereiten"?

Eines besitzen Österreichs Pädagoginnen und Pädagogen jedenfalls nicht mehr: Lust, sich derlei Polemiken von Außenstehenden anzuhören. "Sie sollen den Job einmal machen", kontert Wolfgang Gröpel, als Leiter der Abteilung für allgemeinbildende Pflichtschulen im Wiener Stadtschulrat ein langjähriger Kenner des Arbeitsplatzes Schule. "Wer 30 oder 40 Jahre lang Lehrer war, der weiß, was das bedeutet."

Krank vor der Klasse

Auch die 54-jährige Wiener Volksschullehrerin Franziska S. hat nach 33 Dienstjahren eine Ahnung davon. Umso fundierter war ihre Entscheidung, trotz eines Minus von 43 Prozent vom Aktivbezug den Schritt zu wagen und wie über 3.000 heimische Landes- und Bundeslehrer - die genaue Zahl steht noch nicht fest - am 1. Dezember in den Vorruhestand zu treten. "Ich gehe vor allem aus gesundheitlichen Gründen", erklärt sie im Furche-Gespräch. Eine Bandscheibenoperation, Sehnenverkürzungen und zwei Brustknotenentfernungen hat sie schon hinter sich. Dennoch sei es für sie nicht möglich gewesen, krankheitsbedingt in vorzeitigen Ruhestand zu gehen. "Dazu hätte ich ein halbes Jahr durchgehend fehlen müssen", meint die Lehrerin - ein Schritt, den sie ihrer Schülerinnen und Schüler wegen nicht gewagt habe. "Wir haben niemanden gehabt, der die Kinder hätte übernehmen können. Und weil die Klasse sonst aufgeteilt worden wäre, habe ich halt Tabletten genommen."

Ein zweiter Beweggrund, jenes Schlupfloch im Bundesbediensteten-Sozialplangesetz zu nützen, das bis Ende dieses Jahres sogar Unter-55-jährigen Beamten den Weg Richtung Rente ebnet, seien die zunehmenden Verhaltensauffälligkeiten in der Schule gewesen: "Die Kinder kennen einfach keine Grenzen mehr. Wenn sie zu einem Lehrer Halt die Klappe!' sagen, ist das noch vergleichsweise nett."

Vor die Wahl gestellt, diesen Kreislauf aus Schmerzen und nervtötenden Kids noch weitere neun Jahre bis zu ihrem regulären Pensionsantrittsalter von 63 Jahren und elf Monaten ertragen zu müssen oder sofort auszusteigen, fiel der Mittfünfzigerin die Entscheidung nicht schwer. "Eher kann ich da noch die Abschläge verkraften", lautet ihr Resümee. Gemeinsam mit dem Einkommen ihres Ehemannes - eines unfreiwillig frühpensionierten Verbund-Mitarbeiters - könne sie von den 1.150 Euro Nettopension inklusive Zuschlägen schon leben.

Finanzielle Ödnis

So viel Bescheidenheit und Ruhestandsbedürfnis unter der Lehrerschaft hat nicht nur Bildungsministerin Elisabeth Gehrer überrascht ("Das wundert mich, weil die Abschläge doch sehr hoch sind"). Auch die Gewerkschaftsvertreter quittieren den Lehrer-Exodus in die finanzielle Ödnis mit Staunen - und leichtem Missfallen: "Wenn sich jemand auf eine solche Pension einlässt, dann dürfen finanzielle Erwägungen keine Rolle spielen", meint Walter Riegler von der Pflichtschullehrer-Gewerkschaft. Angesichts der Abschläge von bis zu 60 Prozent würde er keinem Lehrer zwischen 50 und 55 Jahren den Marsch in den Vorruhestand empfehlen. Auch AHS-Lehrergewerkschafterin Eva Scholik schließt sich dieser Meinung an: "Es sind hauptsächlich verheiratete Frauen, die das in Anspruch nehmen und mit 900 Euro das Auslangen finden", meint sie gegenüber der Furche. Zwar nimmt sich diese Summe gegenüber der durchschnittlichen ASVG-Pension von 895 Euro gar nicht so bescheiden aus - im Vergleich zur Pension am Ende einer klassischen "Lehrerkarriere" an einer Pflichtschule (1.594 Euro) oder AHS (1.800 Euro) freilich schon.

Dessen ungeachtet kehren am 1. Dezember allein in Wien 1.075 Lehrerinnen und Lehrer ihren Klassen den Rücken: 735 an den Pflichtschulen, 270 an den allgemeinbildenden und 70 an den berufsbildenden Schulen. Zum Ärger vieler Eltern, zum Ärger von Grünen-Bildungssprecher Dieter Brosz, der diese Rochade "mitten in der arbeitsintensivsten Phase des Schuljahres" als unzumutbare Belastung für die Schüler empfindet, und zum Ärger von SP-Bildungssprecher Erwin Niederwieser, der angesichts der Kritik der Regierung am angeblich privilegierten ÖBB-Pensionsrecht eine "unerträgliche Doppelmoral" ortet.

Nur eine Gruppe scheint dem frühen Abgang der Alt-Pädagogen mit voller Sympathie gegenüberzustehen: die arbeitslosen Junglehrer. Knapp tausend sehnen allein in der Bundeshauptstadt ihren ersten Schultag herbei. Noch.

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