Die Ohnmacht der Lehrer

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Was tun Lehrerinnen und Lehrer mit störenden Kindern, wenn nichts mehr hilft? Formen psychischer Gewalt sind noch weit verbreitet, sagen Praktiker.

Wenn gar nichts mehr hilft, dann kann es passieren, dass er „auszuckt“: Stolz sei er nicht darauf, erzählt Nikolaus Glattauer, aber es wirkt. Glattauer ist als Autor und Journalist bekannt, er unterrichtet aber auch. Er ist Integrationslehrer und Klassenvorstand an der Kooperativen Mittelschule Schopenhauerstraße im 18. Wiener Gemeindebezirk. Wenn er auszuckt, dann brüllt, tobt und schimpft er. Wenn er mit seiner tiefe Stimme losschreie, dann mache das sogar auf Buben mit Migrationshintergrund Eindruck, die bedingt durch ihre Kultur nur auf Männer hörten, erzählt Glattauer. Junge Kolleginnen hätten es da oft schwer, Gehör zu finden. Wenn das Auszucken auch nicht mehr helfen würde, dann würde sich Glattauer wirklich ohnmächtig fühlen.

Ohnmachtsgefühle sind laut Glattauer vielen Lehrern nicht fremd: Weil Schülerinnen und Schüler immer weniger mit Autoritäten umgehen könnten oder Autoritäten nicht gewohnt seien. Viele Kinder würden Signale, die früher sofort erkannt wurden, nicht mehr erkennen, etwa das Heben der Stimme oder ein böser Blick. Aber dass Lehrer mehr Sanktionsmöglichkeiten haben wollten und sollten, das glaubt Glattauer nicht. Lehrer wollten nicht zurück zu drakonischen Strafen. „Genau das ist der Zwiespalt, in dem wir Lehrer stecken“, sagt er: zwischen Ohnmacht und dem Gutheißen, dass Strafen, Züchtigung und dergleichen der Vergangenheit angehören.

Die Christgewerkschafter an den Pflichtschulen sind da etwas anderer Meinung. Erst Ende vergangenen Jahres forderten sie die Möglichkeit für mehr Sanktionen, wenn Schüler Grenzen überschreiten. Lehrer seien immer wieder mit Aggression und verbalen Angriffen von Schülern konfrontiert. Die Lehrer hätten aber keine Handhabe. Gefordert wurde etwa, dass man Schüler zu Sozialdiensten einteilen kann, wenn Schaden angerichtet wurde oder dass sie zum Nachholen nicht erbrachter Unterrichtsleistungen in der Freizeit oder zu Hause verpflichtet werden können.

Das sogenannte „Nachsitzen“ sei auch jetzt in eingeschränkter Form möglich, aber nur, um konkreten Unterrichtstoff nachzuholen, nicht aber, um etwa als Strafe die Tafeln zu putzen, erklärt die Ombudsfrau für Schülerinnen und Schüler sowie Eltern im Wiener Stadtschulrat, Monika Schillhammer. Was Lehrer dürfen und was nicht, ist im Schulunterrichtsgesetz und in der Verordnung zur Schulordnung festgelegt. Hier heißt es konkret, dass „der Lehrer in seiner Unterrichts- und Erziehungsarbeit die der Erziehungssituation angemessene persönlichkeits- und gemeinschaftsbildende Erziehungsmittel anzuwenden (hat), die insbesondere Anerkennung, Aufforderung oder Zurechtweisung sein können“. „Körperliche Züchtigung, beleidigende Äußerungen und Kollektivstrafen“ sind ausdrücklich verboten. Schüler können aus „erzieherischen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Ordnung“ versetzt oder in letzter Konsequenz aus der Schule ausgeschlossen werden.

Körperliche Züchtigungen sind heutzutage absolutes „No-Go“ an Schulen. Insidern sind keine Fälle bekannt. Schillhammer, die täglich mit Beschwerden von Schülern und deren Eltern über Lehrer zu tun hat, meint: „Körperliche Züchtigungen kommen nicht mehr vor, aber zu beleidigenden Äußerungen kommt es immer wieder.“ Und es herrsche nach wie vor eine Atmosphäre der Angst an Schulen. Wenn sich jemand beschwert, heiße es oft von Elternseite: „Um Gottes Willen, machen Sie nichts, das fällt alles auf mein Kind zurück!“ Schillhammer fordert daher dringend eine Feedback-Kultur für die Lehrer ein. Lehrer würden sich weigern, bewertet zu werden.

Auch Glattauer bestätigt, dass manche Lehrer in ihrer Ohnmacht nach vielen Gesprächen als letzten Ausweg sehr wohl zu Formen psychischer Gewalt greifen würden: Beleidigungen, Liebesentzug und Formen der Ächtung. Und das ist seiner Meinung nach viel mehr „Schwarze Pädagogik“ als einmal Auszuzucken.

Was müsste sich ändern, um dieses Ohnmachtsgefühl vieler Lehrer zu verhindern? Glattauer verspricht sich viel von kleineren Klassen und der Gesamtschule. Seiner Erfahrung nach hebt sich das Niveau des Benehmens und Unterrichts, wenn Kinder aus verschiedenen Schichten in einer Klasse sind. Zufrieden ist er auch mit dem neu angelaufen Wiener Projekt der Schulsozialarbeit. „Wir haben jetzt eine Sozialarbeiterin“, sagt er: „Und das hilft.“

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