bildung - © Illustration: iStock/ dickcraft

Schulreformen: Bildung verändert die Welt nicht

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Immer wieder wird versucht, durch Schulreformen gesellschaftliche Probleme zu lösen. Doch das ist zu einfach gedacht. Ein Gastkommentar.

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Immer wieder wird versucht, durch Schulreformen gesellschaftliche Probleme zu lösen. Doch das ist zu einfach gedacht. Ein Gastkommentar.

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Freies Lernen mittels Projekten und Betreuung, mehr individuelle Förderung, weniger Stoff durch Frontalunterricht und keine Zergliederung der Lerninhalte in Fächer: Das sind die Lösungsansätze, mit denen die Autorin Alexia Weiss das Schulsystem reformieren möchte. In der Schule kranke es an allen Ecken und Enden, bemängelt sie und fordert daher in ihrem aktuellen Buch nicht weniger als die völlige Zerstörung des Schulsystems, um es den Bedürfnissen des 21. Jahrhunderts entsprechend neu aufzubauen. Von veränderten Lernmethoden erhofft sie sich nicht weniger als eine bessere Zukunft und eine gerechtere Welt.

Die Vorstellung, optimale Bildung wäre der Schlüssel zu Wohlstand, ist eine Ideologie, die sowohl von Politikern als auch NGOs vorangetrieben wird. Doch nur, weil etwas immer behauptet wird, ist es noch nicht wahr. So gibt es immer mehr Menschen, die nicht entsprechend ihrer Qualifikation beschäftigt werden können, arbeitslose Akademiker(innen) etwa, während das, was wir einmal unter Bildung verstanden haben, verlorengeht, weil man für jeden Lerninhalt praktische Anwendbarkeiten fordert. Wer alle Probleme junger Menschen im Schulsystem verankern will, macht es sich vielleicht zu einfach. Doch selbst wenn wir uns ausschließlich mit der Schule beschäftigen wollen, greifen jene Diskussionen, die nur Bildungsinhalte oder Bedürfnisse von Schüler(inne)n behandeln, zu kurz.

Ort sozialer Hierarchien

Schon bei ihrer Einführung im 18. Jahrhundert ging es der Schulpflicht darum, die Bewohner(innen) der sich langsam etablierenden Nationalstaaten zu Staatsbürger(inne)n zu formen. Es ist kein Zufall, dass Maria Theresia die Schulpflicht zur gleichen Zeit eingeführt hat, in der auch Hausnummern und der Wehrdienst implementiert wurden. Manche Privatschulen können sich den Luxus anderer, wie etwa jener von Alexia Weiss vorgeschlagenen, Lernmethoden leisten. Dem institutionellen Charakter öffentlicher Schulen entsprechen sie jedoch nicht. Diese waren nie ein Ort für individuelle Entfaltung, sondern per definitionem ein Platz, an dem soziale Normierung stattfindet und wo sich gesellschaftliche Hierarchien herausbilden. Die Inhalte der Bildung in der Schule kreisen daher um das, was Staaten als gut und relevant definieren, und genau hier liegt auch der sprichwörtliche Hund begraben. In der Vielfalt des digitalen Informationszeitalters ist es nämlich zunehmend schwierig, zu konkretisieren, was genau man können oder wissen sollte, um ein probates Mitglied der Gesellschaft zu sein.

Smartphones und Social-Media-Selbstdarstellungen schaffen narzisstische Entfremdung und suggerieren, dass individuelle Bedürfnisse den höchsten moralischen Wert darstellen. Daneben erscheint der soziale Konformismus, den die Schule eigentlich ausprägen sollte, als ein unüberbrückbarer Widerspruch. Der Neurologe Gerhard Hüther warnt, als einer von vielen, aktuell einmal wieder vor den Auswirkungen der Digitalisierung auf unser psychisches Wohlbefinden. Daraus resultieren Überforderung und Stress in viel größerem Ausmaß als aus den Inhalten der Schule, wo klassischer Lernstoff seit Jahren abgebaut wird. Der Dauerkonsum digitaler Medien und ihre Folgen, von Aufmerksamkeitsdefiziten bis hin zur Orientierungslosigkeit, werden nun dank der Laptops für alle und der Integration von Smartphones in das Lernen auch noch im Rahmen des Unterrichts gefördert und gefordert.

Hüther behauptet, in Anspielung an den Medienkritiker Neil Postman, dass wir uns „zu Tode informieren“. Die weitreichenden psychosozialen Probleme, die eine zunehmend digitalisierte Welt erzeugt, sind kaum Thema in Diskussionen um digitale Kompetenzen, bei denen es vorwiegend um das Erkennen von Verschwörungstheorien und Fake News oder um das Bedienen des GoogleFilters geht. Diese gehören damit gemeinsam mit anderen Problemen, von denen Lehrer(innen) berichten, in die Kategorie unbeachteter Themen. Der schulischen Überforderung durch angeblich inadäquaten Stoff steht beispielsweise das Faktum gegenüber, dass Lerninhalte längst nicht mehr die Ziele im Unterricht darstellen. Das kann jeder nachprüfen, der sich die Mühe macht, Lehrpläne zu lesen. Von allen Seiten wird Kompetenzvermittlung als wichtigste Aufgabe der Schule gefordert, und seit Jahren wird mehr oder weniger erfolglos daran gearbeitet, diese umzusetzen.

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