"Verpuffte Energie"

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Eine ehemalige Lehrerin macht sich Gedanken über ihren Ausstieg und die Ergebnisse der zweiten PISA-Studie. Aber vor allem denkt sie darüber nach, wie es zu dieser Situation an Österreichs Schulen gekommen ist.

Ich gehöre zu den wenigen Lehrerinnen und Lehrern, die freiwillig den Beruf aufgegeben haben. Was macht den Unterricht - in meinem Fall den Musikunterricht - so anstrengend, dass ich jetzt mit 48 Jahren trotz langer Ferien meine Nerven damit nicht mehr belasten möchte?

* Unsere Gesellschaft glaubt an das unverwechselbar einzigartige Begabungspotenzial des Individuums und gesteht jeder Person das Recht zu, dieses in Eigenverantwortung zu entfalten. Diese Gesellschaft kann nicht ungestraft an einer Schule festhalten, die kollektiven Gleichschritt fordert. Es ist eine ungeheure Kräftevergeudung, die offensichtliche Sinnlosigkeit einer Tätigkeit unter solchen Anachronismen ständig verdrängen zu müssen, um zu funktionieren.

* Das Fehlen externer Prüfungen bringt Schulklassen in die Rolle von Fußballmannschaften, welche vom Gegner trainiert werden. Die Rollenkollision als Fordernder und Förderer in einer Person lässt viel Energie wirkungslos verpuffen. Wenn Schülerinnen und Schüler maximale Leistungen erbringen und wenn sie auf diese Leistungen stolz sein sollen, dann müssen Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler vor allem einmal ins selbe Boot gesetzt werden!

* Die Kinder wachsen in einer Welt auf, die Lehrerinnen und Lehrer grundsätzlich als feindselig, faul und lächerlich darstellt. Die Schülerinnen und Schüler halten es für ganz natürlich und normal, wenn sie ihre Aggressionen - gestützt auf entsprechend schülerfreundlichen Gesetzen - hemmungslos an ihren schulischen Bezugspersonen abzureagieren versuchen. Solchen Aggressionsschüben ständig parieren zu müssen, zermürbt auf Dauer ungeheuerlich! Mir scheint, die österreichische Gesellschaft ist in dieser Hinsicht nicht erwachsen geworden. Sie kompensiert ihre unterschwellige Autoritätshörigkeit mit pubertären Angriffen auf die Lehrer. Wir brauchen eine neue Diskussion darüber, was die gemeinsame Erziehungsverantwortung aller Erwachsenen für die junge Generation an Konventionen für das öffentliche Verhalten verlangt.

* Das Bildungssystem wird zunehmend nicht nur mit erzieherischen Aufgaben betraut. Die einzelnen Schulen sind auch angehalten, sich in aufwändigen Teamprozessen gemeinsam mit Eltern und Schülerinnen und Schülern autonome neue Profile zu geben. Vieles ist disponabel geworden, nur nicht das Maß der schwindenden Ressourcen sowie das Korsett der veralteten Unterrichtsstrukturen. So wird tausendfach das Rad neu erfunden, während die Ökonomie einheitlicher Konzepte schwindet. Das verschlingt viel Arbeitszeit und -kraft, wird in der Öffentlichkeit aber verständlicherweise nicht als Leistung wahrgenommen. Es passiert vielmehr zu Lasten des Bildungsoutputs, wie pisa gezeigt hat.

Was tragen die Lehrerinnen und Lehrer selber zur Misere bei?

* Lehrerinnen und Lehrer "leiden" unter dem Privileg überdurchschnittlicher materieller Sicherheit. Unter solchen Umständen ist jeder Durchschnittsmensch versucht, das "bekannte Unglück" dem "unbekannten Glück" vorzuziehen. So neigt die Stimmung in den Konferenzzimmern zum ständigen frustrierten Nörgeln und zur Entmutigung jener Kolleginnen und Kollegen, die sich für Verbesserungen engagieren wollen.

* Lehrerinnen und Lehrer der Pflichtschulen und allgemeinbildenden höheren Schulen kennen die Arbeitswelt außerhalb der Schule tatsächlich wenig aus eigener Erfahrung. Wohl ist da mittlerweile Einiges in Bewegung gekommen. Junglehrerinnen und -lehrer warten heute mehrere Jahre auf einen Dienstposten, sammeln Erfahrung in der freien Wirtschaft und scheinen zunächst frischen Wind hereinzubringen. Sie passen sich aber nach und nach den vorgefundenen Bedingungen an, vielleicht auch deshalb, weil Schulen auf wohltuende Art und Weise als heute rar gewordene Refugien zweckfreien Erlebens und Tuns fungieren - vorausgesetzt, das menschliche Klima ist gut.

* Die Lehrerschaft als Kollektiv hat es bis heute nicht geschafft, sich als gesellschaftliche Institution öffentlich zu positionieren. Aus ihrer Verantwortung für die Jugend heraus sollte sie regelmäßig pädagogische und bildungspolitische Expertisen abgeben wie es etwa Ärzte für den Bereich der Gesundheit sehr wohl tun. So bleibt die Lehrergewerkschaft das einzige offizielle Sprachrohr. Es entsteht der Eindruck, dass sich LehrerInnen ständig nur mit ihren finanziellen und arbeitsrechtlichen Problemen beschäftigen.

Was ist von den aktuellen Lehrplänen zu halten?

* Die Entrümpelungs-Diskussion dauert nun bereits Jahrzehnte. Ihr wichtigstes Ergebnis ist, dass ein Konsens immer schwieriger zu finden ist. Es führt kein Weg daran vorbei, Schülerinnen und Schüler mehr an ihren individuellen Interessen, Begabungen und Potenzialen zu messen, als an kollektiven Normen. Dann wird die Erfahrung zeigen, welche gemeinsamen Vorgaben sich dennoch bewähren werden. In diesem Zusammenhang gewinnt auch das Gender Mainstreaming zunehmende Bedeutung. Zur Zeit Maria Theresias galten Mädchen noch vielen Lehrern als bildungsunfähig. Heute haben die Buben die schlechteren Noten. Das bedeutet sicher nicht, dass sie dümmer sind!

Warum wagen nicht mehr Lehrerinnen und Lehrer den Ausstieg?

* Ich glaube, dass das mit der intensiven seelischen Prägung zu tun hat, die wir alle durch die Schule erfahren. Ich frage mich, ob jemand, der Lehrerin oder Lehrer geworden ist und diesen Beruf längere Zeit ausgeübt hat, seinen Job ohne langwierige Selbsterfahrungsprozesse aufgeben kann. Lehrer sein ist zwar keine "Diagnose", wie es in den 70er Jahren hieß, aber anscheinend ein Schicksal.

* Es gibt Unterrichtsfächer, für welche heute oft schwer Nachwuchslehrer gefunden werden. Gute Musiker bekommen als Berufsmusiker wesentlich verlockendere Engagements. Bildende Künstler können sich entsprechend profilieren. Gute Chemiker und Physiker sind von der Wirtschaft gesucht, wo sie wesentlich mehr verdienen. Lehrerinnen und Lehrer werden großteils so ausgebildet, dass sie kaum in andere Berufe wechseln können. Das stellt der Schule als Arbeitsplatz kein gutes Zeugnis aus!

* In Stunden gemessen arbeite ich jetzt sicher mehr als früher. Allerdings: 14 Stunden intensives Budgetieren, Kontakte knüpfen, Texte schreiben, Werbung gestalten, Büro einrichten sowie Klienten beraten sind bei weitem nicht so anstrengend wie fünf Stunden Klassenunterricht!

Die Autorin war über 20 Jahre lang Musiklehrerin an höheren Schulen. Momentan richtet sie eine Beratungsstelle für linkshändige Kinder und Erwachsene ein (www.linkshaender.at).

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