Die talentierten Berater und ihre Fans

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Schulklassen unterscheiden sich heute in Größe und Heterogenität wesentlich von früheren Schülergenerationen. Es gilt daher in Unterrichtsreformen nicht nur Änderungen in der Verwaltung anzustreben, sondern pädagogische Herausforderungen zu meistern.

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Schulklassen unterscheiden sich heute in Größe und Heterogenität wesentlich von früheren Schülergenerationen. Es gilt daher in Unterrichtsreformen nicht nur Änderungen in der Verwaltung anzustreben, sondern pädagogische Herausforderungen zu meistern.

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Wenn der Betriebswirtschaftler, ehemalige Wiener ÖVP-Gemeinderat und Unternehmensberater Salcher (*1960) und der Jurist und ehemalige steirische ÖVP-Landesschulratspräsident Schilcher (*1940) sich dafür einsetzen, dass die Rahmenbedingungen für Lehrangebote entstaubt werden, kann damit gerechnet werden, dass alle, die üblicherweise mit Negativassoziationen auf das Thema Schule reagieren, nicht an eine Verwaltungs- sondern an eine Unterrichtsreform denken.

Komplettiert wird dieses Triumvirat durch den Steuerberater, ehemaligen Finanzminister und Großindustriellen Androsch (*1938) - alle vor Jahrzehnten schulisch sozialisiert und seitdem maximal einmal kurzfristig als VIP hofierter Gast in einer (vermutlich) höher bildenden Schule. Ich wünschte ihnen die Erfahrung einer kompletten Woche Unterricht in einem polytechnischen Lehrgang in einem Wiener Arbeiterbezirk ohne Präsentation mit Promifaktor, aber mit der Zielvorgabe, schwierige Lerninhalte eines sogenannten Hauptfaches so zu vermitteln, dass bei einer abschließenden Prüfung durch eine ausgebildete Fachlehrkraft alle eine bessere Note als genügend erhalten. Wird ja wohl kein Problem sein - hat sich doch auch Ex-Bundeskanzler Gusenbauer in der seinerzeitigen Debatte um Studiengebühren als Nachhilfelehrer angeboten.

Herausforderung Heterogenität

Ich nehme an, dass diese medial als Bildungsexperten Bezeichneten dann zumindest verstehen würden, weshalb immer mehr Pflichtschul-Lehrkräfte unter Kraftverlust leiden, und weshalb sich ihre Gewerkschaftsvertreter gegen Erhöhungen der Klassenunterrichtsstunden wehren.

Was nämlich bei all diesen "Bildungsdebatten" - ich nenne sie lieber Verwaltungsreformdebatten, denn unter Bildung verstehe ich die pädagogische Herausforderung - vergessen wird, ist einerseits, dass sich die heutigen Kinder und Jugendlichen in der Überzahl krass von den Schülergenerationen der vergangenen Jahrzehnte unterscheiden, und andererseits die Strategie der heterogenen Mischung der Herkunftsfaktoren nicht von sich allein eine Anhebung der Leistungen sozial benachteiligter Schüler und Schülerinnen bewirkt. Ich erinnere mich noch genau, wie mir der ehemalige Wiener Bürgermeister Slavik von Hoffnungen in den Zwischenkriegsjahren bei dem Experiment in der Besiedelung der Gemeindebauten auf der östlichen Quellenstraße erzählte, die sich leider nicht wie erwartet bewahrheiteten. Als ich in den späten 1970er-Jahren aktiv in der Gemeinwesenarbeit sowie Sozialtherapie von Jugendlichen und Jungfamilien tätig war, erkannte ich, dass es einer intensiven sonderpädagogischen Methodik bedurfte, alle im Beziehungsnetz "verstrickten" Personen zu betreuen und zu begleiten.

Wenn man zu geringe Akademikerquoten kritisiert, vergisst man, dass man sich hierbei auf eine Minderheit konzentriert und das Komma auf der Zeitlinie vor dem Eintritt in ein Studium setzt. Man kann damit die Ursachen der Dropouts der Studierenden weg von allfälligen pädagogischen Mängeln der Lehrenden hin zu individuellen Kriterien der Lernenden verschieben.

Eltern und Fernseher als Lehrer

Als Andreas Salcher seinen Bestseller "Der talentierte Schüler und seine Feinde" veröffentlichte, verriet mir die Pressefrau seines Verlags anlässlich der Buchpräsentation, wie toll der Titel beim Publikum ankomme -hielten doch alle Eltern ihre Kinder für talentiert. Dies stimmt allerdings leider nicht - auch hier ist es eine Minderheit, die sich um Fortkommen und Aufstiegsmöglichkeit für ihren Nachwuchs sorgt; das Gros ist dazu zu müde, zu uninformiert und auch zu entmutigt aufgrund von Versagenserlebnissen und Konkurrenzängsten. In den frühen 1970er-Jahren, als in der österreichischen Sozialdemokratie nach den ersten gewonnenen Bundeswahlen Aufbruchsstimmung herrschte, träumten wir davon, mehr Arbeiterkinder auf höhere Schulen zu bringen und damit ein ungeschöpftes Reservoir von Begabungen für den Staat - und die internationale Konkurrenz - nutzbar machen zu können. Die damals als Motivation für Skeptiker gedachte Suggestion wirkt noch heute. Was jedoch vernachlässigt wurde, war eine begleitende Erwachsenenpädagogik: es ist bekannt, dass das Leseverhalten am Vorbild der Eltern geprägt wird. Es sollte auch klar sein, dass mit dem Siegeszug der audiovisuellen Medien "daheim" - wir befinden uns historisch wieder in den 1970er-Jahren! - dieses Modell nicht nur, was die Formen des Erfahrungserwerbs betrifft, schrittweise zu schrumpfen begann, sondern auch deren pädagogische Nutzung: ich denke da an die Abschaffung des jungen Schulfernsehens, meiner Ansicht nach eine gravierende Verkennung der innewohnenden Chancen.

Ebensowenig stimmt es, dass "Begeisterung für das eigene Fach" gute Lehrkräfte ausmachen würde. Ganz im Gegenteil zeigt die supervisorische Erfahrung, dass derartige Euphorien generell eher auf der Beziehungsebene trennende Faktoren darstellen. Was eine "gute" Lehrkraft ausmacht, ist ihre Fähigkeit, mit Einzelnen wie auch mit der Gesamtheit ihres "Publikums" in einer kontinuierlichen Beziehung von Achtsamkeit und Wertschätzung zu leben - unabhängig von der jeweiligen Didaktik der Wissensvermittlung -, hohe Einfühlsamkeit in Detailbereiche von Jugendtrends und - Verzicht auf Dominanzgesten.

Vergessene Beziehungsarbeit

In der von mir entwickelten Unterrichtsform PROvokativpädagogik /PROvokativmethodik (ab März 2015 wieder in der Originalform als Masterstudium, diesmal an der Uni for Life der Universität Graz) wird gleichsam dem Klavierspiel mit der rechten Hand die Hauptmelodie - die Wissensvermittlung - angeboten; dafür sind Lehrkräfte gut vorbereitet. Mit der linken Hand hingegen wird quasi als Rhythmik und Untermalung fachlich fundierte Beziehungsarbeit geleistet. Das bedeutet: Aggression oder Depression nicht wie üblich mit Aggression oder anderen Negativkonsequenzen zu beantworten, sondern mit (tendenzfreiem!) Humor oder respektvollem Ernstnehmen. Das braucht spezifische Kenntnisse und Methoden und Anerkennung für die Pädagogenschaft, die diesen "beidhändigen" Kontakt wagt. Ihn an Sozialarbeiter oder Schulpsychologen weg zu delegieren beweist nur naive Unkenntnis über die Qualifikationen in diesen Berufen: es braucht Erweiterung der beruflichen Unterrichtskompetenz von Lehrkräften und die gehört daher an Pädagogische Hochschulen - nicht an Universitäten! Dorthin gehören die Begleitforschungen und deren Know-how.

Es gilt diesen vernachlässigten "linken Zugang" aufzubauen, denn der ist der, der vom Herzen kommt.

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