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Demokratie in der Schule und ihre Widerhaken

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Erziehung zum demokratischen Staatsbürger ist eine gewichtige Forderung. Die Art aber, wie man in weiten Kreisen Erziehung zur Demokratie verstehen will, ist bedenklich.

Will man einen jungen Menschen zum Baumeister ausbilden, so geschieht dies nicht dadurch, daß man ihn ein gebrauchsfertiges Gebäude errichten läßt. Soll er Arzt werden, so läßt man ihn nicht „übungsweise” eine Operation am lebendigen Menschen ausführen. Ebensowenig kann man ihn auf eine analoge Art zum Demokraten erziehen. Auch dabei ist der Schüler überfordert und daher ist ihm im tiefsten Innern unbehaglich zumute.

Anläßlich des Symposiums „Familie und Schule - Erziehung zum Streß” im November 1976 in Graz bezeichnet Univ.-Prof. Emst Pakesch die Verunsicherung von Lehrern und Eltern in bezug auf die richtige Erziehung als Hauptursache der steigenden Zahl von psycho-somatisch kranken Kindern in der Schule. „Der autoritäre Lehrer oder Vater war ein zwar bekämpftes, aber anerkanntes Leitbild. Ein verunsicherter Lehrer oder Vater überfordert das Kind dagegen weit stärker.”

Das scheint auf den ersten Blick nicht einleuchtend. Man sollte meinen, daß ein Lehrer „mit Autorität” seinen Willen so durchsetzt, daß der junge Mensch darunter leidet. Doch in Wirklichkeit liegen die Dinge anders.

Ein unsicherer Lehrer läßt die freie „Entfaltung” zu. In der Klasse spielen sich Machtkämpfe ab. Sieger wird der körperlich Stärkste oder wer sich sonstwie den meisten Einfluß verschaffen kann. Seine Macht will er verteidigen, auch gegenüber dem Lehrer. Dafür will er auch seine Anhängerschaft mobilisieren. Unter diesem ständigen Gerangel leidet ein Großteil der Klasse. Dann will der Lehrer durchgreifen. Man glaubt aber nicht mehr an seine Konsequenz. Er hat von Amts wegen auch keine Mittel, in den Prozeß einzugreifen: die Schüler wissen das.

Der Lehrer wird nervös, er beginnt zu poltern, der Unterricht wird verkrampft. Die Schüler sind enttäuscht; sie sind die Betrogenen, es fehlt ihnen die starke Führung, die ihnen Grenzen setzt. Nur wenn feststeht, daß die oberste Instanz der Lehrer ist, kann man sich anderen Problemen, dem eigentlichen Zweck der Schule, zuwenden.

Erst wenn der Lehrer sicher und selbstverständlich als der „Herr im Hause” dasteht, kann er von seiner Macht „zu Lehen” abgeben. Nur ein in seiner Position gefestigter Lehrer kann großzügig sein, und nur ein solcher Lehrer kann Befugnisse in der Weise abtreten, daß die Schüler sie nicht mißbrauchen.

Denen, die alles demokratisieren wollen, mag diese Feststellung ein Dorn im Auge sein. Demokratie in der Schule über den Kopf des Lehrers hinweg etablieren zu wollen, bedeutet, Kampf in die Schule zu tragen: Wahlkampf, Kampf um Positionen, ewig fortschreitender Kampf um immer neue Zugeständnisse.

Darum kann Demokratie in der Schule keine Kopie der staatlichen Demokratie sein. Je sicherer der Lehrer die Fäden in seiner Hand hält, um so demokratischer kann er das Schulleben gestellten. Aber nicht Demokratie von Schülers Gnaden; der Lehrer muß wissen, wieviel er davon gewähren kann, und wieviel er davon bei Mißbrauch zurücknehmen muß. Nur so sind die Schüler nicht belastet und nicht frustriert.

Es kann sein, daß ein Lehrer, der längere Zeit an einer Schule1 unterrichtet, die kampfbereite Haltung der Schüler nicht zu spüren bekommt. Der Lehrer hat sich einen Ruf als qualifizierte Erzieherpersönlichkeit erworben, er ist „etabliert”. Durch Erfahrungsaustausch unter den Schülern wissen diese, wie sie sich bei ihm zu verhalten haben. Dieser Lehrer hat keine Schwierigkeiten.

Ganz anders in vielen Fällen der junge, unerfahrene und unbekannte Lehrer. Bei ihm probieren die Schüler ihr ganzes Repertoire an Einfällen aus, um ihn zur Strecke zu bringen. Dabei bringt der Junglehrer meist einen Idealismus mit, der Besseres verdiente. Er hat bei Besuchslehrern (hoffentlich) gesehen, wie freundlich und kollegial diese mit den Kindern arbeiten.

Wenn dem jungen Lehrer dies nicht gelingt, zweifelt er an sich selbst. Nün versucht er es, zu spät, mit Strenge. Er hat bereits sein Gesicht verloren, sodaß auch Härte nicht die beabsichtigte Wirkung hat.

Die Lehrer auf der Pädagogischen Akademie aber wundern sich, daß die Junglehrer, kaum daß sie die Akademie verlassen, sich so autoritär verhalten. Sie schreiben das dem Einfluß der älteren Kollegen zu, die die jungen Idealisten verdürben. Sind aber die Junglehrer vorbereitet auf das, was sie in der Sc hui Wirklichkeit erwartet?

Ein Ratschlag der älteren Lehrer lautete bisher: „Zuerst muß der Lehrer streng sein, nachlassen kann er immer noch.” Die Brauchbarkeit dieser Anweisung beruht auf der Tatsache, daß der Lehrer die Klasse zuerst in seine Hand bekommen muß, dann erst kann er seine pädagogischen Ideale zu verwirklichen suchen.

(Die Autorin ist Hauptschullehrerin in Aigen im Mühlviertel. Sie wird in den kommenden Nummern noch weitere Schulprobleme unkonventionell aufgreifen.)

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