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Die Herausforderung heißt verzichten zu lernen

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Wir brauchen dringend eine Umwertung der Erziehung. Wenn das nicht stattfindet, dann haben Lehrer, Schüler, ja unsere ganze Lebensqualität nur sehr begrenzte Zukünftsaussichten.

Konkret: Diese Umwertung bedeutet eine andere Haltung mit neuen Schwerpunkten: • Der Lehrer muß viel mehr geachtet sein. Heute beten wir materiellen Erfolg an. Hier können wir vom antiken Athen lernen. Warum war dort die Kultur so vital? Warum lebt heute noch der griechische Geist? Einer der Gründe ist, daß dort Lehrer im Mittelpunkt standen. Er wurde höher geachtet als der Kaufmann.

• Die Schule muß viel „dramatischer“ werden. „Theater“ sollte eine Vorzugsstellung einnehmen. Können wir nicht ungeheuer viel lernen, wenn wir Theater spielen oder wenn wir versuchen, Stücke zu schreiben? Die Langeweile und Passivität der Schule machen echtes Lernen, das auf Erlebnis beruht, unmöglich.

• Das Fundament der Schule muß eine menschliche Atmosphäre sein - das Gegenteil von der „flachen, nivellierenden, abstumpfenden, poesielosen Drillanstalt“, die Thomas Mann beschreibt. Eine menschliche Schule bedeutet, daß jeder Schüler geschätzt wird, daß zwischen Schüler und Lehrer eine echte Partnerschaft besteht, daß das Musische gefördert und die Schule zum Katalysator für moralischen Fortschritt wird. In einer solchen Schule wird niemand gedemütigt; Angst und Entfrem-dung sind in ihr unbekannt, Schü-.. ler und Lehrer sind vereint durch einen schöpferischen Lebensstil.

• Wir müssen lernen, Theorie in die Praxis umzusetzen. Der sogenannte gebildete Mensch ist meistens kein Vorbild, was sein Verhalten betrifft. Oft ist er arrogant und viel zu sehr von sich selbst eingenommen. Bildung muß durch die soziale Tat und durch das Engagement für den anderen verifiziert werden.

• Wir brauchen eine neue Demut seitens des Lehrers. In gewisser Hinsicht sind wir alle Lehrer, ob wir in der Schule wirken oder in der Familie. Hat nicht schon So-krates betont, wie wichtig es für uns ist, zu begreifen, daß wir nichts wissen. Weg dann mit jeder Form von Herablassung! Weg mit dem Akademiker-Dünkel! • Die Fähigkeit zur Zusammenarbeit ist Teil der Erziehung. Die konventionelle Schule bewirkt das Gegenteil und führt zu einem menschlichen Dschungel. Gemeinschaft ist ein Aspekt der seelischen Gesundheit. Isolierung -wie Alfred Adler immer wieder sagte - führt meistens zu Neurosen. Wieviel könnten wir da von Pestalozzi lernen!

• Wir spielen zuwenig - als Kinder und als Erwachsene, in der Schule und im Alltag. Wie weise Fröbel doch war, der unterstrich, daß das Spiel eine Methode der Befreiung und ein Weg zur Kreativität ist! Wenn ich an einen kinderfreundlichen Menschen denke, denke ich an Fröbel, der Kinder liebte und sie zu begeistern verstand. Wie anders die meisten Pädagogen unserer Zeit!

Wenn wir wieder spielen lernen, dann werden wir schöpferischer werden. Wir werden entspannt sein. Wir werden mehr Freude empfinden und sicher werden wir Kinder mehr schätzen.

• Eine einfache Schule ist die beste Schule. Wir denken oft, daß die Schule luxuriös sein soll. In den USA habe ich Schulen gesehen, die jeden Komfort hatten: großartige Turnhallen und Spielplätze und die besten audio-visu-ellen Apparate. In der Tat, diese Schulen waren wie Luxushotels, und doch war ihre menschliche Atmosphäre oft deprimierend. keinerlei Gefühl der Ant'eühahme am Schicksal der weniger Begüterten förderten.

Die Herausforderung für uns alle heißt: Verzichten zu lernen. Wenn wir das nicht tun, dann werden wir unseren Bedürfnissen ausgeüefert sein. Wir werden verarmen, weil wir jeden Tag ein neues Bedürfnis entdecken, und das führt schließlich zu einem neurotischen Leben.

(Vorabdruck aus: Füxeinander dasein. Kinder, Familie, Gesellschaft - Gemeinschaft oder Chaos. Herold-Verlag, Wien, 1979, 174 Seiten, öS 150,-)

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