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„Die Erziehung der Eltern verbessern”

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In Nummer 18/1972 der „Furche” schrieb Hans-Peter Korn über die nach wie vor existierenden Bildungsprivilegien („Begabte verhungern intellektuell”), die vor allem von der Statistik gestützt sind, wonach nur 8 Prozent aller Hochschulstudenten aus Arbeiterfamilien stammen. Heute nimmt Heinz Hausner, Eisenstadt, zu Korns Thesen Stellung:

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In Nummer 18/1972 der „Furche” schrieb Hans-Peter Korn über die nach wie vor existierenden Bildungsprivilegien („Begabte verhungern intellektuell”), die vor allem von der Statistik gestützt sind, wonach nur 8 Prozent aller Hochschulstudenten aus Arbeiterfamilien stammen. Heute nimmt Heinz Hausner, Eisenstadt, zu Korns Thesen Stellung:

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Viele Schlagworte vernebeln die Realitäten. Da wäre einmal festzustellen: Wer ist begabt? Begabung ist etwas, was jeder Mensch von Natur aus hat, das heißt, bereits vom Zeitpunkt seiner Geburt mitbringt in sein Leben, etwas, was ihm nicht von außen gegeben werden kann, etwas, was nicht nur — aber sicher auch mit Vererbung zu tun hat. Begabung kann also nicht erworben werden — aber sie kann unterdrückt werden, verschüttet durch eine falsche Erziehung. Diese falsche Erziehung wird nicht bewußt falsch sein (welche Eltern wollen schon ihre Kinder bewußt falsch erziehen?), sondern in-

Diskussion folge Unwissenheit der Eltern, zuwenig Überlegung, zuwenig Geduld, zuwenig Einfühlungsvermögen in den kindlichen Geist, zuwenig Bildung der Eltern, gewissermaßen am Rande, ganz unbewußt entstehen.

Wenn man die Fragen eines Kindes nicht seinem jeweiligen Verständnis entsprechend zu beantworten weiß, wenn man die Fragen nicht beantworten will, weil einem deren Beantwortung peinlich erscheint, wenn man gleiche Fragen zu verschiedenen Zeitpunkten verschieden beantwortet, oder wenn der Vater eine Frage anders behandelt als die Mutter, wird das Kind kein Vertrauen zur Umwelt gewinnen, dann wird es aufhören zu fragen.

Wenn man einem Kind kein Spielzeug gibt, aus dem es nach seiner Phantasie selbst etwas formen kann, wenn die Eigeninitiative des Kindes nicht vom ersten Lebensjahr an gefördert wird, wenn dem Willen des Kindes nie entsprochen wird oder umgekehrt immer nachgegeben wird, werden die schöpferischen Fähigkeiten des Kindes unterdrückt.

Wenn man dem Kind nicht möglichst viele Eindrücke vermittelt, wenn man dem Kind nicht erklärt, daß manche Fragen nicht eindeutig beantwortet werden können, sondern nur nach dem Standpunkt, den man gerade einnimmt, wenn man immer nur verallgemeinernd fixiert, anstatt mehrere Möglichkeiten aufzuzeigen und offenzulassen für die Phantasie und die eigene Überlegung des Kindes, dann wird das Kind einseitig und eingeengt erzogen.

Prozeß über Generationen

Alle diese aufgezeigten möglichen Erziehungsfehler werden aber nicht von der „Klassengesellschaft” (was ebenfalls eine Novelle des Familien-lastenausgleichgesetzes notwendig ist. Wer nun glaubt, daß beide Materien in einem Aufwaschen behandelt werden, hat sich geirrt. Um das peinliche Begutachtungsverfahren für die Schulbuchpläne zu umgehen, wird sich die Novelle nur auf die Verbesserung der Schulfahrtbeihilfen konzentrieren, die Gesetzmäßigkeit der „Wegwerfschulbücher” soll ist denn das eigentlich?) gemacht, sondern von den Eltern. Von diesen um so häufiger, je weniger gebildet sie selbst sind.

Das alles sind mögliche Ursachen scheinbar fehlender Begabung, Ursachen, deren Folgen in der Schule nicht mehr generell revidiert werden können, nicht vom Lehrer und nicht vom Schulsystem — am allerwenigsten von dem der Gesamtschule.

Wirken doch alle diese Ursachen auch während der Schulzeit solange fort, wie das Kind in der häuslichen Gemeinschaft mit den Eltern lebt.' Auch der beste Lehrer kann nichts ausrichten gegen eine falsche Erziehung im Elternhaus.

Chancengleichheit kann nur vom materiellen Standpunkt gegeben werden, niemals auf geistiger Ebene, die ein Ergebnis der geistigen Erziehung durch die Eltern — und erst später durch den Lehrer ist. Die geistige Entwicklung des Menschen ist

ändert: Vorzug hat das, was leicht geht. Mit der angekündigten „schöpferischen Pause” ist auch die Tatsache zu entschuldigen, daß man nicht genau weiß, wo und wie man die 1,4 Millionen Schüler im nächsten Schuljahr unterbringen soll. Es wird probiert: Die Schulreform ist in den Hintergrund getreten, alle anderen Reformen vegetieren im Untergrund.

Ein Prozeß, der über Generationen dauert und nie aufhört, der aber durch Schlagworte und leeres Gerede ohne greif- und verstehbaren realen Inhalt immer nur gehemmt, nie gefördert werden kann.

Es gibt bei der Verschiedenartigkeit der Menschen und ihrer Anlagen im geistigen Bereich keine (geistige) Chancengleichheit. Diese auch nur zu fordern ist daher Unsinn. Zu behaupten, daß eine materielle Chancengleichheit in Österreich noch nicht gegeben sei, wäre wohl Lüge. Jeder hat die materielle Möglichkeit, eine allgemeinbildende höhere Schule und anschließend eine Hochschule zu besuchen. Schulgeld, Fahrtkosten, Kosten der Lehrmittel trägt bereits der Steuerzahler. Stipendien ermöglichen es, während der Lernzeit den Lebensunterhalt materiell zu bestreiten.

Was fehlt, sind die Begabten, nicht die Begabten von Geburt, sondern die Begabungen, die nach einer mangelhaften elterlichen Erziehung übrig bleiben. Dazu wäre es notwendig, den jungen Eltern von heute Leitbilder und Zielvorstellungen zu geben, die in der Gegenwart Gültigkeit haben.

Die Erziehung durch die Eltern müßte verbessert werden, nicht materiell, sondern geistig! Dazu ist aber noch nicht einmal ein Ansatz erkennbar. Und wenn damit begonnen werden wird, muß es zwei bis drei Generationen dauern, bis ein sichtbarer Erfolg eintritt. Nicht, weil irgend jemand „Privilegien” verteidigt, sondern weil naturgemäß die Steigerung der geistigen Kapazität eines Volkes Generationen dauert. Materielle Werte können, wenn die Notwendigkeit gegeben ist, fast beliebig vermehrt werden, geistige Werte lassen sich nur sehr langsam, einem natürlichen Prozeß folgend, steigern.

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