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Der entrechtete Lehrer

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Gewaltig sind die Opfer, die die österreichische Bevölkerung für den Ausbau unseres Schulwesens zu leisten bereit ist. Daher hat sie auch einen Anspruch darauf, von dem großen Unbehagen zu erfahren, von dem die Lehrer angesichts der Entwicklung ihres Berufsstandes befallen sind; eine Entwicklung, die diese Opfer weitgehend um ihre Früchte bringen kann.

Durch die Vernichtung des demokratischen, autonomen Schulauf-sichtssystems hat man die Lehrer ihres uralten demokratischen Mitbestimmungsrechtes in ihren Angelegenheiten beraubt. Rechte, die die konstitutionelle Monarchie legalisiert hat, die in der Ersten Republik gefestigt, 1945 aber verhindert wurden, wurden 1962 einfach aufgehoben. Unter der Devise „Demokratisierung des Schulwesens“ hat man die Bildung der Kollegien der Landesschulräte und der Bezirksschulräte den politischen Parteien überantwortet, die in Hinkunft auch die „Lehrervertreter“ ernennen. Durch diese Politisierung der Schulaufsicht ist der Lehrer weitgehend vom Stimmverhältnis der Parteien im Landtag abhängig geworden, und seine Aussichten, bei Stellenbesetzungen berücksichtigt zu werden, hängen vorwiegend davon ab, wie weit er sich der politischen Situation anpaßt. Sie sind besonders günstig, wenn er sich jener stimmstarken Partei zuwendet, die im Lehrerstand weniger stark vertreten ist. Erst wenn sich die Lehrerschaft soweit der gegebenen politischen Situation anpaßt, daß sich die Lehrer proportional zur Stimmkraft der verschiedenen politischen Parteien auf diese aufteilen, werden für den einzelnen die Aussichten wieder gleichwertig.

Wohin soll das aber in der demokratischen und staatsbürgerlichen Erziehung der Jugend führen, da hier doch weniger Kenntnisse als die Beispiele wirken? Die Lehre in der Schule — vorgetragen von solchen, die selbst ihrer demokratischen Rechte beraubt sind — gerät in eine aussichtslose, ja lächerliche Lage, zumal wenn sie unter Umständen gegen die vorgelebten Tatsachen unterrichtet.

Die Versuchung zu einem Gesinnungsopfer gewinnt an Macht durch die fortschreitende Verbeam-tung des Lehrers, der in der Abhängigkeit seiner Denkrichtung ein billigerweise von ihm zu erwartendes Äquivalent für seine Bezahlung vorgeben kann.

Der aus der Zeit des Amtskappelstaates stammende hierarchische Aufbau unserer Schulverwaltung ist über dem wirklich unterrichtenden Lehrer zu einem gewaltigen bürokratischen Apparat angewachsen. Zu den Landes- und Bezirksschulinspektoren kamen Fachinspektoren, kamen eine Unzahl von Referenten — alle weitgehend vom eigentlichen Unterricht befreit —, die ebenfalls Einfluß auf die Tätigkeit des Lehrers ausüben. Pädagogische, didaktische Bestrebungen — früher vorwiegend der Initiative des einzelnen Lehrers und den freien Lehrerorganisationen überlassen — womöglich der günstigen politischen Situation — wird in Zukunft (nach dem neuen Schulgesetz) über seine „Untergebenen“ auch eine Dienstbeschreibung liefern. Für diese Tätigkeit und zur Aufrechterhaltung des pädagogischen Betriebes wird er nun auch weitgehend vom Unterricht befreit.

Auf der untersten Stufe dieser Hierarchie steht nun der einfache Lehrer, der den Lehrberuf wirklich ausübt, der auch die Last des Unterrichtes zu tragen hat. Ja, er wird diese Last im verstärkten Maße zu tragen haben, da er immer mehr zur Leistung von Überstunden verhalten wird. Der Volksschullehrer der untersten Stufe wird davon besonders ungünstig betroffen. Für ihn wird nicht — wie dies bisher üblich war — mit der Führung einer Klasse die Lehrverpflichtung erfüllt sein, er wird künftig für seinen Leiter unbezahlte Überstunden zu leisten haben.

Er wird entweder Beamter und überläßt die Sinnfrage der vorgesetzten Behörde. Zwischen seinem privaten Tun und seinem öffentlichen Geschäft zieht er eine saubere Grenze. Für ihn gilt: sich anpassen oder resignieren. Was wird aber aus der Überzeugungskraft seines Wirkens?

Oder er sucht dem Druck des Apparates auf seine Lehrtätigkeit dadurch zu entgehen, daß er sein Berufsideal aufgibt und auch in den Apparat — zumindest als Leiter einer mehrklassigen Schule — strebt. Dafür ist er dann häufig bereit, einstweilen alle seine zusammengerafften Kräfte, aber auch die seiner Schüler und deren Eltern einzusetzen. Er tut alles für eine günstige Optik.

Der junge Lehrer flieht manchmal überhaupt aus dem Beruf, dank der Möglichkeiten seiner vielseitigeren Ausbildung.

Es kann aber auch sein, daß der Lehrer voll unerschütterlicher Berufsauffassung weiterwirkt. Wenn er dabei voll Hingabe auf alle herangetragenen Anregungen eingeht, kann es wohl sein, daß er vorzeitig einem Herzinfarkt erliegt, oder aber die Behandlung durch einen Nervenarzt nötig hat.

Zusammenfassend können als Ursachen des Unbehagens der Lehrer aufgezählt werden: ihre Entrechtung, die Politisierung der Schulaufsicht, der Mißtrauenserweis gegen ihre Arbeit durch die zunehmende Überwachung, der wachsende Dirigismus, die fortschreitende Verbeamtung des Berufes, die Flucht so vieler vor der Unterrichtstätigkeit, die Unglaub-würdigkeit der aufmunternden Berufsbegeisterung jener, die selbst dem Unterrichten entflohen sind.

Der österreichische Vater wird nun vielleicht voll Sorge fragen, warum die Lehrer selbst dieser Entwicklung tatenlos zusehen. Ihm sei die Lektüre des ■ Artikels „Kollege Ländervertreter“ („Furche“ Nummer 6/1964, Querschnitte) empfohlen.

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