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Die Sdiulbüchermisere an den Mittelschulen

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Im folgenden ergreift ein Fachmann das Wort zu Mängeln im österreichischen Schulbücherwesen, für die er in erster Linie die Monopolisierung des Fachverlagswesens verantwortlich macht. Eine Fortsetzung der Diskussion wäre im Interesse einer baldigen und vernünftigen Lösung der wichtigen Frage erwünscht.

„Die Österreichische Furche* An dieser Stelle wurden in letzter Zeit immer wieder in ernster, ja gegebenenfalls scharfer Rede Mängel im Schulwesen aufgezeigt, die geeignet sind, den Ruf unserer Schulen zu gefährden. Bei allem Verständnis für die Schwierigkeiten, mit denen die Verantwortlichen an den zuständigen Stellen heutzutage zu kämpfen haben, ist das Aufzeigen verschiedener Mißstände am Platze, wenn diese Kritik einer Sorge um das österreichische Schulwesen entspringt und einer Liebe zur Schule und zur Jugend, wie man sie aus allen in der „Furche“ veröffentlichten Aufsätzen trotz ihrer Schärfe verspüren konnte.

In einem Bundesland unseres Vaterlandes wurde im Vergangenen Schuljahr eine Niveauerhebung bei den Mittelschülern der achten Klassen durchgeführt, die bei allen anerkennenswerten Leistungen leider auch ernste Mängel aufzeigten. Ein Teil der unbefriedigenden Leistungen ist nun nach Ansicht vieler Beteiligter auch auf die Schulbücherlage in den Nachkriegsjahren zurückzuführen. Das Schulbücherwesen in Österreich ist eine Monopolangelegenheit einiger weniger Verlage geworden, die dadurch hauptsächlich für die Schulbüchermisere verantwortlich sind. Es ist der Lehrerschaft und den Eltern unverständlich, daß es nach mehr als sechs Jahren seit der Wiedererrichtung des österreichischen Schulwesens nicht möglich ist, nun für alle Fächer und Klassen die entsprechenden Schulbücher in gewünschter Art und Anzahl zu schaffen. Wenn man schon die Schwierigkeiten auf dem Gebiete der Geschichtsbücher in der jetzigen Lage Österreichs anerkennt, so kann man dieselbe Entschuldigung kaum auch für andere Fächer gelten lassen.

Von den Lesebüchern sind die für die Obermittelschule — sicherlich eine ebenso heikle Angelegenheit wie die der Geschichtsbücher — schon länger erschienen, während die für die Unterklassen — eine leichter lösbare Aufgabe — immer noch nicht für alle Klassen erhältlich sind. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß die Lesebücher für die Obermittelschule befriedigen. Sie bieten jedoch viel, wenn sie auch sehr teuer sind. Dasselbe kann man leider vom „Leitfaden für Literaturgeschichte“ kaum sagen. Er bietet eine Unmenge von Namen, die nur das Gedächtnis des Schülers belasten. Erklärlich, aber nicht entschuldbar ist diese Uberladenheit durch den Lehrplan für Unterrichtssprache, Oberstufe, der dieses Fach gegenüber den früheren Lehrplänen bei gleichbleibender oder verringerter Stundenzahl mit der Literatur der anderen Völker belastet; eine Aufgabe, die eigentlich den fremdsprachigen Fächern der Mittelschule zustünde. Wer nun glaubt, daß die Lesebücher für Unterklassen, deren zweiter Band nach verschiedenen Ankündigungen vor einem Jahr und im vergangenen Frühjahr endlich erschienen ist, befriedigen, täuscht sich gewaltig. Wenn der Lehrplan dem Lehrer vorschreibt, den jungen Menschen beizubringen, daß sie sich schriftlich und mündlich einfach und wahr ausdrücken sollen, so bringt das Lesebuch, zweiter Band, zum Beispiel einzelne Lesestücke (darunter besonders eines von Ferdinand Kürenberger), die dieser Forderung wahrlich Hohn sprechen. Dieses Lesebuch, das so lange auf sich warten ließ, ist außerdem in seinen Anmerkungen nicht besser als viele bisher für Schüler approbierte Bücher. Unter den Anmerkungen für Balladen finden wir für die „Bürgschaft“ Dionysos, für „Das Grab am Busento“ Alarich besprochen, obwohl das im Grunde Geschichtsstoff ist. Dann aber wird „Belsazar“ nicht näher erklärt, sondern wir finden nur die Bemerkung: „Belsazar. Von Heinrich Heine (geb. 1799 in Düsseldorf, gest. 1856 in Paris) haben wir viele Gedichte.“ „Belsazar“ ist sicher vielen Buben bei der religiösen Entfremdung der Zeit nicht geläufig. An anderer Stelle finden wir dann folgende Anmerkung: „Hochsommernacht. Martin Greif (geb. 1839 in Speyer, Rheingau, gest. 1911 in Kufstein) schrieb schöne Gedichte.“ Solche „Erklärungen“ sind nicht das Papier wert, das sie verbrauchen. Oder sollen diese Anmerkungen dem Lehrer dienen? Die erste Auflage des Geschichtsbuches für die fünfte Klasse zeigt, daß ganze Stellen von Rostovtzeffs „Geschichte der alten Welt“ übernommen wurden, ohne daß dies durch Anführungszeichen oder aus der Quellenangabe ersichtlich wird (Seite 124/125). Andere Lehrbücher entsprechen trotz Neuauflage noch lange nicht den Anforderungen, die die Lehrer mit Recht stellen. Ich verweise auf die Englischlehrbücher.

Zu diesen Mängeln kommt aber noch ein besonderer Mißstand: die Lehrbücher erscheinen nicht zeitgerecht. Das Geschichtslehrbuch für die zweite Klasse kommt erst in einigen Wochen heraus. In manchen Bundesländern ist es nun Pflicht, Lehrstoffbogen zu Beginn des Schuljahrs auszufüllen. Das ist nur möglich, wenn man das Lehrbuch zur Hand hat; in Geschichte beispielsweise muß man feststellen, welche Hauptereignisse darin besonders behandelt sind, um den eigenen Vortrag danach einzurichten. Erscheint das Lehrbuch selbst erst später, so muß der Lehrer während des Jahres die Arbeit nochmals machen, er muß neu planen, da manchenorts die Anweisung besteht, daß approbierte Lehrbücher verwendet werden müssen; ein Mitschreiben oder Schreiben des Schülers nach Diktat ist unerwünscht, ja sogar verboten. (Bis zum Erscheinen des Lehrbuches läßt sich dies natürlich schwer umgehen.) Erscheint aber ein Lehrbuch, so ist damit noch nicht gesagt, daß eine genügende Anzahl der Bücher vorhanden ist. Ein Beispiel dafür bietet wieder der zweite Band des Lesebuches (aber auch die Neuauflage des ersten Bandes), der in der Provinz im September wegen Auslieferungsverzögerungen nicht genügend auflag und erst wieder seit Ende Oktober erhältlich ist.

überdies hatte die Sektion der Schul-bücherverlage beschlossen, die Schulbücher heuer nur gegen Sofortzahlung zu liefern, so daß sich weniger kaufkräftige Buchhändler in der Provinz nicht genügend eindecken konnten. Eine Stellungnahme gegen den Beschluß der Sektion erscheint vielen nicht opportun, da man befürchtet, daß die Verlage unter Umständen dann unter Umgehung der Buchhändler direkt an die Schulen liefern, und damit dem an sich finanziell schon arg daniederliegenden Buchhandel auch noch dieses, wenn auch teilweise mit Risiken (bei Neuauflagen und Neudrucken) verbundene Geschäft nehmen. Die Lieferung von Freiexemplaren für mittellose Schüler, die heute, bei der Teuerung der Schulbücher und der Notlage vieler Familien, nötiger denn je wären, ist schon lange verboten.

Nur der beamtete Lehrer bekommt noch, nach Erfüllung umständlicher Bedingungen, sein Handexemplar.

All diese Mängel sind hauptsächlich auf die Monopolisierung des Schulbücherwesens zurückzuführen. Eine Dezentralisation und der freie Wettbewerb auch in diesem Wirtschaftszweig würde vielleicht nicht nur durch die Konkurrenz die Preise drücken, sondern auch die einzelnen Verlage zu sorgfältigerer Arbeit und zu rascherer Erledigung zwingen. Ein Geschäft, das einem nicht entgehen kann, bringt es mit sich, daß man nicht alles daransetzt, die notwendige Auflage rechtzeitig fertigzustellen, den Inhalt sorgfältig zu überprüfen usw. Auch die Herausgeber würden dann ihre Ausgaben genauer überprüfen, ehe sie das Werk aus der Hand geben, wenn sie Konkurrenz zu fürchten haben.

Die unter diesen Verhältnissen Leidenden sind die Lehrer, Schüler und nicht zuletzt auch die Eltern. Vorbildliche Leistungen in der Schule von Seiten der Lehrer und Schüler hängen zum Großteil vqn dem Werkzeug ab, das zur

Verfügung steht; dazu gehören eben auch die Lehrbücher. Im freien Wettbewerb wurden diese wieder so ausgezeichnet werden, wie sie einst waren. Die Hauptstadt Wien muß den freien Wettbewerb mit den Provinzländern zulassen; auch die Fachleute in der Provinz müssen die Möglichkeit haben, bei Verlagen in der Provinz Schulbücher mit der Approbation des Unterrichtsministeriums herauszugeben, die dadurch für alle Bundesländer zugelassen sind.

Die Zentralisation in Österreich darf nicht so weit gehen, daß mit Hilfe des Staates die Freiheit des Staatsbürgers eingeschränkt wird und das Wirken in der Provinz, zumindest auf diesem Gebiet, als zweitrangige Leistung gilt. Angebot und Wahl dürfen hier weder offen noch versteckt gelenkt werden. Bei Reformfragen wird auf dem Schulsektor immer wieder auf Amerika hingewiesen, auch auf Gebieten, die wir schon aus Mangel an Geld nicht berücksichtigen können. Hier wäre ein Gebiet, das wir nachahmen könnten: die Freiheit würde die Leistungen heben, und wir könnten die Anerkennung des Auslandes erringen.

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