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Eine Schule - rund um das Buch aufgebaut

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Schule ist ein Politikum; sie ist es immer gewesen. Es ist gut, die Ideologie des anderen aufzuzeigen, wenn man die eigene nicht verschweigt.

Mag sein, daß extreme Schulreformer mit der Parole ausziehen, die Klassengegensätze auszugleichen -die Grundidee der Gesamtschule ist es sicher nicht! Wie könnten sonst die eher liberalen USA nie etwas anderes gekannt haben als die Gesamtschule? Sollte diese Parole in den marxistischen Ländern die Zielsetzung der Gesamtschulgründung gewesen sein, dann sind sie der beste Beweis, daß Schule hiefür ein untaugliches Instrument ist. Uber die Schule eine neue Gesellschaft schaffen zu wollen, muß ein utopischer Ansatz bleiben. Was die Schule kann, ist, vorgefundene Strukturen zu reproduzieren.

Dies aber ist die eigentliche Frage an das mit scharfen Ausleseinstrumenten durchsetzte Schulsystem der Pflichtschulzeit: Werden nicht Sozialverhältnisse verewigt, die einem demokratischen Staatswesen auf dem Niveau einer modernen Industrienation unangemessen sind? Ihr Fortbestand ist an die Förderung der einschlägigen Leistungsdispositionen aller gebunden und nicht an die Auslese weniger.

Gegen die Auslese im Pflichtschulbereich spricht aber auch ein humanes Argument: Wenn die allgemeine Bildung der Wert an sich ist, als der er ständig gepriesen wird, dann sollte sie allen Interessierten angeboten werden - unabhängig von der Arbeitsmarktsituation.

Ohne Zweifel ist der Auseinandersetzungsprozeß mit der Kultur gleichzeitig immer auch ein Auskühlungsprozeß: bei vielen erlahmt das Interesse, andere leiden unter den Strapazen und beginnen, sie zu meiden. Diese indirekte Auslese ist nicht aufzuhalten; von der direkten Auslese aber möge sich eine demokratische Schule solange enthalten, wie sie nicht unmittelbare Berufsberechtigungen vergibt.

Wo die genetisch fixierten Grenzen der Bildungsbemühungen hegen, wird sich in jedem Einzelfall zeigen; ein gerechtes Schulsystem aber muß sich in gleicher Weise vor den Egali-sten und ihrem falschen Spiel mit dem Wort „Chancengleichheit“ hüten, das für eine einseitige Exekution namens „Nivellierung“ herhalten soll, wie sie sich vor den Elitisten zu hüten hat, die Begabungen als Barwerte nehmen, bis hin zur Vergöt-zung der klassenbildenden Abstammung.

Welch ein Monstrum von Unterrichtssituation, mag der Leser fragen, wird dem Lehrer bei den Zehn- bis Vierzehnjährigen zugedacht, wenn die Schülerschar in. der natürlichen Streuung beisammen bleiben soll, die Geburt und bisherige Erziehung bereitet haben? - Im Grunde genommen gar keine andere als die, in die sich der Volksschullehrer gestellt sieht.

Darüber hinaus aber muß zur Kenntnis genommen werden, wie sehr das didaktische Problem entschärft worden ist, seit jedem Kind in (beinahe) jedem Gegenstand ein Buch zur Verfügung steht. (Über einen ökonomischeren Vergabemodus möge noch nachgedacht werden!) Wenn der Lehrer Inhaber des Informationsmonopols sein muß, können Schulen gar nicht anders als rund um den Lehrer gebaut werden. Unter dieser Voraussetzung liegt es nahe, daß Schüler solange sortiert werden, bis ihre Auffassungskraft und das vorgegebene methodische Niveau des Lehrers einigermaßen synchron sind.

Das Schulbuch in der Hand eines jeden Kindes aber hat den Lehrer als Informationsträger entlastet und für mehr Erziehung freigemacht - insbesondere auch für mehr Sozialerzie-, hung. Schulen können nun rund um das Buch gebaut werden. Das Buch aber diktiert nicht, auf welcher Seite es aufgeschlagen werden, soll; wenn es methodisch einigermaßen klug gestaltet ist, findet jedes Kind die ihm adäquaten Aufgaben. Anstelle der Kinder sind also nun die Methoden sortiert worden...

Eine homogenisierte Schülerschar stellt für den Lehrer eine Art Alibi dar, für die Individualisierung des Unterrichts nichts mehr unternehmen zu müssen, es sei denn, die Zuweisung zum passenden Zug oder Kurs, was zumeist einer Abstufung gleichkommt und ein der Pädagogik artfremder Akt ist.

Ein Lehrer, der im Vertrauen auf das Buch und auf sonstige Medien die heterogene Schülerzusammensetzung bejaht, kann sich vorbehaltlos und ungestört dem pädagogischen Anspruch stellen. Er wird sich der Schwachen annehmen, weil es ihm gewissermaßen pädagogische Funktionslust bereitet, auch die Benachteiligten zu fördern. Im übrigen aber wird er sich vor der Versuchung hüten, die Schüler allzu sichtbar zu etikettieren oder gar zu separieren. Vielmehr wird er sooft als möglich ein gemeinsames Werk anstreben und dadurch die gegenseitige Wertschätzung begründen, die sich auf mehr Dimensionen der Schülerpersönlichkeit stützt, als sie durch den relativ schmalen Bereich der Schulleistung abgedeckt werden.

Eine Schule, die auf äußere Differenzierung (ob in Streams oder in Sets) verzichtet, kann in jedem Ort gegründet werden, in dem genügend Kinder geboren werden, um jährlich eine Klasse zu füllen. Sie bringt eine regionale Chancenverbesserung, weil sie in der Pflichtschulzeit gleiche Bedingungen für die Beschik-kung mit Lehrern schafft und an die Abschlußzeugnisse dieselben Berechtigungen knüpft.

Vier aufsteigende Klassen der Sekundarstufe I binden durch ihr Fachlehrersystem in der Regel sechs Lehrer, das heißt, es ist auch für die entsprechende Spezialisierung der Kulturvermittlung gesorgt. Schulen dieser Art sind somit in der Lage, den Trend zu monströsen Zentralschulen zu stoppen, deren Erziehungsprobleme vom exzessiven Fahrschü-ler(un)wesen über die Anonymität der großen Massen bis zum Vanda-lismus reichen.

Die Schule dieses Typs, die auf überflüssige und entfremdende Organisationsraster verzichtet, wird -und soll auch - nicht zentral dekretiert werden. (Seltsam, wie lange doch die Ideologie des Zentralismus in der Schule als einem der größten Dienstleistungsbetriebe in unserem Gemeinwesen fortwirken konnte, ohne als erratischer Block innerhalb des Systems der sozialen Marktwirtschaft entlarvt worden zu sein!)

Die solcherart „natürliche“ Gesamtschule soll der autonomen Entscheidung lokaler Gremien (Lehrer, Eltern, Kommunalverwaltung) anvertraut werden, womit ein erster großer Schritt getan wäre zur Verwirklichung von direkter und damit mehr Demokratie in der Schule.

(Der Verfasser ist Direktor der Pädagogischen Akademie der Diözese Linz. Ein erster Beitrag erschien in der FURCHE Nr. 22)

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