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Pädagogik statt Schulparagraphen

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Die Ergebnisse jahrelanger Schulversuche haben einen Scherbenhaufen hinterlassen. Hat die neue Unterrichtsministerin die Kraft, das Ruder noch herumzureißen?

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Die Ergebnisse jahrelanger Schulversuche haben einen Scherbenhaufen hinterlassen. Hat die neue Unterrichtsministerin die Kraft, das Ruder noch herumzureißen?

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Die Wende wird nicht von Politikern gemacht. Unabhängig von Wahlergebnissen, unabhängig von Regierungskoalitionen

wächst sie aus den Gehirnen und Herzen der Menschen. Politiker sind gut beraten, wenn sie nicht an ihr vorbeiregieren. Nicht viele von ihnen haben sie bisher begriffen, während feinere Nasen den

neuen Wind schon längst wittern: wie immer, im Harmlosen zuerst, in der Mode, im neuen Lebensgefühl der Jungen.

Wir Lehrer spüren sie auch. Unsere Schüler sind anders als vor zehn Jahren, die besseren wenigstens, die positiven, die, auf die es ankommt, in der Klasse und später im Leben.

Man schreibt wieder Gedichte, man malt, man musiziert, man ist spielerisch und schöpferisch auch mit einem Ding der Technik, mit dem Computer.

Wer ein Herz hat für Kinder, dem verraten sie auch geheimste Wünsche: anders zu sein, anders als die Macher von heute, als die Progressiven von gestern. „Autorität“, so lernen sie zwar, sei ein Minuswort, in Wahrheit aber wollen sie, daß wir sie nicht länger allein und ohne Vorbild lassen in einer schrecklichen Welt. Hat die Schule diese Wende zur Kenntnis genommen? Die Schul-

Politiker nicht. Sie drehen immer noch die Leier sogenannter Chancengleichheit, teils aus Unverstand, teils wissend, daß es Chancengleichheit für alle nur gibt, wenn — mathematisch exakt — jeder die Chance Null hat.

Ergebnisse jahrelanger Schulversuche sind ein pädagogischer Scherbenhaufen, vergeudetes Unterrichtsbudget und Kinder, die man um die Chance betrogen hat, zu lernen, was sie hätten lernen können.

„Begabungsförderung“ ist ein neues Wort, das manchen noch schrill ins Ohr klingt, und dennoch nehmen es auch sozialistische Unterrichtsminister aller Länder bei Sonntagsreden pfleglich in den Mund. Getan haben sie — in Österreich wenigstens — bisher nichts. Getan werden aber muß etwas. Oder wollen wir nicht nur Geld und Rohstoffe weiter vergeuden, sondern auch den wertvollsten Rohstoff Europas, die Begabung unserer Kinder?

Für manche Eltern liegt das Problem nicht so sehr bei den Kindern, vor allem nicht bei den eigenen, sondern bei den Lehrern. Gelegentlich mögen sie recht haben. Sie mögen aber nicht ungerecht sein und es nicht den Lehrern vorwerfen, die man in den siebziger Jahren als unfertige Studenten in die Schulen gezerrt hat, sondern den Politikern, die diese Büdungsexplosion mutwillig gezündet haben, nun aber achselzuckend konstatieren, ein Hoch-

schulstudium berechtige noch lange nicht zu einem adäquaten Beruf.

Die Eltern mögen es nicht den Lehrern vorwerfen, daß die Juristen sie in die Zwangsjacke der Paragraphen gesteckt haben. Für Schuljuristen ist der Schüler ein Verwaltungsakt, zu entscheiden hat nicht das Gewissen des Lehrers, sondern das Schulunterrichtsgesetz, kurz und kaltschnäuzig „SchUG“ genannt.

Blinde Meinung ist noch das mindeste, das man denen vorwerfen muß, welche die Schulklasse für den Klassenkampf umfunktioniert haben. Manche von ihnen, an den Hebeln des Establishments, wissen wohl, was sie tun, wenn sie mit anderen Hebeln gemeinsam, mit den Beißzangen des „Undergrounds“, einen Pädagogen zerquetschen, der sich an seiner Schule um Ordnung und Leistung bemüht.

Ordnung und Leistung

Wenn — wie kürzlich in Wien-Favoriten - ein Schüler, der seine Religionslehrerin in ordinärster Fäkalsprache beschimpft, gemäß Paragraph 47 SchUG dafür mit einer „Zurechtweisung“ davonkommt, der Direktor aber, dem in diesem Fall die Geduld eben doch gerissen ist, dafür über Nacht vom Dienst suspendiert wird, würden deswegen - wären wir in Frankreich -Väter und Mütter auf der Straße demonstrieren.

Wollen wir warten, bis den Lehrern Exkremente in die Betten depo-

niert werden? Man braucht nicht zu warten, es ist schon geschehen: vor kurzem auf einem Schikurs.

Wie lange wird es noch Lehrer, noch Schulleiter geben, die ihre Kragen riskieren, wenn sie, um Schwächere, vielleicht auch schwächere Schüler zu schützen, Rohlinge in die Schranken weisen?

Die Methoden, wie man Direktoren macht, geben wenig Anlaß zur Hoffnung. Das Parteibuch als erste, jeden Nichtbesitzer hoffnungslos ausschließende Qualifikation hat nach mehr als vier Jahrzehnten Zustände geschaffen, wie sie auch in totalitären Systemen perfekter nicht sein könnten. Zivilcourage an den leitenden Stellen im Schulwesen ist zum Einzelfall geworden und wird -siehe Wien-Favoriten — systemkonform behandelt.

Parteibuchwirtschaft gilt zwar

verbal schon als garstiges Ding und ist laut Helmut Zilk „zum Kotzen“, wird aber trotz allem Objektivierungs-„Gefasel“ weiter praktiziert: zum Schaden der Schule, zum Schaden der Schüler, zur Schande für Österreich.

Es ist ein Augiasstall, den Hilde Hawliczek nun betritt, wenn sie als Frau Minister am Minoriten-platz einzieht. Um ihn vor grauen Zeiten auszumisten, hat auch der Kraftkerl Heraklis weniger die Gewalt gebraucht als die List. Geduld und weibliche Klugheit könnten im stillen vielleicht auch in der Schule manches bessern.

Die Wende, sie mag einen freuen oder nicht, ist nicht aufzuhalten, nicht einmal mit Schulreformen. Sie bricht sich, stemmt man sich ihr entgegen, gewaltsam Bahn.

Wohl aber könnte man, soll nicht noch mehr kaputtgehen, Wildbäche kanalisieren, ablenken, lenken: in den durchaus nicht trägen, sondern munter strömenden Fluß einer kindgemäßen, leistungsfreudigen neuen Schule. Begabtenförderung, Pädagogik statt Paragraphen, Schluß mit dem Parteibuchlehrer — das wären einmal erste leise Schritte.

Unsere Kinder und auch die Lehrer, Frau Minister, würden es Ihnen danken! Enttäuscht worden sind wir schon oft genug.

Der Autor ist Bundesobmann des parteiunabhängigen Verbandes der Professoren Österreichs (VdPO) und Mitglied des Zentralausschusses für AHS-Lehrer.

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