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„ Diese Welt ist herzlos und kalt"

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DIEFURCHE: Herr Präsident, Ihre Kritik am Verhalten einzelner Lehrer ist teilweise sehr positiv aufgenommen worden - teilweise aber auch mit Kritik, besonders der Lehrerfunktionäre, KfRT SCHOLZ: Wir haben im Stadtschulrat für Wien Hunderte Briefe aus ganz Osterreich erhalten. Objektiv gesehen, haben wir 90 Prozent Zustimmung erhalten. Das bestätigt mir, daß dieses Thema ein Anliegen der am Schulleben Beteiligten ist.

Im Volksschulbereich gibt es große Zufriedenheit, auch in den Hauptschulen kaum Klagen. Mit Zunahme des Leistungsdrucks im höheren Schulwesen steigen die Sorgen. Das ist nicht überraschend. Was mich betroffen macht, ist, daß es über einzelne Lehrer über einige Jahre hinweg Klagen gibt und man nur bei Eltern, aber auch Lehrerkollegen anzutupfen braucht, um gleichlautende Einschätzungen aller Betroffenen zu erhalten.

DIEFURCHE: Gibt es Ihrer Meinung nach zu wenig Lehrerfortbildung? SCHOLZ: Ich war in dem Zusammenhang immer für eine verpflichtende Lehrerfortbildung. Aber das ist am Einspruch der Lehrerpersonalvertretung gescheitert. Nicht, daß 120.000 Lehrer(innen) verpflichtet wären, sich regelmäßig fortzubilden - dazu ist weder das Geld vorhanden noch die Organisation. Aber einzelne Lehrer müßten bei bestimmten Problemen dazu verpflichtet werden können.

Ungefähr 20 bis 25 Prozent der Lehrer(innen) bilden sich freiwillig regelmäßig wreiter, noch einmal 30 bis 40 Prozent fallweise. Und dann gibt es solche, die nie Fortbildungsveranstaltungen besuchen. Schon aus Gründen der Selbstachtung und Bücksicht-nahme auf Eltern und Schüler, muß ich als Schulbehörde sagen können: Dieser Kollege, diese Kollegin hat jahrelang Konflikte mit der Klasse. Wir verpflichten ihn/sie jetzt einmal ein Seminar-zum Beispiel Kommunikation, Persönlichkeitsbildung zu machen. Das ist keine Schikane der Schul Verwaltung und hilft möglicherweise Konflikte zu vermeiden.

DIEFURCHE: Der Direktor soll über die Einstellung der Lehrerfinnen) entscheiden - sind Direktoren immer die besten Pädagogen? SCHOLZ: Die Direktor(inn)en entscheiden keinesfalls allein, aber ich will eine Mitverantwortung für Direktoren - gemeinsam mit der Personal- und Managementabteilung des Stadtschulrats für Wien - haben.

Direktoren müssen Lehrer(innen) begründet auswählen, aber auch begründet ablehnen - auch in einer Diskussion mit den Betroffenen. Die Direktoren deklarieren damit ihre eigene Pädagogik und auch das Profil der Schule, das der Schulgemeinschafts-ausschuß erstellt. Wir wollen doch nicht den Autoritarismus der Scnul-behörde durch den der Direktoren ersetzen!

Wir müssen die Lehrerbeurteilung auf eine neue, viel differenziertere Basis stellen. Wir brauchen aus der Privatwirtschaft übernommene Beurtei-lungsbögen und die Einschätzung der

Präsident Kurt Scholz will Lehrer nach Kriterien der Privatwirtschaft beurteilen. Die Personalvertretung unterliege „einer gnädigen Selbsttäuschung".

Eltern als Ergänzung. Wir müssen beim Eintritt klarmachen, daß ein Verbleiben und Pragmatisieren abhängig ist von Schritten, die der Lehrer selbst zu setzen hat. Es kann keine Automatik mehr geben: „Heute steige ich als Unterrichtspraktikant ein, werde automatisch Vertragslehrer, werde pragmatisiert und schließlich gehe ich automatisch in Pension."

Das müssen wir im Interesse der Kinder und Eltern filtern. In Wien werden die Lehrer(innen) ab nächsten Sommer einen Fahrplan bekommen, in welchen Bereich wir uns Fortbildungsmaßnahmen vorstellen können. Leider hat bisher niemand - von keiner politischen Richtung - den Mut gehabt, die verpflichtende Fortbildung in das Regierungsprogramm aufzunehmen.

DIEFURCHE: Die Personalvertretung sagt, es gäbe kaum schlechte Lehrerfinnen), für die wenigen Ausnahmen sei das Instrumentarium, um sich von ihnen zu trenfien, ausreichend Sei 1017;. Das ist falsch! Das ist eine gnädige Selbsttäuschung. Das sagen Personalvertreter wider besseres Wissen! Jene machen sogar dort noch die Mauer, wo es einfach nicht mehr so weitergeht.

DIEFURCHE: Liegt's an den Strukturen? SCHOLZ: Das hat natürlich auch mit den Strukturen im Schulsystem zu tun. Ich will meinen Kollegen nicht zu nahe treten, doch gibt es in Österreich eine Reihe von Landesschulrats-präsidenten, die dieses Amt erreichten, weil sie Vorsitzende von politi sehen Lehrerorganisationen sind. Der Landesschulratspräsident in Oberösterreich ist zugleich Vorsitzender eines Lehrervereins. Daß es diesen Verein gibt, ist völlig in Ordnung. Was ich aber für völlig unvereinbar halte, ist, daß es Präsidenten von Landesschul-räten gibt, die gleichzeitig Vorsitzende dieser Lehrerorganisation sind.

Man kann doch nicht als Arbeitgeber die Melone des Präsidenten tragen und dann als Arbeitnehmervertreter den Trachtenhut des Vorsitzenden des Lehrervereins aufsetzen und sagen: „Jetzt sehe ich das alles einmal unter dem anderen Gesichtspunkt." Ein glatter Fall von Unvereinbarkeit!

Frau Minister Gehrer wurde nicht ÖAAB-Chefin. Eine Ebene darunter, bei den Landesschulratspräsidenten ist daß gang und gäbe.

DIEFURCHE: Die Ausbildung der Lehrerfinnen) erfolgt für Pflichtschullehrer an den Pädagogischen Akademien und für Lehrer an höheren Schulen an Universitäten. Sind die Pädagogischen Akademien in pädagogisch-didaktischer Hinsicht besser? Scholz: Sie sind deutlich besser - aber ich will fairerweise den Universitäten nicht unrecht tun. Die Tragik des derzeitigen Beformvorschlages ist, daß genau das wegrationalisiert werden soll, was mühsam in den letzten Jahren aufgebaut worden ist: Die fachdidaktischen Kurse fallen dem Botstift zum Opfer - ein massiver Bückschritt.

Ich bin aber auch mit der Ausbildung an den Akademien nicht restlos zufrieden. Viele Probleme mit Kindern und zum Teil mit den Eltern sind tiefenpsychologischgr Natur. Bei ein bis zwei Prozent der Kinder liegen massive Störungen vor. Eine verstärkte tiefenpsychologische Ausbildung könnte hier einiges bewegen. In der Stadt von Freud, Adler, Frankl, Ringel, Strotzka, Spiel bleibt die Lehrerausbildung aber in dieser Richtung abstinent.

Daß wir heute auf Schüler mit schweren Verhaltensauffälligkeiten, schweren familiären Traumatisierungen eingehen und helfen können, ohne sie in Spezialschulen wegsperren zu müssen, ist nur der langjährigen Aufbauarbeit von Professor Friedrich und Dozent Berger zu danken. Bei den Tagungen von Friedrich und Berger sind - freiwillig bitte! -200 bis 250 Lehrer- zu 90 Prozent aus dem Pflichtschulbereich - gekommen! Aber an den Pädagogischen Akademien wird vorwiegend Lernpsychologie gelehrt.

DIKFiirchk: Laut neuen Umfragen ist das Lebensziel von 70 Prozent der bis 15jährigen Schülerfinnen): möglichst viel Geld verdienen und ein gutes Lebenführen. Nur ganz wenige bewerten soziales Engagement höher. Hat die Schule zuwenig auf die Werte des Wahren, Guten und Schönen geachtet? SCHOLZ: Die Welt der Erwachsenen hat heute im Grunde nur ein Prinzip: Nicht „cogito ergo sum", sondern „consumo ergo sum". Ich kaufe, ich konsumiere, deshalb bin ich. Demonstrativer Konsum ist das Prestigemodell unserer Gesellschaft. Ich fürchte, die Jugendlichen haben diese Einstellung von den Erwachsenen gelernt! Und sie sind ehrlich genug, es zu sagen - sie heucheln (noch) nicht!

Ich weigere mich, den Jugendlichen sozusagen „Sittennoten" zu geben, ohne einen kritischen Blick auf die Welt der Erwachsenen zu werfen. Diese Welt ist herzlos, eine Welt des Zynismus, die die Kälte der sogenannten „Erfolgsgeneration" in sich trägt. Das, was ihnen von der Erwachsenengeneration vorgelebt wird, kann und darf man nicht den Kindern anlasten.

Peter Schmidt und Heiner Boherski

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