"Wir brauchen einen Konsens aller Parteien"

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Als amtsführender Präsident des Wiener Stadtschulrates tritt Kurt Scholz in Kürze ab. Im furche-Interview warnt er vor einer einseitig ideologischen Bildungspolitik und plädiert für ein "Haus der Geschichte", in dem keine Gruppe über andere den Stab bricht.

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Als amtsführender Präsident des Wiener Stadtschulrates tritt Kurt Scholz in Kürze ab. Im furche-Interview warnt er vor einer einseitig ideologischen Bildungspolitik und plädiert für ein "Haus der Geschichte", in dem keine Gruppe über andere den Stab bricht.

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die furche: Wie fühlt man sich als Präsident mit Ablaufdatum?

Präsident Kurt Scholz: Die Ablöse ist aus verfassungsrechtlichen Gründen elend langsam. Keine andere Großorganisation könnte sich leisten, dass die Ablöse des Generaldirektors sechs bis acht Wochen dauert. Ich würde schon gerne mein Amt meiner Nachfolgerin übergeben. Es zeigt nur, wie verkrustet, versteinert, antiquiert und reformbedürftig die Strukturen in der Schulorganisation sind.

die furche: Wäre Ihre Ablöse auch ohne absolute Mehrheit der SPÖ erfolgt?

Scholz: Eine klare Antwort: Nein. Kein Koalitionspartner hätte die Form der Ablöse mitgetragen.

die furche: Wird damit ein neuer Akzent in der Bildungspolitik gesetzt? Waren Sie zu wenig auf der ideologischen Linie der SPÖ?

Scholz: Für mich waren wichtig: die Wünsche der Eltern und der Schulen. Punkt. Wenn man dieses Amt ausübt, muss man dem Aufgabengebiet verpflichtet sein. Eine Fernsteuerung durch Parteiprogramme bekommt in dieser Funktion niemandem, weil er sich damit von den Menschen entfernt. Ein praktisches Beispiel: Wenn im 22. Bezirk die Menschen keine Gesamtschulversuche wünschen, sondern normale, gute AHS, und das zu Hunderten dokumentieren, dann kann man nicht antworten: Im Parteiprogramm der SPÖ steht der Ausbau der Gesamtschulen drinnen.

die furche: Erwarten Sie von Ihrer Ablöse eine markante Änderung in der Wiener Bildungspolitik?

Scholz: Ich hoffe, dass es keine markante Änderung geben wird. Gerade die Bildungspolitik in einer Großstadt hat sich durch Großzügigkeit auszuzeichnen. Eine Großstadt ist nicht uniform, daher ist nichts für sie ungeeigneter als ein uniformes Schulwesen. An ein Einheitsschulwesen kann nur jemand denken, der in der Vorstellungswelt des Einheitsmenschen, des Einheitslehrers, des Einheitskindes lebt. Großstadt ist Vielfalt, und diese Vielfalt ist nicht nur zu akzeptieren, sondern aktiv zu fördern. Ich habe mich aktiv bemüht, die Konfrontation öffentliches versus privates Schulwesen zu entkrampfen. Mit bescheidenen, aber nachweisbaren Erfolgen. Dahinter kann man nicht zurück. Niemand würde das in dieser Stadt verstehen.

diefurche: Die objektive Vergabe von Direktorenposten war Ihnen ein Anliegen. Erwarten Sie da einen Rückschritt?

Scholz: Ich habe in dem Bereich Teilerfolge erzielt, und der Offenbarungseid wird da relativ rasch kommen. Meine Zusammenarbeit mit Neumann Management, einem privaten Personalberatungsbüro, dem man keine Parteinähe nachsagen kann, war eine ehrliche. Das heißt: Weg von der parteipolitischen Besetzung im Kollegium. Ich habe mich lückenlos an die Reihungsvorschläge von Neumann Management gehalten, ich habe auch eine Ausweitung auf die Pflichtschulen fix zugesagt und arbeitsmäßig vereinbart. Ich hoffe, dass das so bleiben wird. Ein Zurück zu alten Zeiten, wie das Teile sozialdemokratischer Lehrerganisationen mit Flugblättern "Zurück ins rote Wien" ausgedrückt haben, ist Nostalgie und kein Zukunftskonzept.

die furche: Fällt Ihnen der Abschied vom Amt leichter, da Sie jüngst auch Ihren bisherigen Amtssitz, das Palais Epstein, verlassen haben?

Scholz: Ja. Ich bin natürlich durch neun Jahre dem Palais Epstein verwachsen gewesen. In dieser Zeit haben dort Nobelpreisträger, Kardinäle, Weihbischöfe, führende Vertreter der evangelischen Kirche, des Judentums und des Islam referiert, sind Persönlichkeiten wie Erwin Ringel und Viktor Frankl aufgetreten. Das Haus in der Wipplingerstraße ist eine gelungene Verwaltungszentrale. Zum ersten Mal ist die ganze Wiener Schulverwaltung in einem Gebäude konzentriert. Wir hoffen, dadurch noch konsumenten-, elternfreundlicher zu werden. Das Gebäude muss aber noch eine Seele bekommen, das Palais Epstein hat sie.

die furche: Das Palais Epstein als "Haus der Geschichte" - diese Idee ist offenbar passe ...

Scholz: Es steht alles auf den Schienen, dass der Bundesrat dort einzieht. Ich halte das bei allem Respekt vor dem Parlamentarismus für phantasielos. Das Palais Epstein ist ein Juwel. Es wird wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten keine vergleichbare Chance für einen kulturellen Akzent an der Ringstraße mehr geben. Insofern bedaure ich, dass man nicht den Mut zu einer größeren Lösung gefunden hat. Das Gebäude zu einem Verwaltungsgebäude mit allen Sicherheitsvorkehrungen des Parlaments zu machen, heißt, dass eines der interessantesten Häuser praktisch nicht mehr zugänglich ist, außer für die erleuchteten Parlamentarier - die viri illuminati.

die furche: Wenn es stimmt, dass die nationalen Parlamente in Europa an Bedeutung verlieren, ist dieser Platzbedarf schwer verständlich ...

Scholz: In Großbritannien wird das House of Lords systematisch eingeschränkt. Ich frage mich, ob der Bundesrat durch ein Haus an der Ringstraße um Hunderte Millionen Schilling aufgewertet werden muss. Das Parlament verlangt derzeit von der Bevölkerung ein hohes Maß an Opferbereitschaft, auch von Gruppen, denen es nicht leicht fällt, wie Invalidenrentnern. Man muss sich fragen, ob nicht auch das Parlament Opfer bringen könnte, und sei es nur durch den Verzicht auf ein Palais am Ring.

die furche: Hier waren aber alle Fraktionen einer Meinung ...

Scholz: Alle, auch das LIF, als es noch im Parlament war. Dass neben den Regierungsparteien auch die damaligen Oppositionsparteien unter dem Aspekt "Hauptsache, wir haben mehr Büros" dafür waren, habe ich ziemlich verständnislos registriert. Interessant ist, dass viele Abgeordnete unter vier Augen anders gesprochen haben und einem "Haus der Geschichte" viel abgewinnen konnten. Es gibt eben den berühmten Unterschied zwischen Sparsamkeit im allgemeinen und Freigebigkeit im besonderen, insbesondere dann, wenn es mich selbst betrifft. Der dürfte auch Parlamentariern nicht ganz fremd sein.

die furche: Wird das "Haus der Geschichte" nun verwirklicht?

Scholz: Ich hoffe. Es muss uns ja zu denken geben, dass wir zwar eine Fülle von historischen Darstellungen haben, die letztlich aber alle mit der Familie Habsburg verbunden sind, bei allem Respekt vor dem, was Rauchensteiner und andere für das 20. Jahrhunderte gesammelt haben. Die Republik hat nie zu einer Selbstdarstellung gefunden. Das finde ich bedauerlich und beunruhigend. Die Republik hatte in der ersten Phase tragische Gegensätze, war faszinierend, allerdings faszinierend im Konflikt. Sie ist diesem Konflikt zum Opfer gefallen. Die Zeit von 1938 bis 1945 ist mittlerweile gut aufgearbeitet. Aber ich habe den Eindruck, dass man sich für die mühsame Phase der Kompromissfindungen nach 1945 eher geniert statt dass man stolz darauf ist. Das darzustellen wäre doch eine lohnende Aufgabe.

Am wenigsten interessiert mich die Frage: Gibt es ein Haus? Mich interessieren die Inhalte. Wir müssen aus der Messepalastdiskussion lernen: Dort hat man gesagt: "Wir haben einen Messepalast", dann begann man nachzudenken: "Und was gibt man dort jetzt rein?" Beim Haus der Geschichte muss es umgekehrt sein. Was wir brauchen, sind parlamentarische Enqueten, ist ein breiter Konsens aller - aller! - Parteien. Ein Haus der Geschichte darf nicht gegen bestimmte Gruppierungen gerichtet sein, es darf nicht gegen den ÖGB oder die FPÖ gerichtet sein. Das wäre fatal, das wäre eine Fortsetzung der 1. Republik.

die furche: Es muss aber Fehlentwicklungen der Geschichte aufzeigen ...

Scholz: Es muss Fehlentwicklungen aufzeigen. Aber es muss ein Haus sein, wo auch Widersprüchliches Platz hat. Es darf kein Haus sein, in dem eine Gruppierung den Stab bricht über andere. Das ist Polemik, das ist Ideologie, das ist etwas anderes. Haus der Geschichte muss etwas Gemeinsames sein, auch um den Preis einer mühsamen Konsensfindung und der Widersprüchlichkeit Und das ist das Spannende: politisches Bekenntnis und inhaltliche Diskussion. Das müsste, wenn man von Historikern spricht, in Wirklichkeit von Gerhard Botz über Erika Weinzierl, Manfried Rauchensteiner bis Lothar Höbelt reichen. Das wird nicht einfach sein. Aber das sollte man anstreben. Dann soll man über das Gebäude reden.

Das Gespräch führte Heiner Boberski.

Zur Person: Profilierter Querdenker Kurt Scholz,1948 in Ernstbrunn in Niederösterreich geboren, studierte an der Universität Wien Geschichte und Germanistik und erwarb Magisterium und Doktorat. Er arbeitete zunächst als AHS-Lehrer, dann ab 1975 im Unterrichtsministerium. 1984 wechselte Scholz in die Wiener Stadtverwaltung, wo er später als Bereichsleiter für Kultur und Schule fungierte. 1992 vertraute ihm Helmut Zilk die Position des amtsführenden Präsidenten des Wiener Stadtschulrates an (de jure ist stets der Wiener Bürgermeister Präsident).

Scholz fiel durch interessante Veranstaltungen an seinen damaligen Amtssitz, dem Palais Epstein an der Wiener Ringstraße, auf, aber auch durch pointierte Aussagen zum Bildungswesen, die ihn als Querdenker innerhalb der eigenen Partei SPÖ auswiesen. Die absolute Mehrheit für die Wiener SPÖ im März 2001 bedeutete für ihn einen Jobwechsel. Sein bisheriges Amt übernimmt - an der neuen Adresse Wipplingerstraße 28 - Susanne Brandsteidl, Scholz, zeitgeschichtlich bestens versiert, wird Bereichsleiter der Stadt Wien für Restitutionsangelegenheiten.

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