Haus der Geschichte: History sells
Mit dem geplanten "Haus der Geschichte" wird er wie kaum jemand anderer verbunden: Der Historiker Oliver Rathkolb im FURCHE-Gespräch.
Mit dem geplanten "Haus der Geschichte" wird er wie kaum jemand anderer verbunden: Der Historiker Oliver Rathkolb im FURCHE-Gespräch.
Oliver Rathkolb, Ordinarius für Zeitgeschichte an der Universität Wien, ist Vorsitzender des Internationalen Wissenschaftlichen Beirats zur Umsetzung des Hauses der Geschichte. Im FURCHE-Gespräch nimmt er zu konkreten Fragen rund um dieses Projekt Stellung, aber auch zur Rolle von Geschichte als Identität stiftenden Faktor.
DIE FURCHE: Fast jedes Jahr werden im großen Stil runde Jubiläen gefeiert: 2014 war es der 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs, 2015 wurde des Endes des Zweiten Weltkriegs und des Staatsvertrags gedacht, heuer jährt sich der 100. Todestag von Kaiser Franz Josef. Gibt es ein gesteigertes öffentliches Bedürfnis nach geschichtlicher Erinnerung?
Oliver Rathkolb: Wir leben in einer Zeit, die man gut mit der ebenfalls geschichtspolitisch aufgeladenen Zeit vor 1914 vergleichen kann. Es gab damals eine vergleichbar turbulente ökonomische wie soziokulturelle Entwicklung. Auch in der jetzigen "Zweiten Globalisierung" bleibt in der Gesellschaft kein Stein auf dem anderen. Man sieht das deutlich an der Entwicklung der politischen Parteien, der Lebensentwürfe usw. Heute wie damals gibt es das Bedürfnis nach scheinbar sicheren Grundlagen, die in der Vergangenheit gesucht werden, oft festgemacht an Persönlichkeiten, an denen man sich "anhalten" kann, mit denen man Stabilität verbindet, sei es Kaiser Franz Josef oder - im Rahmen der kommenden Ausstellung auf der Schallaburg über "Die 70er" - Bruno Kreisky. Ich deute diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit als einen Versuch, in dieser turbokapitalistischen Globalisierung einen Anker der Sicherheit zu finden, was natürlich - das wird jeder Historiker bestätigen - nicht der Fall ist.
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DIE FURCHE: Es sind weniger die Vertreterinnen und Vertreter der Geschichtswissenschaft als die Massenmedien oder die Politik die tatsächlich entscheidenden Faktoren bei der Auswahl und Vermittlung öffentlicher Gedächtnisinhalte. Sehen Sie die Gefahr einer damit einhergehenden Verkürzung in der historischen Betrachtung, gar einer zunehmenden Politisierung von Geschichte?
Rathkolb: Sie haben absolut recht, professionelle Historikerinnen und Historiker spielen nur eine Rolle am Rand - wenn überhaupt. Fast jede Zeitung bringt ein "History Journal" heraus - da gibt es einen richtigen Boom. In Deutschland gibt es eigene History Channels, auch ORF III hat zwei ganz starke Standbeine: klassische Musik und Zeitgeschichte. Es herrscht das Bedürfnis, durch die Beschäftigung mit der Geschichte für die Gegenwart und Zukunft zu lernen. History sells!
DIE FURCHE: Neben den Medien ist es auch die Politik, die einen gewissen Einfluss nimmt, bis hin zu einem Paradigmenwechsel, denken wir etwa an Franz Vranitzkys bedeutende Rede 1993 in Jerusalem: "Wir haben immer empfunden und empfinden noch immer, dass der Begriff 'Kollektivschuld' auf Österreich nicht anzuwenden ist. Aber wir anerkennen kollektive Verantwortung, Verantwortung für jeden von uns, sich zu erinnern und Gerechtigkeit zu suchen." In diese Richtung hatte sich schon zuvor der Begründer der Dritte Wiener Schule der Psychotherapie, Viktor Frankl, geäußert.
Rathkolb: Diese wie andere Reden muss man im Zeitkontext sehen. Wichtig ist auch die Tatsache, wie lange es gedauert hat, ehe Vranitzky diesen Schritt gewagt hat, nicht zuletzt als Folge der Diskussion um die Kriegsvergangenheit von Kurt Waldheim und der Ergebnisse der Historikerkommission. Die sogenannte Waldheim-Debatte hat die österreichische Gesellschaft noch tief gespalten, weswegen Vranitzky auch lange zugewartet hat. Die ursprüngliche Idee dazu kam ja, wie wir heute in den Memoiren von Hugo Portisch lesen können, von diesem in einem Brainstorming, zu dem Vranitzky eingeladen hatte. Ich sehe politische Akteure als Beobachter, die politische Prozesse erkennen und dann zum richtigen Zeitpunkt - manchmal später, manchmal früher - einen ganz zentralen symbolischen Akt setzen. Ein gutes Beispiel aus Deutschland ist der berühmte Kniefall von Willy Brandt, der - wie wir heute wissen - eher spontan erfolgte, am Anfang nicht die erhofften Auswirkungen hatte, heute aber als ein Markstein gilt. Oder gehen wir nach Ungarn, wenn wir den frühen, jungen Orbán in den 1990er Jahren mit dem Orbán von heute vergleichen: Er setzt mit seinem vehementen Nationalismus auf einen gesellschaftlichen Trend, erfindet ihn aber nicht selber.
DIE FURCHE: Kommen wir zu jenem Projekt, mit dem Sie wie kein anderer verbunden werden, dem Haus der Geschichte, das 2018 eröffnet werden soll. Wie ist der aktuelle Stand und wie gestaltet sich die Kooperation mit der Österreichischen Nationalbibliothek, mit der die neue museale Einrichtung künftig im Verbund stehen soll?
Rathkolb: Ende Februar wurde von der Koalition in Form einer Regierungsvorlage eine Novelle des Bundesmuseen-Gesetzes eingebracht, die am 18. März vom Nationalrat mit den Stimmen der Regierungskoalition beschlossen wurde. Je länger die Debatte andauert und je mehr wir auch ganz konkret in verschiedenen Bereichen zusammenarbeiten, desto mehr zeigt sich, dass es eine sehr gute Idee war, in der Nationalbibliothek einen, auch was Management-Knowhow und Ausstellungserfahrung betrifft, erfahrenen und bedeutenden Gründungspartner zu haben. Wir sind als Gremium [Anmerkung: gemeint ist der aus 31 Personen bestehende Internationale Wissenschaftliche Beirat] der Ansicht, dass erstens die Anbindung erfolgreich ist, wenn es einen starken, unabhängigen wissenschaftlichen budgetären Rahmen und eine eigene wissenschaftlich-kuratorische Direktion gibt. Zweitens sind wir wiederum einstimmig davon überzeugt, dass die Neue Burg der ideale Ort für ein Museum ist, das das späte 19. und 20. Jahrhundert in den Fokus nimmt. Nachdem ein Direktor bzw. eine Direktorin von Frau Generaldirektorin Johanna Rachinger bestellt sein wird, werde ich dieses Gremium wieder einberufen.
DIE FURCHE: Es gibt einen sehr fordernden Zeitplan ...
Rathkolb: Ja, spätestens sechs Monate danach muss eine schon genau auf die Raumsituation hinuntergebrochene Umsetzung unserer Vorschläge erfolgen, auch, um rechtzeitig die Ausschreibungen hinsichtlich Ausstellungsdesign und -architektur einleiten zu können. Durch die Gesetzesnovelle wird auch ein beratendes Publikumsforum mit bis zu 36 Mitgliedern aus Angehörigen zivilgesellschaftlicher Gruppen eingerichtet, darunter etwa auch je ein Mitglied der Elternvereine oder der Bundesschülervertretung. Wir sehen dieses Publikumsforum auch als eine erste Testgruppe für die Überlegungen zur Ernennung des Direktors an und dieser wird mit diesem Gremium genauso diskutieren wie mit dem kleinen Beirat, der künftig vorgesehen ist [Anmerkung: ein sechsköpfiges Gremium, dem der Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs, zwei vom Bundeskanzleramt und zwei vom Wissenschaftsministerium bestellte Mitglieder sowie ein gemeinsam von den Ländern entsandtes Mitglied angehören], und dem großen Internationalen Beirat. Der kleine Beirat soll laut der Gesetzesnovelle auch als Findungskommission für den Direktor bzw. die Direktorin dienen, die letzte Entscheidung trifft aber Generaldirektorin Rachinger. Dieses Gremium soll auch die Strategie mit der künftigen Direktion diskutieren. Ich werde dann auch weiterhin den Internationalen Beirat betreuen und dafür sorgen, dass der skizzierte Kommunikationsflow funktioniert. So kommt es zu einem permanenten Austausch, aber die letzte Umsetzung ist natürlich die Aufgabe der Kuratierung.
DIE FURCHE: In Ergänzung zum Haus der Geschichte präsentierte Staatssekretär Harald Mahrer die Idee eines Hauses der Zukunft auf dem Heldenplatz. Wie stehen Sie zu dieser Idee und lassen sich diese beiden Ideen miteinander verknüpfen?
Rathkolb: Ich habe schon im Sommer gesagt, dass ich das für eine gute Idee halte. Die Ausstellung in der Neuen Burg wird mit einem Bereich enden, in dem historische Zukunftsvisionen aus dem 19. und 20. Jahrhundert thematisiert werden. Vor kurzem schrieb der Publizist Martin Fritz im Falter einen sehr spannenden Beitrag darüber, welches Potenzial in einem neuen Museumsquartier am Heldenplatz liegen könnte, sowohl Richtung Parlament über den Volksgarten als auch Richtung Maria-Theresien-Platz über die beiden großen Museen bis hin zum Museumsquartier. Da steckt wirklich Potenzial drinnen, das weit über das verhältnismäßig kleine Haus der Geschichte Österreichs hinausgeht. Staatssekretär Harald Mahrer bezeichnet das als eine Art "Transversale" vom Museumsquartier Eins zum Museumsquartier Zwei und insofern passt das Haus der Zukunft sehr gut dazu.
DIE FURCHE: Kritische Stimmen gibt es immer wieder wegen der geplanten Inszenierung des berühmten Balkons, von dem aus Hitler 1938 den "Wiedereintritt" seiner Heimat in das Deutsche Reich verkündet hat. Wird hier ein Schauplatz auf Kosten anderer Orte überhöht, geradezu sakralisiert, wie das Rudolf Burger in der "Furche" attestierte?
Rathkolb: Genau diese Sakralisierung wollen wir dekonstruieren! Dieser Gebäudeteil ist nämlich jetzt sakralisiert; dieser "Balkon" ist in Wahrheit eine sogenannte Altane in der Größe von 242 Quadratmetern mit einem der schönsten Blicke über Teile Wiens. Von den Nazis wurde der Balkoncharakter inszeniert; Hitler, der auf dieser Terrasse bei normaler Betrachtung völlig verloren gewesen wäre, sprach von einem Holzpodest aus. Das wollen wir dekonstruieren; wir wollen die Altane auf der einen Seite für das Publikum zugänglich machen und sie in den Kontext der langen Geschichte des Heldenplatzes stellen. Das wird sicherlich eine große Herausforderung: Es ist die globale Ikone dieses Projekts, ob wir das wollen oder nicht.