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Klassenziel Koedukation ?

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Selbst in Schulen, in denen traditionell ausschließlich Buben oder Mädchen unterrichtet wurden, öffneten sich im Laufe der letzten Jahre die Pforten für das andere Geschlecht. Dafür gibt es verschiedene Gründe. In der österreichischen Schulgesetzgebung ist seit 1962 die Koedukation verankert. Für diesen gemeinsamen Unterricht von Mädchen und Buben sind allerdings gewisse bauliche Gegebenheiten, wie eine bestimmte Anzahl von Umkleideräumen für den Turnunterricht sowie genügend Toiletten die Voraussetzung. So findet also in einigen Schulen, wo wegen Platzoder Geldmangels oder auf Grund von Denkmalschutzbestimmungen derartige Umbauten nicht durchgeführt werden können, noch immer getrennter Unterricht statt.

Als pädagogisches Prinzip steht die Koedukation allerdings längst nicht mehr in Frage. Den Schülern und Schülerinnen soll eine wirklichkeitsnahe, natürliche Erziehungssituation angeboten werden, und dazu gehört auch ein realistischer Eindruck vom anderen Geschlecht, der möglichst frei von Klischees ist. Der kann wohl am besten selbst entstehen, wenn man gemeinsam die Schulbank drückt und einander in den Höhen und Tiefen des Schulalltags erlebt.

Für das von den Jesuiten geführte Kollegium Kalksburg war der Vorwurf ihrer Absolventen, die Schule habe ihnen durch die Ausklammerung des Weiblichen ein einseitiges, verzerrtes Büd der Frau vermittelt, einer der Hauptgründe, nach 130 Jahren erstmals auch Mädchen aufzunehmen. Die Erfahrungen nach fünf Jahren gemischten Unterrichts sind durchwegs positiv, und es werden weitere Veränderungen in dieser Richtung erwartet. Schwierigkeiten in Form von massivem Konkurrenzverhalten, wie es sie besonders zu Beginn gab, nimmt man bewußt in Kauf und ist sicher, sie mit der Zeit immer mehr abbauen zu können. Im übrigen besteht mittlerweile auch das Lehr- und Erziehungspersonal je zur Hälfte aus Männern und Frauen.

Es läßt sich nicht wegdiskutieren, daß die Öffnung der Schulen für den gemeinsamen Unterricht “sehr viel mit einem veränderten Rollenverständnis von Frauen und Männern zu tun hat. Wenn daher Eltern dagegen protestieren, daß auch eine der letzten Bastionen des getrennten Unterrichts, die Wiener Theresianische Akademie, zu fallen droht, so scheint es ihnen letztlich auch darum zu gehen, ein bestimmtes Bild vom Mann, von der Frau zu konservieren und weiterzugeben.

Was trägt die koedukative Schule konkret dazu bei, die Partnerschaft zwischen den Geschlechtern wirklich erfahrbar zu machen? Bei allem Positiven der gegenwärtigen Situation, daß nämlich Gleichberechtigung in den Schulen ganz selbstverständlich stattfindet, daß für Schüler und Schülerinnen die gleichen Ziele und die gleichen Beurteilungskriterien gelten, kann man über einen Mangel nicht hinwegsehen. Unser Schulsystem macht aus den Gruppen, die unterrichtet werden, zunehmend Gruppen von Einzelkämpfern, die vielgepriesene „verschworene Klassengemeinschaft“ gehört weitgehend der Vergangenheit an. Der früher vielfach verbindende Kampf gegen die Autorität ist nicht mehr aktuell, es ist aber keine neue Art von Gemeinschaft entstanden, die Vereinzelung greift um sich.

Dem Einüben von Partnerschaft zwischen den Geschlechtern stellen sich darüber hinaus noch andere Hindemisse entgegen. Kinder kommen mit bestimmten Vorstellungen ihrer eigenen und der gegengeschlechtlichen Rollen in die Schule. Diese sind in Wechselwirkung von Familie, Massenmedien und Werbung bereits einigermaßen gefestigt. Vor und in der Pubertät ziehen sich viele junge Menschen weitgehend vom anderen Geschlecht zurück, um ihre eigene Identität zu finden. In der Zeit der „blöden Weiber“ und der „dummen Affen“ entsteht eher Konkurrenz als Partnerschaft.

In dieser Situation sollte die Erfahrung möglich sein, daß Buben und Mädchen voneinander und aneinander lernen können, daß sie aufeinander angewiesen sind, sich aufeinander verlassen können. Dafür bieten sich nur wenige Unterrichtsbereiche an.

Turnlehrer, die langjährige Erfahrung mit gemischten Volleyball- und Leichtathletikgruppen haben, sehen gerade in der gemeinsamen Sportausübung ein Feld der Möglichkeiten für die Erfahrung und das Erlernen partnerschaftlichen Verhaltens. Nicht nur der Umgang der Geschlechter miteinander würde natürlicher — Aggressionen und „ganserlhaf-tes“ Benehmen gingen zurück. Zu lernen, daß eine Gruppe nur bestehen kann, wenn jeder/jede seinen/ihren Platz ausfüllt und die unterschiedlichen Aufgaben meistert, ist erzieherisch sehr wertvoll.

Das hat jene Eltern und Direktoren überzeugt, die dem gemischten Turnen zunächst sehr skeptisch gegenüberstanden. An einigen Schulen wird dies als unverbindliche Übung praktiziert. Fernziel ist ein gemeinsamer Turnunterricht mit einer männlichen und einer weiblichen Lehrkraft im regulären Schulbetrieb. Wobei sich freilich nicht alle Sportarten dafür eignen, vor allem jene, die Alltagsbewegungen trainieren.

Sicher ließen sich aber auch noch andere Bereiche finden, die geeignet wären, Erziehung zur Partnerschaft zu fördern. Künstlerische oder soziale Projekte, die eine gemeinsame Aufgabe darstellen, wären dafür prädestiniert. Jedenfalls würden junge Menschen damit etwas lernen, was sie in ihrem Leben sicher brauchen werden.

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