"Weder das österreichische Volk noch seine Politiker haben mit Bildung oder Wissenschaft irgendetwas am Hut.“ Und: "Ein Land mit dieser Einstellung kann auf Dauer keinen Bestand haben.“ Mit Keulen wie diesen holt Bernd Schilcher, einer der renommiertesten Bildungsexperten des Landes, in seiner Wutschrift "Bildung nervt“ zum Rundumschlag gegen Regierung, Gewerkschaft und das Schulsystem im Allgemeinen aus.
Schilchers 200-seitige Kritik ist gesalzen - aber er weiß, wovon er spricht: Seit vier Jahrzehnten befasst sich der 72-Jährige intensiv mit dem Thema Bildung. Im Jahr 1975 feilte er am Bildungsplan der ÖVP mit (der, wie er erinnert, für eine gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen eintritt). Von 1989 bis 1996 war er amtsführender Präsident des steirischen Landesschulrats (und bereiste in dieser Funktion jedes Jahr mindestens ein Mal ein anderes Land, um dessen Schulsystem kennen zu lernen). 2007 wurde er von SP-Bildungsministerin Claudia Schmied als Leiter in ihre Expertenkommission zur Schulreform geholt (und lieferte sich in dieser Zeit erbitterte Wortgefechte mit Beamtengewerkschafter Fritz Neugebauer). Im Vorjahr schließlich war Schilcher Mitinitiator und Androsch-Vertreter beim Bildungsvolksbegehren (dessen unter den Erwartungen gebliebenes Ergebnis er als "Messlatte für das Bürgerinteresse an Bildung“ bezeichnet).
In "Bildung nervt“ argumentiert er, dass Schüler, Lehrer und Eltern in der Bildungspolitik nur eine Nebenrolle spielen: "Im Vordergrund der Schulpolitik stehen in der Regel andere Interessen: Posten zu besetzen, regelmäßig natürlich parteipolitisch, Macht auszuüben, Abtauschgelegenheiten zu nutzen, in der Öffentlichkeit zu glänzen und möglichst lang im Amt zu bleiben.“ Bildungsministerin Claudia Schmied, VP-Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle und "einige Landespolitiker“ lässt er bei seiner Politiker-Schelte explizit außen vor, an den Parteichefs hingegen kein gutes Haar.
Seit einem Vierteljahrtausend keine nennenswerten Reformen
In einem historischen Abriss zeigt Schilcher, wie sich das Bildungssystem seit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht unter Maria Theresia verändert hat - oder eher: wie wenig. "Da ein bisschen Schulpartnerschaft, dort ein neuer Schulversuch oder etwas weniger Sitzenbleiben.“ Aber Entscheidendes, so befindet Schilcher, hat sich im letzten Vierteljahrtausend nicht getan. Gleichzeitig liefert er konkrete Vorschläge, wie sich das System verbessern lässt: Er will ein Ende der "schwach entwickelten, föderalistisch zersplitterten Frühförderung“, und eine Verschlankung der "ganz besonders aufgeblähten, ganz besonders bürokratisch-zentralistischen, ganz besonders antiquierten und sauteuren“ Schulverwaltung. Gemeinsame Ganztagsschulen sollen "endlich die ständig gleiche Vererbung von höheren Bildungsabschlüssen in diesem Land durchbrechen“. Und der frontale Einheitsunterricht inklusive 50-Minuten-Stunden gehört für ihn ebenso abgeschafft wie die Chancenungleichheit von Kindern aus bildungsfernen Schichten.
Bildung nervt
Warum unsere Kinder den Politikern egal sind.
Von Bernd Schilcher
Ueberreuter 2012
207 S., geb., Euro 19,95
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!