... und alle Fragen offen

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Nach endlosem Tauziehen über das Zweidrittelerfordernis bei Schulgesetzen gibt es einen - vagen - Kompromiss. Doch die Exegese bleibt strittig.

Kurt Scholz ist sauer: "Wenn die Weisheit der Politik darin besteht, Verfassungsrichtern Kreuzworträtsel aufzugeben, dann ist das ihre Selbstaufgabe", ärgert sich der ehemalige Wiener Stadtschulratspräsident und nunmehrige Restitutionsbeauftragte der Stadt Wien. "Das ist nicht nur enttäuschend, sondern bedenklich."

Der Auslöser für Scholz' Ärger besteht aus zwei Worten: "angemessene Differenzierung". Monatelang hatten die Parteien darüber gestritten, ob und wie weit die bisher nötige Zweidrittelmehrheit bei Schulgesetzen fallen - und damit auch die Einführung von Gesamtschulen (statt der Differenzierung in Hauptschulen und Gymnasien) mit einfacher Mehrheit möglich werden soll. Auch die Kirchen und Religionsgesellschaften hatten sich in die Debatte eingebracht - fürchteten sie doch um den Religionsunterricht und das konfessionelle Privatschulwesen. Nach zahllosen taktischen Manövern konnten sich die Bildungssprecher von vp und sp, Werner Amon und Erwin Niederwieser, schließlich Mittwoch vergangener Woche im Unterrichtsausschuss des Parlaments auf ein Kompromisspapier einigen, das diesen Donnerstag im Plenum des Nationalrats beschlossen werden soll.

Was ist "angemessen"?

Schulpflicht, Schulgeldfreiheit, konfessionelles Schulwesen und Religionsunterricht sollen demnach verfassungsmäßig abgesichert sein. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber "ein differenziertes Schulsystem vorzusehen, das zumindest nach Bildungsinhalten in allgemeinbildende und berufsbildende Schulen und nach Bildungshöhe in Primar- und Sekundarschulbereiche gegliedert ist, wobei bei den Sekundarschulen eine weitere angemessene Differenzierung vorzusehen ist."

Die erste Freude über die Einigung war groß: So zollte etwa Kardinal Christoph Schönborn den Parteien "Respekt und Anerkennung" für diese "Lösung mit Augenmaß". Zugleich freilich folgte die Auslegung dessen, was unter "angemessener Differenzierung" zu verstehen ist, altbekannten Mustern: Während sp-Chef Alfred Gusenbauer den Text so interpretierte, dass damit auch Gesamtschulmodelle mit einfacher Mehrheit beschlossen werden können, erklärte Werner Amon dieses Modell ab sofort für "tot."

Statt Lösung neue Probleme

Entsprechend groß sind die Bedenken von Verfassungsjuristen wie Bernd Christian Funk oder Heinz Mayer ("Das schafft Streit noch und noch") - ebenso wie der Ärger bei langjährigen Schulpolitikern wie Kurt Scholz: "Wenn das die neue großkoalitionäre Praxis ist, dass jeder aus Verhandlungen herausgeht und das Gegenteil des anderen behauptet, dann haben beide Seiten nichts dazugelernt." Scholz selbst, der die Zusammenarbeit der spö mit den Religionsgesellschaften "durchaus begrüßt" hat, hätte auf die "anachronistische" Zweidrittelmehrheit lieber generell verzichtet.

Anders die Einschätzung von Christa Koenne, Direktorin des Bundesgymnasiums in der Wiener Geringergasse und Leiterin der Naturwissenschafts-Kommission im österreichischen pisa-Zentrum: "Ich spüre aus dieser vagen Formulierung trotz allem den Wunsch nach Veränderung heraus", meint sie. Dass es mit der geplanten Kompromissformel schwer möglich wurde, "bei jedem Regierungswechsel das ganze Schulsystem zu ändern", stimmt die Bildungsexpertin jedenfalls positiv. Nach der weitgehenden Beseitigung der Zweidrittel-Blockade sei es nun freilich höchste Zeit für weitere Reformen.

Einen entsprechenden Schritt hat Bildungsministerin Elisabeth Gehrer vorvergangene Woche gesetzt: Im Rahmen eines Schulreformpaketes, das zur Begutachung ausgeschickt wurde und noch vor dem Sommer beschlossen werden soll, ist ab dem Schuljahr 2006/07 eine Ausweitung des Betreuungsangebots für alle Schüler zwischen sechs und 14 Jahren vorgesehen. Während der Gemeindebund bezüglich der Finanzierung "noch viele offene Fragen" ortet, versucht man im Bildungsministerium zu kalmieren: "Der Bund stellt für je 15 Kinder ohnehin schon zehn Betreuungsstunden zur Verfügung", meint Gehrers Pressesprecher Ronald Zecha. Dazu käme der - sozial gestaffelte - Elternbeitrag von 0 bis 80 Euro monatlich. "So viel bleibt dann für die Gemeinden gar nicht mehr übrig."

Ende Mai werden laut Zecha auch die nächsten Bildungsstandards für die Primar- und Sekundarstufe 1 präsentiert - ob für das Fach Deutsch oder Englisch sei noch nicht klar. Zugleich werden die Standards für Mathematik an zahlreichen Schulen erprobt.

Die angekündigte "Strukturkommission", die im Gefolge der "Zukunftskommission" das heikle Thema Gesamtschule beleuchten soll, lässt freilich weiter auf sich warten: "In dieser Legislaturperiode ist das nicht mehr realistisch."

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