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Die 6. Stunde

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Am 28. Februar ist die Frist abgelaufen, innerhalb der die Interessenvertretungen zu dem Grundsatzentwurf der österreichischen Schulgesetze Stellung nehmen konnten. Im Unterrichtsministerium läuft nun in diesen Tagen die Arbeit der fünf Zehnerexpertenausschüsse (für das niedere, mittlere und berufsbildende Schulwesen, für das polytechnische Jahr und für die ökonomisch-administrativen Fragen) und des Redaktionsausschusses (unter dem Vorsitz des Ministers), dem die sprachliche Endfassung des Gesetzes anvertraut ist, auf vollen Touren: Sie soll schon Ende des Monats beendet sein. Das ist eine außerordentlich kurze Frist für die immense Arbeit, denn die Grundsätze des Parteienentwurfes haben ganze strittige Fragenkomplexe völlig offengelassen oder sind stellenweise sehr allgemein gehalten, bedürfen also noch sorgsamer Durcharbeitung und Auffüllung in den Fragen von Schulkompetenz, Schulaufsicht, Schulpflicht, Schulorganisation, Unterricht, Errichtung und Erhaltung von Schulen, Religionsunterricht (eine Frage, die viele bisher als dem konkor-datären Komplex zugehörig gewähnt haben), Privatschulwesen, Pflichtschul-lehrerdienstrecht und Kindergartenwesen. Die knappe Fristsetzung ist nur dadurch möglich gewesen, daß im Unterrichtsministerium offenbar schon lange vor dem 1. März viele Teile des Gesetzeswerkes komplette Ausarbeitungen vorgelegen sind.

Hat die „Furche“ dem Dezemberkommentar an dieser Stelle den Titel „Letztes Pausenzeichen“ gegeben, so wäre mit dieser jüngsten Phase nunmehr quasi die letzte, die sechste Schulstunde angebrochen. Denn dem gelernten Österreicher ist es klar, daß die Behandlung des Gesetzeswerkes im Hohen Haus, um im Bilde zu bleiben, nur noch einem beiläufigen Nachmittagsunterricht entspricht, also vielleicht einige wohltemperierte Oratio-nen, vielleicht auch Ovationen, sicherlich aber keine nennenswerten Variationen zum Thema mehr auslösen wird.

Um so aufmerksamer sollten die letzten Stellungnahmen der Interessenvertretungen gehört werden, soweit sie — spärlich genug — bekanntgeworden sind. Was von diesen Vorschlägen und Einwänden noch berücksichtigt werden wird, steht freilich auf einem anderen Blatt. Vor kurzem kam jedenfalls aus dem Ministerium die frostige Nachricht, daß man von der „Trasse“ der Parteienverhandlungen nicht mehr abweichen könne.

Den Rektoren der österreichischen Hochschulen, die ihre Stellungnahme auf einer Pressekonferenz bekanntgaben, war hörbar die Gekränktheit darüber anzumerken, daß sie so späi zur Mitsprache eingeladen worden waren; mündeten doch, so meinten sie mit Recht, viele Probleme der Volksund Mittelschule direkt oder indirekt in das akademische Studium. In dieser Richtung müssen auch ihre Bedenken

gegen die Lateinrealschule und den späten Beginn des Lateinstudiums an den Gymnasien verstanden werden. Heftigen Widerspruch fand bei ihnen die unglückliche, irreführende Bezeichnung „Polytechnisches Jahr“ für das neunte Schuljahr. Für die Auswahl der Lehrer an den vorgesehenen pädagogischen Akademien forderten die Rektoren die Heranziehung der Ordinarien für Pädagogik der örtlichen Universitäten.

Kurz und bündig war die Stellungnahme der katholischen Lehrerschaft. Sie hielt an ihren bekannten Forderungen: 5. Volksschulklasse, Hebung der Landschule, echte Hauptschule mit eigenständigen Lehrplänen und sechsjährige Lehrerbildungsakademien, auch dann noch fest, nachdem ihre Führung von vielen Seiten angefeindet, in offenen Konflikt zum Ressortminister geraten und von einzelnen Gruppen im eigenen Lager verlassen worden war. Ihren Mut zur Unpopularität, nicht, wie ihr unterschoben wird, ihrer Starrsinnigkeit sollte auch der Andersmeinende die Achtung nicht verweigern.

Besondere Bedeutung kommt der Stellungnahme des österreichischen Episkopats zu, die am 1. März durch das Sekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz über die „Kathpreß“ verbreitet wurde. Es ist nicht nur der Rang, der diese Kundgebung aus den anderen Meinungen heraushebt, sondern die Tatsache, daß darüber bisher die unzutreffendsten Gerüchte verbreitet waren. ■

Die Verlautbarung der Bischöfe hebt einleitend hervor, daß eine endgültige Stellungnahme zu der ganzen Materie erst nach einer Prüfung der noch ausstehenden Gesetzesvorlage möglich sei, und fährt sodann mit wünschenswerter Klarheit und Deutlichkeit fort:

„In der Diskussion um die neuen Schulgesetze wurde vielfach, zum Teil auch in der Presse, die Meinung vertreten, daß der in Vorbereitung stehende Schulgesetzentwurf in allem die Zustimmung der österreichischen Bischöfe gefunden habe. Dies entspricht nicht den Tatsachen. Die österreichischen Bischöfe haben lediglich den zuständigen Stellen ihre Bereitschaft zu erkennen gegeben, gegen einen Kompromißvorschlag in der Frage der Lehrerbildung keinen Einspruch zu erheben, wenn der Kirche weiterhin die Möglichkeit bleibt, ihre bisherigen Anstalten auf der neuen Grundlage weiterzuführen. Zu allen anderen Fragen haben sich die Bischöfe bisher nicht geäußert. Im übrigen dürfte ein neues Gesetz, so notwendig es auch sei, nicht um den Preis weltanschaulicher Opfer erkauft werden. Über die im Konkordat geregelten Fragen der Schulmaterie sind Verhandlungen zwischen der Republik Österreich und dem Heiligen Stuhl beziehungsweise zwischen der österreichischen Regierung und der Apostolischen Nuntiatur in Wien notwendig. Diese Verhandlungen haben bisher noch nicht begonnen.“.

Diese wichtige Erklärung will aufmerksam gelesen werden. Sie klärt vieles. In und zwischen den Zeilen aber wird unüberhörbar auch die Sorge um die Lösung vieler noch ausständiger Fragen laut — eine ernste Sorge, die die katholischen Eltern und Lehrer mit ihren Bischöfen teilen.

Eine nur halbwegs befriedigende Lösung dieser Fragen wird noch viel Geduld und Verantwortung verlangen - im ersten Stock der hohen Diplomatie, wo mit einer günstigen Erledigung bestimmter einschlägiger Schulfragen ein Siebenmeilenschritt hin zum Konkordat getan würde —, und zu ebener Erde, wo soeben die sechste Stunde, die letzte Schulstunde, die Endfassung des so heißumkämpften und heute noch in vielem heftig umstrittenen Schulgesetzeswerkes begonnen hat.

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